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Brandanschlag im Saarland Endlich Anklage gegen den mutmaßlichen Täter

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Das Rathaus in Saarlouis. Hier wurde von Aktivist*innen eine Gedenktafel für Samuel Yeboah angebracht, die noch am selben Tag auf Anordnung des Bürgermeisters entfernt wurde. (Quelle: Wikimedia / LoKiLeCh / CC BY-SA 3.0)

27 Jahre ist Samuel Yeboah alt, als er am 19. September 1991 bei einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Saarlouis-Fraulautern stirbt. Mitten in der Nacht zünden der oder die Täter die Unterkunft an. 19 Menschen leben in dem Haus, 21 Personen schlafen in jener Nacht dort. 18 davon können ins Freie fliehen. Zwei Männer werden schwer verletzt, als sie aus den Fenstern des obersten Stockwerks springen, um sich zu retten. Samuel Yeboah versucht wahrscheinlich durch das Treppenhaus zu fliehen und zieht sich schwere Verbrennungen zu. Er stirbt in derselben Nacht im Krankenhaus. Jetzt hat die Bundesanwaltschaft Anklage gegen seinen mutmaßlichen Mörder erhoben. Peter Werner S. wird Mord, versuchter Mord in 20 Fällen und Brandstiftung mit Todesfolge vorgeworfen.

Der Brandanschlag war bereits der fünfte Angriff auf Geflüchtetenunterkünfte in der Stadt seit 1987. Nur einen Monat zuvor gab es einen Anschlag auf eine Unterkunft im benachbarten Saarlouis-Roden. Und auch nach dem Mord an Yeboah kam es zu mehreren Angriffen. Doch bereits elf Monate später wurden die Ermittlungen eingestellt. Die Tat wurde nicht als rechtsextrem oder rassistisch eingestuft. Die Bundesregierung korrigierte diese Einschätzung mehrmals. Zuletzt 2009 in der Antwort auf eine große Anfrage der Partei Die Linke. Im Sommer 2020 wurde im saarländischen Landespolizeipräsidium schließlich doch noch die Arbeitsgruppe „Causa“ eingesetzt, die Fehler bei den Ermittlungen aufklären sollte. Eine 18-köpfige Sonderkommission namens „Welle“ rollte den Fall neu auf. Das Verfahren wurde an die Bundesstaatsanwaltschaft in Karlsruhe übergeben.

31 Jahre nach dem rassistischen Anschlag wurde am 4. April 2022 der mutmaßliche Mörder festgenommen: Peter Werner S., eine ehemalige Größe der lokalen Skinhead- und Neonaziszene. Bereits am 28. Januar 2021 hatten Beamt*innen die Wohnung und den Arbeitsplatz des 50-Jährigen aus Saarlouis durchsucht, der jahrelang in der Neonaziszene aktiv war. Im Februar 2021 wurde die Wohnung eines Zeugen, einem Bekannten von S., durchsucht. Festgenommen wurde der mutmaßliche Täter damals noch nicht, die Voraussetzungen für einen Haftbefehl seien nicht erfüllt gewesen. Die Polizei suchte weiterhin nach Zeugen, richtete ein Hinweistelefon ein und setzte eine Belohnung von über 10.000 Euro aus.

Der Spiegel berichtet, dass sich bereits im Herbst 2019 eine Zeugin gemeldet hatte, deren Aussage zur Wiederaufnahme der Ermittlungen führte. Die Frau berichtete der Polizei von einem Grillabend, während dem ihr ein Mann mit dem Spitznamen „Schlappi“ – so war S. in der Saarlouiser Szene bekannt – den Anschlag von 1991 gestanden habe: „Das war ich und sie haben mich nie erwischt“.

Die Bundesanwaltschaft gab am 21. Juli 2022 bekannt, dass Anklage gegen S. erhoben wird, wegen „Mordes, des versuchten Mordes zum Nachteil von 20 Menschen sowie der Brandstiftung mit Todesfolge und mit versuchter Todesfolge“.

