Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Bataillon „Sparta“ Donezker Rebellen im Kampf gegen Kyjiw

Von|
Tod eines Warlords: Wladimir Schogas Beerdigung im Opern- und Baletttheater von Donezk
Tod eines Warlords: Wladimir Schogas Beerdigung im Opern- und Baletttheater von Donezk (Quelle: picture alliance/dpa/TASS/Sergei Bobylev)

Laut russischer Staatsmedien starb Wladimir Schoga einen heldenhaften Tod, aller Fakten vor Ort zum Trotz: Der junge prorussische Separatist und Kommandeur des Bataillon „Sparta“ mit dem Kampfnamen „Vokha“ fiel am 5. März 2022 in Wolnowacha, einer Kleinstadt im ostukrainischen Donezk. Seit Kriegsbeginn Ende Februar bombardieren russische Streitkräfte und kremltreue Separatisten nahezu unaufhörlich zivile Ziele auch im Osten des Landes. Schnell ähnelte das Stadtbild von Wolnowacha den verheerenden Zuständen in Syrien, wo Russland einer ähnlich zermürbenden Taktik folgte: Vor zerbombten Wohnhäusern stapelten sich die Leichen von Zivilist:innen, die tagelang nicht beerdigt werden konnten. Rund 90 Prozent der Gebäude in der Stadt sind laut Guardian zerstört oder beschädigt worden. Ein russischer Angriffskrieg, der schnell in eine humanitäre Katastrophe mündet.

Die russische staatliche Nachrichtenagentur „RIA Nowosti“ machte allerdings aus dem Täter ein Opfer: So vermeldete sie, Schoga habe der Zivilbevölkerung die Flucht aus Wolnowacha ermöglichen wollen und sei dafür gestorben. Aleksander Kots, treuer Reporter für das kremlnahe Millionenblatt Komsomolskaja Prawda, schrieb einen glühenden Nachruf in feinster propagandistischer Manier. Posthum wurde Schoga der Titel „Held der Donezker Volksrepublik“ verliehen. Donezk-Anführer Denis Pushilin behauptete auf Telegram, das Bataillon „Sparta“ habe überwiegend Frauen und Kinder bei der Evakuierung geschützt, bevor es von ukrainischen „Nazis“ beschossen wurde. Auch Putin zeichnete Schoga als „Held der Russischen Föderation“ aus. Eine zynische, kremltypische Umkehr. Denn schon seit seiner Gründung werden dem Bataillon „Sparta“ brutale Kriegsverbrechen vorgeworfen.

2014 wurde „Sparta“ von Arsen Pawlow gegründet – als prorussisches Freiwilligen-Bataillon und nach eigenen Angaben als Erkundungseinheit. „Sparta“ gilt in der sogenannten „Volksrepublik Donezk“ als legendär: durch Kämpfe wie die Schlacht um Ilowajsk, laut ukrainischem Militär ein Massaker mit rund 1000 ukrainischen Gefallenen, erreichte „Sparta“ seinen berühmt-berüchtigten Ruf. In Ilowajsk kämpfte „Sparta“ unter anderem auch gegen das rechtsextreme „Regiment Asow“ auf ukrainischer Seite (siehe Belltower.News). Dem ukrainischen Nachrichtenportal Depo zufolge hatte das Bataillon im Jahr 2016 rund 300 Kämpfer. Es bestehe, so der Bericht, aus zwei Erkundungskompanien, der Spezialeinheit „Lavina“ mit bis zu zehn gepanzerten Mannschaftswagen sowie einer Artillerie-Gruppe. Laut dem britischen Historiker Mark Galeotti in seinem Buch „Armies of Russia’s War in Ukraine“ hatte Sparta im Oktober 2016 fast 1.000 Soldaten. Das Bataillon „Sparta“ sowie alle „Militäreinheiten“ in den Separatistengebieten Luhansk und Donezk gelten in der Ukraine seit 2015 als Terrororganisation.

