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Buchtipp Jetzt mal Tacheles – Über Antisemitismus in der Sprache

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(Quelle: Duden-Verlag)

Nachdem er in seinem letzten Buch über antisemitische Taten sprach, widmet sich Ronen Steinke nun den Worten. Denn beides beeinflusst sich gegenseitig; Namen und Bezeichnungen sind nicht Schall und Rauch, sondern haben Umgebungen, Assoziationen und eine Geschichte. Oder mehrere.

Steinkes kleine Schrift, die dem Dudenverlag sehr gut zu Gesicht steht, ist jedoch weder ein weiteres Lexikon jiddischer und hebräischer Lehnworte im Deutschen noch eine Liste „verbotener“ Begriffe. Statt dessen geht er dem Kontext von Redewendungen nach, in beide Richtungen: ihrer Genese und ihrer Wirkung. Woher kommen die von uns gewählten oder aus Gewohnheit benutzten Begriffe? Und was lösen sie aus – im Gegenüber, aber auch bei uns selbst? Welche Anklänge von Respekt, Humor oder Verachtung lassen sie in uns mitschwingen? Diese Fragen dekliniert Steinke an Beispielen aus verschiedenen Bereichen durch.

Das ist zuweilen erhellend und amüsant, zuweilen überraschend und erschreckend. Dass Mischpoke gar nicht so ein neutraler Begriff ist, zum Beispiel (obwohl wir beim genauen Hinhören auf unseren Bauch es ahnen konnten): Es hat mit der Konnotation zu tun, mit dem, was wir mit anklingen lassen, wenn wir statt Familie den jiddischen Begriff wählen. Warum ich hingegen getrost meschugge sein und es zugeben darf, leuchtet nun ebenso ein – unsere Sprache ist durch Lehnwörter aus dem Jiddischen und Hebräischen (wie aus vielen anderen Sprachen) reicher, bunter und treffsicherer geworden.

Nur das deutsche Unwohlsein mit dem bloßen Wort Jude selbst scheint sogar für Steinke, wenn auch erklärbar, so doch unauflöslich, es rahmt seinen Essay quasi ein. Als wäre es eine Beleidung für die Angesprochenen oder eine Provokation für die deutsche Zunge; als hätte der Holocaust Jüdinnen und Juden in Deutschland sogar ihres Namens beraubt. Hier zeigt sich auch besonders deutlich, dass das Ringen um Begriffe nicht nur nicht-jüdische Sprecher*innen angeht, sondern tatsächlich und viel mehr noch jüdische Gemeinden umgetrieben hat und noch umtreibt. Dahinter stehen immer wieder der Druck zur Assimilation, zur Unsichtbarkeit oder falsche Gleichmacherei.

Wie gewohnt umreißt Steinke seinen Gegenstand systematisch, anschaulich und zugleich kurzweilig erzählt und natürlich nicht ohne Humor. Denn auch dieser ist Teil jüdischen Kulturguts in unserer Sprache. Ebenso wie das Immer-Weiter-Fragen: Ich freue mich schon auf die Gespräche mit Ronen Steinke im Rahmen der kommenden Aktionswochen gegen Antisemitismus und habe meine Fragenliste parat.

Bis dahin all denjenigen, dies es feiern, und allen, die es nachbarschaftlich würdigen und sich daran mitfreuen, ein gutes, gesundes und süßes Neues Jahr.

Ronen Steinke: Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt. Dudenverlag 2020, ISBN 978-3-411-74512-8.

 

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