Laut den Ermittlungen verbrachte S. den Abend vor der Tat mit weiteren Neonazis in einer Kneipe. Die Gruppe unterhielt sich über die rassistischen Übergriffe in Hoyerswerda und hoffte, dass ähnliche Taten auch in Saarlouis folgen würden. „Hier müsste auch mal so was brennen“, sagte einer der Neonazis laut einer Zeugenaussage, die im Spiegel zitiert wird. Nach Kneipenschluss zog S. weiter, zur Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis-Fraulautern, dem ehemaligen Hotel „Weißes Rößl“, „um dort aus seiner rechtsextremistischen und rassistischen Gesinnung heraus einen Brand zu legen“, heißt es von der Bundesanwaltschaft. S. sei ins Haus eingedrungen und habe im Erdgeschoss des Treppenhauses Benzin verschüttet und danach angezündet. Das Feuer verbreitete sich schnell. Samuel Yeboah wurde im Dachgeschoß von den Flammen erfasst und erlitt schwerste Verbrennungen und eine Rauchvergiftung. Wenige Stunden später starb er.

Lokale Antifa-Recherchen beschreiben S. als Führungsfigur der Saarlouiser Neonaziszene in den 1990er Jahren. Fotos zeigen den Mann als Ordner bei Neonazidemonstrationen in der Stadt. Offenbar gibt es dabei auch eine Verbindung zur Terrororganisation NSU. 1996 nahm S. am „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ in Worms teil. Etwa 200 Neonazis demonstrierten an diesem Tag, darunter auch Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben.

1997 stellte sich heraus, dass S. gegen andere Teilnehmende ausgesagt hatte, daraufhin wurde er aus der Szene in Saarlouis offenbar ausgeschlossen. Wie NPD-Kader zum rassistischen Mord an Samuel Yeboah stehen, zeigt beispielhaft ein Facebookpost von Karl-Heinz M., einem ehemaligen Beisitzer im Landesvorstand der Partei. Auf einem Selfie posiert Peter Werner S. zusammen mit der grinsenden NPD-Politikerin Ricarda Riefling, die zwischen 2014 und 2017 Vorsitzende der Partei-Organisation „Ring nationaler Frauen“ war, vor einem Plakat, das an den Tod von Yeboah erinnert.

Screenshot aus dem Facebookprofil von Karl-Heinz M.. M. benutzt offenbar den Namen eines mehrfach verurteilten NS-Kriegsverbrechers als Alias.

Antifaschistische Gruppen erinnern an Jahrestagen an den rassistischen Mord in Saarlouis. Zivilgesellschaftliche Initiativen, wie die „Aktion 3. Welt Saar“, kritisieren dabei immer wieder das Verhalten der Stadt und fordern einen zentralen Gedenkort im Stadtbild. Geschäftsführer Roland Röder: „Im Stadtbild von Saarlouis erinnert nichts an Samuel Yeboah“. Eine Initiative hat reagiert und einen virtuellen Gedenkstein mit Informationen zur Tat und dem Umgang der Stadt mit dem Mordopfer erstellt.

Im Rahmen einer Kundgebung zum zehnten Jahrestages des Anschlags im Jahr 2001 befestigten Aktivist*innen eine Gedenktafel am Rathaus der Stadt. Die Tafel wurde am selben Tag auf Anweisung des Bürgermeisters wieder entfernt. Die Stadt klagte auf Schadensersatz gegen den Anmelder der Demo. Sie gewann 2005 einen vierjährigen Prozess und erhielt 134,50 Euro.

Zum 15. Jahrestag des Mordes schlug eine Initiative die Umbenennung der Von-Lettow-Vorbeck-Straße zur Samuel-Yeboah-Straße vor. Paul von Lettow-Vorbeck wurde in Saarlouis geboren und war in der deutschen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ für den Völkermord an den Herero und Nama mitverantwortlich. 1956 wurde er zum Ehrenbürger in Saarlouis ernannt. Die Website der Stadt spricht in einem Beitrag von 2010 von „der als problematisch zu bewertenden Vergangenheit des Generals“ und verkündet, dass nach einstimmigen Beschluss des Stadtrates die Straße nunmehr nach zwei ehemaligen Bürgermeistern der Stadt benannt wird. In der entsprechenden Meldung findet sich kein Verweis auf die Initiative für Samuel Yeboah.

Bild oben: Wikimedia / LoKiLeCh / CC BY-SA 3.0

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