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Antisemitismus Weitere Teile des jüdischen Friedhofs in Berlin zerstört

Gleich in zwei Nächten hintereinander wurden am 29. und 30. April 2008 Teile des jüdischen Friedhofs im Berliner Stadtteil Weißensee verwüstet. Er ist ist einer der größten und schönsten Europas. Ein oder mehrere unbekannte Täter warfen nach Polizeiangaben in der ersten Nacht 23 Grabsteine und zehn kleinere Stelen um, in der zweiten 33 Grabsteine und 19 Grabsäulen. Dass es offenbar keine zusätzliche Bewachung gab, ist unverständlich. Die Grabschändung löste Empörung und Abscheu quer durch alle Parteien aus. Zugleich wurde eine neue Statistik über Schändungen jüdischer Friedhöfe im Jahr 2007 bekannt.

 
Plakat der Aktionswochen gegen Antisemitismus 2007

Am Freitagabend kehrte (einer) der Täter möglicherweise erneut zum Friedhof zurück. Wachschützer überraschten einen Verdächtigen. Der Mann flüchtete, nachdem er von Objektschützern gegen 1.15 Uhr aufgefordert wurde, in der Nähe einer Begrenzungsmauer an der Herbert-Baum-Straße stehen zu bleiben. Nähere Hinweise auf den oder die Täter aber fehlen.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sprach damals von einer offenkundig antisemitischen und verabscheuungswürdigen Tat. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) nannte es „beschämend, dass sich Menschen zu so einer Tat hinreißen lassen“. Zusammen mit Lala Süsskind, der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlins, besuchte er den Friedhof. Auch Süsskind zeigte sich von dem Vorfall erschüttert. „Dass Menschen zu so etwas fähig sind, macht mich unglaublich traurig“, sagte sie. Wer etwas gegen Juden habe, solle in die Jüdische Gemeinde kommen und diskutieren. Aber einen Friedhof zu schänden sei „das Mieseste“, was man machen könne.

Die migrationspolitische Sprecherin der Berliner Grünen, Bilkay Öney, sagte: „Wer Gräber schändet, der handelt aus besonders niederträchtigen Motiven und sollte dementsprechend bestraft werden.“ Der Generalsekretär der Berliner CDU, Frank Henkel, verurteilte die „feige und entsetzliche Tat“ ebenfalls scharf und sprach der Jüdischen Gemeinde die Anteilnahme und Unterstützung der Berliner CDU aus. Die Berliner Polizei ermittelt in dem Fall wegen Störung der Totenruhe und gemeinschädlicher Sachbeschädigung. In die Ermittlungen schaltete sich auch der Staatsschutz des Landeskriminalamtes ein.
Der Friedhof in Weißensee wurde 1880 eingeweiht, er ist ein nationales Denkmal und ein bedeutendes Zeugnis deutsch-jüdischer Kulturgeschichte. Ein Gedenkstein erinnert an die mehr als sechs Millionen Juden, die Opfer der Nazis wurden. In Weißensee fanden mehr als 115.000 Berliner ihre letzte Ruhestätte.

Auf dem Friedhof befinden sich unter anderem die die Grabstätten der Verleger Samuel Fischer und Rudolf Mosse, des Journalisten Theodor Wolff, des Industriellen Emil Rathenau und des Warenhaus-Gründers Hermann Tietz. Auch der 2001 gestorbene Schriftsteller Stefan Heym wurde hier beigesetzt. (sssu,dpa,ddp).

2007 wurden bundesweit 30 Friedhofsschändungen gezählt

In der Bundesrepublik sind im Jahr zuvor 30 jüdische Friedhöfe geschändet worden, berichtete Frank Jansen im „Tagesspiegel“ vom 24. April 2008. Es konnten allerdings nur vier Straftaten aufgeklärt werden. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) hervor.

Die Zahl von 30 geschändeten jüdischen Friedhöfen ist damit nicht ganz so hoch wie die der Angriffe, die das Bundeskriminalamt pro Jahr von 2002 bis 2006 gemeldet hat, schrieb der Berliner Tagesspiegel. Im November 2007 berichtete das Innenministerium, ebenfalls nach einer Anfrage von Pau, über insgesamt 237 Attacken auf jüdische Friedhöfe in Deutschland. Die meisten Schändungen wurden 2002 registriert (60), die wenigsten 2004 (35). In der Bundesrepublik gibt es etwa 2000 jüdische Friedhöfe.

Auch wenn die aktuelle Zahl der Schändungen etwas rückläufig sei, „bleiben die Angriffe auf die jüdischen Friedhöfe erschreckend“, sagte Pau dem „Tagesspiegel“. Sie bemängelte, dass die Regierung in ihrer Antwort die Angriffe nicht nach Bundesländern aufgelistet und keine konkreten Straftaten genannt hat.

Unklar bleibe auch, welche Motive die Polizei bei den nun insgesamt 267 Schändungen seit 2002 festgestellt hat oder vermutet. Die Sicherheitsbehörden haben bislang gegenüber der Öffentlichkeit nicht aufgeschlüsselt, in welchem Ausmaß rechtsextreme, islamistische oder andere Antisemiten als Täter bekannt oder anzunehmen sind, schrieb Frank Jansen im „Tagesspiegel“.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

 

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