Nach Schogas Tod bezeichneten diverse internationale Medien ihn und sein Bataillon als neonazistisch, allerdings ohne entsprechende Belege dafür zu liefern. In den sozialen Medien kursieren Fotos von mutmaßlichen „Sparta“-Kämpfern mit Hakenkreuz-Tattoos, oder von Kämpfern, die den Hitlergruß zeigen. Solche Fotos konnten allerdings von Belltower.News nicht verifiziert werden. Auf den VK-Profilen von „Sparta“ und Schoga waren keine Anhaltspunkte für eine Neonazi-Ideologie zu finden. Mehrere Beobachter:innen der extremen Rechten in der Ukraine, mit denen Belltower.News gesprochen hat, konnten auch nicht bestätigen, dass „Sparta“ ein Neonazi-Bataillon ist. Doch klar ist: „Sparta“ verwendet kriegsverbrecherische Methoden, um ihre großrussischen Ambitionen und ihren glühenden Ultranationalismus praktisch umzusetzen – im Kampf gegen eine demokratisch gewählte Regierung in Kyjiw (Kiew).

Zwischen Computerspielen und Großrusslandfantasien

Schwarz-Weiß-Gold: Die Trikolore des russischen Reiches, hier im Logo des Bataillon „Sparta“

Der Name und das Logo von „Sparta“ wurde offenbar von einer Computerspielserie und Buchreihe inspiriert: Zum „Metro-2033-Universum“, das auf dem dystopischen Roman des russischen Autors Dmitri Gluchowski aus dem Jahr 2007 aufbaut, gehört auch der „Orden Sparta“. Die fiktive Gruppe soll aus „kampferprobten Elitensoldaten“, aus den „fähigsten und tödlichsten Kriegern“ bestehen, wie es auf einer Metro-Fanseite heißt. Das Abzeichen des „Orden Sparta“ – ein rotes Zickzack-Blitz-M – wurde vom prorussischen Bataillon fast direkt übernommen. Interessanterweise kämpft der „Orden Sparta“ im Metro-Universum gegen das neonazistische „Vierte Reich“, was an Putins absurdes Propaganda-Narrativ erinnert, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen (siehe Belltower.News). Auch die Hintergrundfarben im Logo des Bataillons „Sparta“ sind ein Statement: Schwarz-Gold-Weiß, die Trikolore des zarischen Reichs. Farben, die unter anderem auch vom rechtsextremen Paramilitär „Russische Reichsbewegung“ verwendet werden.

„Sparta“ rekrutiert Kämpfer in den sozialen Medien: Auf YouTube lädt das Bataillon eine Mischung aus alltäglichen Clips von der Front und mit Pathos beladenen, fast cineastischen Werbespots hoch. Auf VK, einer russischen Social-Media-Plattform, auf der das Bataillon mehr als 30.000 Follower hat, teilt „Sparta“ eine WhatsApp-Nummer, bei der sich Interessenten melden können. Bewerber müssen zwischen 18 und 45 Jahre alt sein und ein negatives Testergebnis für Hepatitis B und C, HIV und Syphilis mitbringen. Verträge dauern zunächst ein Jahr, können aber um ein, drei oder fünf Jahre verlängert werden.

Auf der russischen Social-Media-Plattform VK rekrutiert „Sparta“ für den Kampf gegen Kyjiw (Quelle: Screenshot)

Hinzu kommen 30 Tage Urlaub, Sozialversicherung, Gesundheitsfürsorge und Vorteile bei der Bewerbung für Hochschulplätze in der „Volksrepublik Donezk“, heißt es. Kämpfern werden auch Hilfen versprochen, sollten sie sich in der „Volksrepublik Donezk“ oder auch in der Russischen Föderation einbürgern wollen. In einem Forumsthread auf VK tauschen interessierte User Tipps aus und nehmen Kontakt mit dem Bataillon auf. Einige kommen offenbar aus Russland: „Ich stehe schon an der Grenze in Rostow, wo muss ich hin? Und geben Sie mir eine Telefonnummer!“, schreibt einer.

