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Antisemitismus Brutaler antisemitischer Angriff in Köln zeigt jüdische Realität in Deutschland

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Köln (Symbolbild). (Quelle: Pixabay / 377053 )

Der antisemitische Überfall in Köln war brutal: Ein 18-Jähriger, der eine Kippa trug und Mitglied der Kölner Synagogengemeinde ist, saß mit einem Freund kurz vor Mitternacht auf der Wiese am Kaiser Wilhelm Ring; die beiden Freunde waren gerade im Begriff zu gehen. Er wurde von einer Gruppe von zehn Jugendlichen antisemitisch beleidigt. Als er nachfragte, was die Beleidigungen denn sollten, wurde er massiv attackiert und erlitt schwere Verletzungen im Gesicht, u.a. das Jochbein wurde gebrochen. Er kam in ein Krankenhaus. Dass er überhaupt überlebt hat, ist keine Selbstverständlichkeit. Eine Kamera nahm den Angriff auf, zwei Jugendliche im Alter von 18 und 19 Jahren konnten wenig später von der Polizei festgenommen werden.

Der antisemitische Charakter des Überfalls war offenkundig. Die Polizei hat ihn inzwischen selbst eingeräumt.

Für viele rechte „Israelfreunde“ war die Sache von Anfang an klar: Sie instrumentalisierten den Angriff im Netz, zum großen Teil mit unverkennbarer Freude, in ihre rechte Agenda im Sinne eines Angriffs von „Fremden“. Kurz danach sickerte durch, dass beide Festgenommenen (18 und 19 Jahre) Deutsche sind, einer mit türkisch-deutschem Familienhintergrund. Sie haben deutsche, Kölner Schulen besucht, sie sind die Kinder dieses Landes.

Der antisemitische Angriff in der „liberalen“ Millionenstadt Köln machte bundesweit Schlagzeilen und sorgte für Entsetzen. Selbst in der Tagesschau wurde hierüber berichtet.

Parallel hierzu, daran sei erinnert, wird in Köln seit Monaten 1700 Jahre „Jüdisches Köln“ gefeiert – wie man es im selbstverliebten Köln halt so macht: Zahlreiche Veranstaltungen, aber auch kölschtümelnde Heimseligkeit in der Arsch-Huh-Stadt: Wir sind doch letztlich alle Freunde der Juden, in unserer Stadt ist Antisemitismus nur ein Randphänomen – je nach weltanschaulicher Ideologie – von Migranten, Moslems, oder aber von Rechtsradikalen. Mit der Mehrheitsgesellschaft habe dies in Köln nichts zu tun – eine potentiell tödliche Ideologie, eine realitätsferne Illusion.

Das Entsetzen in den Medien und in der Politik ist groß. Allüberall ist die routinierte, gewiss z.T. auch aufrichtig gemeinte Empörung zu hören. Inzwischen erscheinen mir diese Empörungsrituale jedoch als schal: Sie ändern nichts. Schlimmer noch: Sie erzeugen eine Illusion, eine potentiell tödliche Illusion. Die optimistische, „liberale“ Illusion, dass ein antisemitischer Vernichtungswunsch durch Kommunikation, durch einen liberalen Diskurs aufgelöst werden könne. „Warum beleidigt Ihr mich“, soll der junge Kippaträger die gleichaltrigen Angreifer gefragt haben. Sie nahmen ihm seine Kippa weg. Und zertrümmerten sein Nasen- und Jochbein.

Juden seien, so schallt es unisono und seit Jahren, in Köln sicher. Dies, darauf sei aus aktuellem Anlass hingewiesen, ist mehr als falsch. Man sollte endlich deutlichen Widerspruch gegen diese Realitätsverleugnung erheben.

Politik und Polizei in Köln sollten öffentlich konstatieren: Es ist gefährlich, lebensgefährlich, in Köln jüdische bzw. israelische Symbole zu tragen. Das sollte man auch auf den ganzen gegenwärtigen Feierlichkeiten (1700 Jahre…) so öffentlich kommunizieren: Wir haben verloren, wer solche Symbole trägt, gefährdet seine Gesundheit, sein Leben. Das ist die Realität, auch im „toleranten“ Köln. Alles ist unwahr, realitätsverleugnend. Es ist eine naive, törichte, für die Angegriffenen lebensgefährliche Illusion.

Der Vorstand der Synagogen-Gemeinde Kölns fordert als Reaktion auf den Überfall für seine Mitglieder in Köln mehr und konkreten Schutz: „Mitglieder der Synagogen-Gemeinde Köln fühlen sich nicht mehr sicher in ihrer Stadt. Wir erwarten von der Polizei, den Staatsanwaltschaften und den Richtern in diesem Land, dass mit der nötigen Härte des Gesetzes gegen antisemitische Exzesse vorgegangen wird“, schreibt Dr. Felix Schotland, Mitglied des Vorstandes der Synagogen-Gemeinde Köln. Vor dem jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana fordert die jüdische Gemeinde Sicherheit für ihre Mitglieder.

