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Die „Exklusive Heimat“ Völkische Ideologie und Ausgrenzung

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(Quelle: Pixabay)

Heimat ist en vogue. Um das festzustellen, genügt ein kurzer Blick in die Regale eines Buchladens. Es sei beispielhaft an die kürzlich erschienenen Bücher „Haymatland“ (Hayali, 2018), „Heimat. Ein deutsches Familienalbum“ (Krug, 2018), „Eure Heimat ist unser Albtraum“ (Aydemir/Yaghoobifarah, 2019), „Heimat. Ein Vorschlag zur Güte“ (Wallnöfer, 2019) und „Heimat. Geschichte eines Missverständnisses“ (Scharnowski, 2019) erinnert.

Der Publizist Christian Schüle bezeichnete die Frage „Wie hältst Du‘s mit der Heimat?“ als „Gretchenfrage der Epoche“. Krieg und Frieden, Flucht und Migration, Abschiebung und Bleiberecht: Weltweit befinden sich über 70 Millionen Menschen auf der Flucht. Geflüchtete Menschen begraben ihr vertrautes Zuhause unter den Trümmern des Bürgerkrieges und begeben sich ins Exil. Der Exodus führt ins Ungewisse.

Die Journalistin und Fernsehmoderatorin Dunja Hayali nannte Heimat ein „intimes Wort“, das ein „persönliches Geborgenheitsempfinden“ beschreibt. Ob Heimat ein Ort, ein Gefühl oder beides ist, wo Heimat entsteht und was Heimat stiftet, sind persönliche Fragen. Sie sind zu persönlich und zu privat, um sie pauschal mit „Deutschland“ beantworten zu können. In den Antworten stecken emotionale und menschliche Bedürfnisse wie Geborgenheit, Vertrautheit, sich Wohlfühlen und Zusammenhalt. Heimat könnte ein soziales Netz beschreiben. So stellte der Jurist und Publizist Heribert Prantl fest: „Heimat ist das, was Halt gibt.“

In der Heimat-Debatte wird eine wichtige Tatsache häufig vernachlässigt: Ein und derselbe Mensch kann – im Übrigen unabhängig von der eigenen Herkunft – mehrere Heimaten besitzen. Entsprechend betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Festrede zum „Tag der Deutschen Einheit“ 2017: „Heimat gibt es auch im Plural.“ Die Perspektive derjenigen, die entweder selbst eingewandert sind und/oder eingewanderte Menschen in der Familie haben, wird kaum bis gar nicht beachtet. So machte die Journalistin Ferda Ataman in ihrer SPON-Kolumne „Heimatkunde“ auf die „Wurzelmanie“ aufmerksam, die in weiten Teilen der deutschen Mehrheitsgesellschaft verbreitet ist.

Eine mutige, offensive Auseinandersetzung mit der Frage, was Heimat ist und sein sollte, ist nötig. Schließlich befinden wir uns mit den Worten Heribert Prantls „in einer Zeit der negativen Renaissance“. Deutschland-, europa- und weltweit greifen nationalistische und rassistische Parteien nach der Deutungshoheit über Zugehörigkeitsbegriffe wie Identität, Heimat und Kultur. In der Auseinandersetzung ist eine differenzierte Betrachtung des Heimatbegriffs nötig. Denn die Geschichte des Heimatbegriffs kennt zwei Erzählstränge: Der inklusive Erzählstrang bietet Menschen unabhängig von Herkunft und religiöser Zugehörigkeit eine Heimat, der exklusive hingegen macht Heimat von Herkunft und religiöser Zugehörigkeit abhängig. Es handelt sich nach Einschätzung der Vorsitzenden der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, um „zwei gegenläufige Erzählungen“.

Das exklusive Heimat-Verständnis ist ein Albtraum für gesellschaftliche Minderheiten. Denn die politische Rechte, vom rechtskonservativen Milieu bis zur Neuen und extremen Rechten, sieht die Heimat durch eine „Invasion“, durch eine „illegale Masseneinwanderung“ bedroht. Der Begriff wird für eine politische Agenda instrumentalisiert und verkommt zum politischen Kampfbegriff. Das wird bereits deutlich, wenn sich Parteien zur „Heimatpartei“ erklären.

