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Der Westen als Feind „Das ist nicht unser Krieg”-Graffiti 

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Plötzlich waren sie überall in Berlin zu sehen: „Das ist nicht unser Krieg“-Graffiti (Quelle: Privat)

Von Höhlenmalereien bis zum modernen Graffiti – Die Menschen hatten schon immer das große Bedürfnis, sich auch künstlerisch mitzuteilen. Graffiti, so wie wir es kennen, entstand in den 1970ern in New York City. Zuerst malte ein junger Lieferfahrer sein Kürzel „TAKI 183“ auf die Wände, was nach einem Zeitungsartikel über ihn schnell Nachahmer fand. Nun tauchten an den Wänden der ganzen Stadt eine Unmenge an „Tags“ auf. Eine globale Jugendbewegung war geboren. Ursprünglich aus den Armenvierteln von NYC stammend, war Graffiti auch immer ein Ausdrucksmittel und gab den Protagonist*innen, die, außer einem Leben in Armut, nicht viel zu erwarten hatten, die Möglichkeit bekannt zu werden und in etwas die Besten zu sein. Vielen Jugendlichen bot sich die Chance, jenseits von kriminellen Gangs Zusammenhalt zu erleben.

Trotz dieser Wurzeln ist Graffiti aber nicht automatisch links oder fortschrittlich. Rassismus, Nationalismus oder Verschwörungsglauben gibt es auch hier und organisierte Neonazis versuchen in der Graffiti-Szene Fuß zu fassen und subkulturelle Codes zu übernehmen. 

Ende Oktober 2022 tauchten in Berlin die ersten „Nicht unser Krieg“ Graffitis auf. Das Erste, welches ich aktiv wahrgenommen habe, war auf eine Supermarkt-Fassade gesprüht, direkt an einer stark befahrenen Straße in Berlin-Mitte. Anfangs nur vereinzelt, aber zum Jahreswechsel 2023, parallel zur Diskussion um die Panzerlieferungen, tauchten die Parole massenhaft an prominenten Stellen innerhalb der Ringbahn auf.

Das Graffiti in Mitte, am Tiergarten-Tunnel

Da ich als junger Erwachsener einige Jahre selber aktiv gesprüht habe, bin ich mir sicher, dass die Urheber*innen der „Nicht unser Krieg“-Graffitis entweder aktive Writer*innen sind oder es einmal waren. 

Das Schriftbild und die Spraydosen

Zuallererst zeigt sich das im Schriftbild. Es ist sehr sauber und gut zu lesen, die Buchstaben sind gleich hoch und haben einen gewissen „Swing“. Egal wie gut die eigene Handschrift ist, nachts, unter Zeitdruck an einer Hauswand eine vergleichsweise lange Parole zu schreiben, ist schwerer als viele es sich wohl vorstellen.

Zweitens: Die Dosen sind keine 0815-Spraydosen aus dem Baumarkt, wie sie im Hobbybereich verwendet werden, sondern wurden entweder online oder in einem Graffitishop gekauft. Die Farben dort sind in der Regel stärker pigmentiert und die Dosen haben deutlich mehr Druck. Ebenfalls gibt es eine Vielzahl sogenannter Caps, mit denen sich die Strichstärke vielfältig variieren lässt.

Die Orte und die Technik

Auch die Auswahl der Stellen spricht sehr für erfahrene Personen. Diese befinden sich vornehmlich an größeren Hauptstraßen oder an Orten, an denen täglich viele Menschen vorbeikommen – Zum Beispiel an der U-Bahnlinie 1, die im Innenstadtbereich größtenteils überirdisch fährt. Ebenfalls bekannt sind Graffiti, bei denen die Aktivist*innen auf gestapelte Baustellen-Container kletterten und in Höhen zwischen drei und vier Meter zur Tat schritten. Nicht zu vergessen, dass auf Baustellen oftmals auch Wachpersonal und Überwachungstechnik eingesetzt wird, was ein zusätzliches Risiko darstellt.

Am Tiergarten-Tunnel

Zu guter Letzt – Die Vielzahl an Techniken. Neben dem Sprühlack werden bei einigen dieser Graffiti auch andere Techniken genutzt. Besonders dann, wenn großflächig gearbeitet werden soll. So wurde auf einer Länge von ca. 10 Metern an der Einfahrt zum Tiergartentunnel mit weißer Farbe und Pinsel eine Parole geschrieben. Ebenfalls gibt es Werke, bei denen Pumpsprühgeräte für den Garten mit einer Mischung aus Farbe und Wasser gefüllt und verwendet wurden.

„Aus Grün wird Braun“-Graffiti

Parallel zu den „Nicht unser Krieg“-Graffiti tauchten auch weitere gesprühte Parolen auf, die zwar das gleiche Thema haben, aber sichtbar von anderen Personen kommen. Die bekannteste ist wohl „Aus Grün wird Braun“, diese wird aber nicht ganz so massiv gesprüht. Auch hier kann man erkennen, dass jemand mit einer gewissen Erfahrung am Werk ist. Die Parole erklärt sich wohl daraus, dass die Grüne Außenministerin Baerbock sich schon im Wahlkampf 2021 solidarisch mit der Ukraine zeigte und dafür massiv angegriffen wurde und wird.  Ebenfalls regelmäßig zu sehen ist der Spruch „Fuck Joe Biden“ – offenbar um die Ukraine-unterstützende Position des US-Präsidenten zu kritisieren.  

Pazifistische Graffitis?

Alle drei Parolen haben gemein, dass sie der ukrainischen Bevölkerung die Solidarität verweigern. Sind sie dennoch als pazifistische Slogans zu verstehen?

Wohl kaum. Jüngst postete der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier auf Instagram einen Audio-Mitschnitt. Darin sagt er: „Deutschland und seine Bürger haben kein Interesse daran, in einen fremden Krieg, in einen Stellvertreterkrieg hineingezogen zu werden. Das ist nicht unser Krieg.“

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Es geht bei dem Graffiti vermutlich darum, ganz beiläufig den Westen, die NATO und die USA als Feindbild zu implementieren. Es ist der Versuch, genau wie Frohnmaier es so offen sagt, den russischen Angriffskrieg zu einem Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland umzudichten. Und das Narrativ zu verbreiten, Russland würde sich ja lediglich gegen die Aggression des Westens wehren.

Das „Nicht unser Krieg“-Graffiti hat mittlerweile Nachahmer in einigen anderen Städten gefunden, etwa in Hamburg und Leipzig. Und vermutlich laufen und fahren täglich tausende Menschen an diesen Parolen vorbei. Wenn sie das Graffiti überhaupt wahrnehmen, dann wohl als pazifistische Aussage.   

Wenn euch weitere ähnliche Graffiti bekannt sind, meldet euch hier: farbintelligenz@systemli.org

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