Können wir die Farce bitte beenden?“

Der bekannte Publizist Michael Wuliger war wohl der Einzige, der, im Geiste des Kölners Ralph Giordano – dieser hatte 1992 nach dem rassistischen Flächenbrand in Hoyerswerda, Mölln und Solingen in einem offenen Brief an den Kanzler zum bewaffneten Selbstschutz von Juden aufgerufen – angesichts des antisemitischen Angriffs im“ liberalen“ Köln die passende Forderung formulierte: „Können wir die Farce bitte beenden?“, twitterte er angesichts der Kölner Feierlichkeiten – sogar eine Kölner KVB-„Schalömchen“-Straßenbahn kurvt seit Monaten durch Köln mit der blau bebilderten Losung „Synagoge Roonstraße miteinander mittendrin“ – und fügte die frohe Botschaft der CDU-Landtagsfraktion NRW hinzu: „Seit 321 n. Chr. sind jüdisch gläubige Menschen integraler Bestandteil unserer Gesellschaft“.

Schweigen als Reaktion auf antisemitische Übergriffe

Die Anzahl der antisemitischen Beleidigungen, die Personen erleben müssen, die in Köln und Umgebung eine Kippa getragen haben, ist sehr viel höher, als öffentlich bekannt wird. Wohl die Mehrzahl der Angegriffenen und Bedrohten wendet sich danach nicht an die Polizei, aus Angst, aus Misstrauen gegenüber der Polizei, aber auch aus dem Gefühl der Vergeblichkeit. Vor zwei Jahren teilte die Synagogengemeinde Köln mit, dass ihr Rabbiner Yechiel Brukner bereits in den ersten Monaten seines Wirkens in Köln mehrfach in Bussen und Bahnen massiv antisemitisch beschimpft worden sei. Die Angriffe seien aus allen Teilen der Bevölkerung gekommen. Deshalb werde er ab sofort nur noch seinen Dienstwagen benutzen.

Wenn, wie 2020 in Aachen nachgewiesen, Polizisten vor einer Synagoge nazistische Inhalte („Sieg-Heil“) über den Polizeifunk verschicken, so erhöht das nicht zwingend das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. Und wenn im Oktober 2020 in Köln ein für den Personenschutz ausgebildeter Zivilpolizist auf einer Gedenkkundgebung zum antisemitischen Mordanschlag in Halle, bei dem die ranghöchsten Vertreter des deutschen Judentums sprachen, in einschlägiger Nazikleidung erscheint – die man nur im „nazistischen Fachhandel“ erwerben kann! – , so ist das nicht minder besorgniserregend.

Und wenn in Köln ausgerechnet ein engagierter, stadtbekannter antifaschistischer Jude, der via sozialer Medien auf einen antisemitischen Skandal aufmerksam macht, daraufhin selbst von der nicht gerade durch aufklärerischen Eifer hervorgetretenen Behörde angeklagt – also: bedroht – wird, so ist auch dies eine deutliche Sprache.

Zur Veranschaulichung dessen, was ein Mensch erleben musste, der in Köln in den vergangenen zehn Jahren gelegentlich eine Kippa trug, sei dieser anonymisierte Bericht wiedergegeben, nach dem antisemitischen Übergriff, niedergeschrieben worden ist:

„Das ist jetzt ein kleiner Abriss, alles würde den Rahmen sprengen. Ich erinnere mich wie ich 2012, nachdem ich nach einer Chanukkafeier heim ging, beschimpft wurde als Judenschwein und mir Steine hinterher geworfen wurden, das war auf dem Barbarossaplatz. Ein anderes mal, auch 2012, wurde ich am Rheinufer von Jugendlichen umringt, beleidigt und bespuckt. 2014 in der S-Bahn Richtung Troisdorf wurde ich die ganze Fahrt hindurch beleidigt und die DB-Sicherheit hat das ignoriert. Als ich aus der Bahn ausstieg wurde mir meine Kippa vom Kopf gerissen. 2015 saß ich um 6:30 Uhr am Bahnsteig und wollte zur Arbeit. Jemand stieg aus der Bahn, spuckte mir ins Gesicht und beschimpfte mich als ein  jüdisches Wichskind. 2016 hatte ich auf der Arbeit einen Kollegen, der mich permanent antisemitischen Verschwörungserzählungen aussetzte. Niemand von den Kollegen wollte mir helfen. Seit Februar 2017, als ich arbeitslos wurde und u.a. eine Angststörung entwickelte, war ich sehr wenig draußen. Im Dezember 2017 bin ich aus einem Auto heraus als Judenratte beleidigt worden, im März 2018 wurde ich beim Essen in einem Restaurant belästigt. Seitdem trage ich in der Öffentlichkeit nur noch sehr selten Kippa. Nach zwei Jahren Therapie wage ich mich wieder auf die Straße.“

Ein Nachtrag: Eine kleine Chronik antisemitischer Übergriffe im liberalen und weltoffenen Köln

Abschließend sei eine kleine Chronik antisemitischer Übergriffe aus Köln wiedergegeben, die soeben erstellt worden ist:

Nicht eingearbeitet wurde die antisemitische Hetze im Corona Kontext, Holocaustrelativierung bei katholischen Abtreibungsgegnern, antisemitische Hassparolen auf sogenannten Palästina-Solidaritätsdemonstrationen und auf antirassistischen Kundgebungen wie dem Hanau-Gedenken in Köln Nippes.

Dieser Text erschien zuerst auf hagalil.com. Übernahme mit freundlicher Genehmigung.

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