Der Heimatbegriff ist mit Blick auf den exklusiven Erzählstrang historisch belastet: Das NS-Regime instrumentalisierte ihn, um zu bestimmen, wer im Deutschen Reich eine Heimat besaß und wer nicht. Es nahm allen voran Jüdinnen und Juden ihre Heimat durch systematische Entrechtung, Vertreibung und Vernichtung. Die Blut-und-Boden-Ideologie des Regimes war bereits im 1920 veröffentlichten 25-Punkte-Programm der NSDAP verankert: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“ Nach 1933 goss die Partei ihre antisemitische Ideologie in Gesetzesform. Die „Nürnberger Gesetze“ wurden anlässlich des 7. Reichsparteitags beschlossen. Sie bestanden im Wesentlichen aus dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ und dem „Reichsbürgergesetz“. Letzteres sprach allein „Reichsbürgern“ die vollen politischen Rechte zu. Ein „Reichsbürger“ sollte ein Staatsangehöriger „deutschen oder artverwandten Blutes“ sein, der durch sein Verhalten beweisen müsse, dass er „gewillt und geeignet ist, in Treue dem Deutschen Volk und Reich zu dienen“.

Das exklusive Heimatverständnis des Nationalsozialismus, das systematisch gesellschaftliche Minderheiten wie Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich ausschloss, ist unmittelbar mit den Entwicklungen in den vorherigen Jahrzehnten verknüpft. Die „Völkische Bewegung“, die aus deutschnationalen, rassistischen und antisemitischen Parteien und Vereinen bestand, ist der Lieferant exklusiver Ideologie und Sprache. Sie formierte sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Nach Ende des Ersten Weltkrieges wuchs die Mitgliederzahl der völkischen Vereinigungen stark an, in der Weimarer Republik zogen Völkische in Länderparlamente und in den Reichstag ein.

Das Weltbild der Völkischen fußt auf einer durch blutsmäßige Verbundenheit bestehende Gemeinschaft. Demnach ist die Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“ weder durch Zuzug noch durch das Erlernen der Sprache oder den Erwerb der Staatsbürgerschaft möglich. In der völkischen Gemeinschaft wird ein „artgemäßes Leben“ auf einem bestimmten Gebiet („Lebensraum“) angestrebt. Einwanderung (hier: der Zuzug von Menschen ohne deutsche Abstammung) bedrohe den eigenen „Lebensraum“ und führe am Ende zum Aussterben der Deutschen („Volkstod“). Die Angst entsteht aus der Idee, jedes Volk könne nur überleben, wenn es sich nicht mit anderen Völkern vermische.

Ab Mitte der 1920er Jahre wurde die Völkische durch die nationalsozialistische Bewegung weitestgehend abgelöst. Die weltanschaulichen Überschneidungen sind offensichtlich. Ohne das Völkische ist der Nationalsozialismus in Wort und Tat nicht denkbar. In dieser Zeit wurde der Begriff „völkisch“ zum ideologischen Schlüsselbegriff, das zeigt sich beispielsweise im Titel des seit 1920 erscheinenden Parteiorgans der NSDAP: „Völkischer Beobachter“.

Die völkische Ideologie lebt fort: In den letzten Jahren haben AfD, Identitäre und PEGIDA die Grenzen des Sagbaren massiv verschoben. Im Zuge der steten Radikalisierung der AfD lässt sich ein schrittweiser Versuch zur Rehabilitierung völkischer Sprache und Rhetorik feststellen. Ausgerechnet die frühere AfD-Parteivorsitzende Dr. Frauke Petry erklärte 2016, das Wort „völkisch“ müsse „wieder positiv besetzt“ werden, schließlich sei dies nur das Attribut zu „Volk“. Eine Reihe führender AfD-Politiker*innen wie der neu gewählte Bundessprecher Tino Chrupalla und der Vorsitzende der Thüringer AfD-Fraktion Björn Höcke bemühen sich um die Einspeisung völkischer Ideologie in die politische Debatte, indem sie Begriffe wie „Umvolkung“ und „Volkstod“ hoffähig machen.

Die Einspeisung derartiger Begriffe ist ein Teil dessen, was die Neue und extreme Rechte unter „Metapolitik“ versteht. Sie meint das Bestreben, den Zeitgeist in der Gesellschaft zu ändern und die Hegemonie im vorpolitischen Raum zu gewinnen. Der Kampf um die Deutungshoheit des Heimatbegriffs, den die politische Rechte durch das Instrumentalisieren des Begriffs führt, ist der Versuch, völkische Ideologie in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren. Für eine vielfältige Gesellschaft ist das brandgefährlich.

Timo Büchner studierte Politische Wissenschaften und Jüdische Studien in Heidelberg. Er volontierte in Yad Vashem (Israel) sowie im Hong Kong Holocaust & Tolerance Centre (VR China) und engagiert sich seit mehreren Jahren gegen die extreme Rechte. Sein neues Buch „Der Begriff Heimat in rechter Musik. Analysen – Hintergründe – Zusammenhänge“ erscheint im Wochenschau Verlag. Am 11.12. spricht Timo Büchner im Berliner Südblock über „Antisemitismus & völkisches Heimatverständnis im Rap der Rechten“. Weitere Informationen dazu gibt es hier

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