Vom Autowäscher zum Warlord

Der Fall Arsen Pawlow, Gründer des Bataillons, ist ein kurioser: 1983 wurde er im nordrussischen Uchta geboren. Sein Kampfname, „Motorola“, soll eine Anspielung auf seine Zeit als Funker in der russischen Armee während des Zweiten Tschetschenienkriegs sein (siehe Kyiv Post). Pawlow arbeitete zunächst als Bademeister, danach jahrelang in einer Autowäsche in Rostow im Südwesten des Landes. Dort hatte er offenbar Probleme mit den örtlichen Behörden: Er soll auf der Arbeit ein Auto gestohlen haben, für eine betrunkene Spritztour durch die Stadt. Nicht ohne erwischt zu werden: Laut der georgischen Wochenzeitung Georgian Journal drohte Pawlow eine Haftstrafe. Er soll die Wahl gehabt haben: Knast oder Donbas.

Er entschied sich offenbar für Letzteres: 2014 überquerte Pawlow die Grenze in die Ostukraine, um gegen ukrainische Streitkräfte zu kämpfen. Und aus dem Autowäscher wurde innerhalb kürzester Zeit ein Warlord. Die ukrainische „Kharkiv Human Rights Protection Group“ findet es schwer zu glauben, dass Pawlow nicht von Russland in die Ukraine geschickt worden sei: „Pawlow-Motorola spielte eine verdächtig aktive Rolle bei verschiedenen Aspekten der russischen Aggression gegen die Ukraine im Jahr 2014.“ Im März 2014 soll der russische Pawlow beispielsweise an einem vermeintlichen „Volksaufstand“ in der ukrainischen Stadt Charkiw beteiligt gewesen sein.

Inwiefern Pawlow eine rechtsextreme Ideologie vertrat, bleibt unklar. Aus seiner ultranationalistischen und prorussischen Haltung machte er allerdings keinen Hehl. In Interviews bezeichnete Pawlow die Ukraine und die Maidan-Proteste, die zur Flucht des nun ehemaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch führten, als „faschistisch“. Im Gespräch mit dem Georgian Journal 2015 sagte er: „Der Donbas ist russisches Land, er ist Teil der russischen Welt, und wir sind hier, um die friedliche Bevölkerung vor den ukrainischen Faschisten zu schützen, die vom Westen unterstützt werden.“ Nach seinem Ziel gefragt, antwortete Pawlow damals: „Wir kontrollieren bereits 40 Prozent des ukrainischen Territoriums und werden so lange kämpfen, bis das Land vollständig von ukrainischen Besatzern gesäubert ist. Dafür haben wir mehr als genug Ressourcen und Ehrgeiz.“

Dieser Ehrgeiz erweist sich in der Praxis oft als blutig und barbarisch. Unter Pawlow soll „Sparta“ in der zweiten Schlacht um den Flughafen Donezk 2014 ukrainische Kriegsgefangene gefoltert und mit Kopfschüssen hingerichtet haben, wie Amnesty International berichtet. So verdiente Pawlow im Spiegel den Spitznamen „Der Henker vom Donezk Airport“. Gegenüber ukrainischen Journalist:innen der Kyiv Post soll Pawlow zugegeben haben, 15 Gefangene erschossen zu haben: „Das ist mir scheißegal. Kein Kommentar. Ich töte, wenn ich es will. Ich tue es nicht, wenn ich es nicht tue“, ist in einer Aufnahme zu hören.

Am Ende wurde Pawlow selbst getötet: 2016 starb er bei einem Bombenanschlag im Aufzug seines Wohnhauses. Wer dahinter steckte, bleibt bis heute ungeklärt – die wilden Theorien reichen von der rechtsextremen ukrainischen Gruppe und „Asow“-Einheit „Misanthropic Division“ bis hin zum russischen Geheimdienst FSB. Im Oktober 2020 veröffentlichte der ukrainische Journalist Denis Kazansky einen Ausschnitt aus einem Gespräch mit dem ehemaligen russischen FSB-Offizier Igor Girkin alias „Strelkow“, indem Strelkow behauptet, der Tötungsbefehl sei aus Moskau gekommen. Nach seinem Tod rief die sogenannte Volksrepublik Donezk eine dreitägige Trauerzeit aus.

Der Mann aus Moskau

Doch nicht nur über seinen Tod bleiben viele Fragen offen. Eine zentrale lautet: Wie konnte Pawlow sich innerhalb kürzester Zeit vom unbekannten Autodieb zur Kriegsikone von Donezk hocharbeiten? Die Antwort dürfte eventuell Igor Strelkow wissen – ein Ex-FSB-Offizier und mutmaßlicher Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes GRU sowie 2014 zeitweise einer der militärischen Führer und Verteidigungsminister der separatistischen Volksrepublik Donezk. Die beiden kannten sich: Strelkow war 2014 bei Pawlows Hochzeit in Donezk zu Gast – einer bizarren Propaganda-Zeremonie mit Live-Übertragung im russischen Fernsehen. Pawlows rechter Arm war während der Trauung eingegipst, sein rechter Arm hing über seinen Revolver (siehe New York Times). In Hochzeitsfotos posiert das Brautpaar mit Kriegswaffen.

Pawlow soll laut dem Georgian Journal unter Strelkow gedient haben, der eine wichtige Rolle bei Russlands Annexion der Krim 2014 spielte. Für seine Mitverantwortung am Abschuss des Malaysia-Airlines-Flug 17 über der Ostukraine wurde Strelkow inzwischen von der niederländischen Staatsanwaltschaft wegen Mordes angeklagt. Der Ultranationalist hat auch politische Ambitionen: 2016 gründete er die „Novorossiya“-Bewegung, die ethnonationalistische und imperiale Positionen vertritt. Positionen, die in der Ideologie der jungen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk tief verwurzelt zu sein scheinen.

Beispielhaft dafür ist ein „Kooperations-Memorandum“ zwischen der „Volksrepublik Donezk“ und der rechtsextremen „Russischen Reichsbewegung“ (siehe Belltower.News). Darin legen beide Seiten eine enge Zusammenarbeit fest: So wurde eine Separatisten-Gruppe, die im Trainingslager „Partizan“ der „Russischen Reichsbewegung“ in Sankt Petersburg ausgebildet wurde, laut „Robert Lansing Institute“ direkt danach in Donezk unter dem Kommando von Strelkow eingesetzt. Dass es sich aber um „Sparta“-Kämpfer handelt, ist nicht belegt. Im „Partizan“ wurden in Vergangenheit auch die russischen Neonazi-Söldner der „Task-Force Rusitsch“ ausgebildet, die zum Netzwerk der rechtsextremen „Gruppe Wagner“ gehören und nun wieder in der Ukraine aktiv sein sollen (siehe Belltower.News).

Nach Pawlows Tod übernahm der nun gefallene Wladimir Schoga das Ruder des Bataillons. Schoga kämpfte schon seit der ersten Stunde, seit 2014, für „Sparta“ gegen die Ukraine. Er folgte in Pawlows Fußstapfen: Ein regelrechter Warlord, dem ebenfalls Folter und Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Kurz vor seinem Tod forderte Schoga den ukrainischen Weltmeister-Boxer Wladimir Klitschko zum Zweikampf heraus – mit einer Waffe nach Klitschkos Wahl, wie die russische Tageszeitung Moskowski Komsomolez berichtete. Auslöser war die Meldung, dass Klitschko sich als Freiwilliger für die Verteidigungskräfte in Kyjiw angemeldet hatte.

Zum Kampf kam es nicht, nicht mit Klitschko jedenfalls. Schoga wurde wenige Tage später getötet. Er wurde 28 Jahre alt. Und auch er wird jetzt wie ein Kriegsheld gefeiert: Eine offizielle Zeremonie fand am 7. März 2022 vor dem staatlichen Opern- und Balletttheater von Donezk statt, Schogas Sarg mit einer schwarz-gold-weißen „Sparta“-Flagge drapiert. Schogas Nachfolger als Kommandeur ist sein Vater Artem. Der Krieg in der Ukraine tobt weiter und fordert immer mehr Todesopfer, Ende offen. Und „Sparta“ kämpft unter neuen Führung noch immer gegen ukrainische Streitkräfte – allem Anschein nach mit den altbekannten brutalen Methoden, die das Bataillon zum Ruhm verholfen hat.

Weiterlesen

Eine Plattform der