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Erkennen und demaskieren Rechtsradikale Twitter-Trolle, die progressive Anliegen parodieren

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CN: Dieser Artikel enthält Darstellungen queerfeindlicher Accounts

Im Rahmen der Landtagswahl von Sachsen-Anhalt im Juni 2021 geisterte ein Tweet durch das Internet, der als schlagender Beweis für linksgrünversiffte Verkommenheit und Wahlmanipulation herangezogen wurde. Er zeigt das Foto einer Gruppe Wahlhelfer:innen, die Wahlbriefe auszählen, darüber der Text: „Heute als Wahlhelfer in #SachsenAnhalt. Macht euch keine Sorge, unser ganzes Team ist darauf vorbereitet, der #fckafd keine Chance zu lassen und gegebenenfalls die Stimmen zu entwerten Wählt Grün, denn nur so geht demokratie und Umweltschutz“ (Rechtschreibung und Interpunktion übernommen). Der AfD-Politiker André Poggenburg teilte den Tweet mit der empörten Aussage: „Mein Gott, was für ein Irrsinn!“, und mit diesem Entsetzen über die Schamlosigkeit, mit der Anhänger*innen der Grünen ihre Demokratiefeindlichkeit offenlegten, lag er nicht alleine. User*innen auf Rechtstwitter und „Querdenken“- und AfD-nahen Telegram-Kanälen waren empört.

Quelle: correctiv.org

Allerdings reicht lediglich ein kurzer Blick auf den Account, um zu erkennen, dass es sich bei dem Tweet um eine bewusst von rechts eingesetzte Empörungsmasche gehandelt hatte. Der Account des vermeintlichen Wahlhelfers lässt sich der gerne mit Menschenfeindlichkeit kokettierenden Twitter-Community der sogenannten „Haider“ zuordnen – Menschen, die ihre Lebensexistenz zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf dem Mobbing des YouTubers Rainer Winkler alias „Drachenlord“ aufbauen. Dies zeigt sich am Namen, als Twitter-Handle des Users: Er nennt sich „Buttergott“, was eine Referenz auf „Buttergolem“ ist, eine beliebte Beleidigung für Winkler. Auch dass der User in seinem Namen die Verwendung von Pronomen parodiert, ist ein Hinweis darauf, dass es sich um einen Troll-Account handelt.

Ob dauerempörte AfD-Fans erkannt haben, dass es sich hier um gezielte Missinformation handelt und diese bewusst weiterverbreitet haben, oder in ihrer Wut alles zu glauben bereit sind, was ihr Weltbild unterfüttert, ist hier zweitrangig. Relevant ist, dass zunehmend rechtsradikale User*innen auf diesen Zug aufspringen, sich als progressive Menschen ausgeben, und so Ressentiments und Falschinformationen streuen wollen.

Die gängige Strategie dieser Accounts ist, fortschrittliche Positionen zu verballhornen, in dem diese auf die Spitze getrieben werden und so vorgeführt werden sollen. Beispiele hierfür sind das Verspotten von Neopronomen, das Prahlen mit auffällig häufigen Impfungen, oder das Lächerlichmachen von antirassistischen Forderungen. Dies hat einerseits eine Belustigung für den Troll und andere Eingeweihte zum Ziel, andererseits soll der*die politische Gegner*in so der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Dies trifft besonders oft Menschen, die Corona-Maßnahmen befürworten, als auch queere Personen.

Diese Aktion hat einerseits zum Ziel, dass sich die In-Group, die über die Fake-Profile und verwendeten Dogwhistles Bescheid weiß, darüber ins Fäustchen lachen kann, ihren politischen Feind durch diese Fake-Accounts lächerlich machen zu können. Andererseits dienen diese Fake-Accounts als Mittel in einem Kulturkrieg, um sowohl Mitglieder der Rechten, vor allem aber der bürgerlichen Mitte, abzuschrecken. Sie sollen den Gedanken hervorrufen, dass Impfbefürworter*innen, Klimaschützer*innen oder queere Menschen nicht ernst genommen werden können, da ihr Social-Media-Auftritt gleichermaßen fanatisch und infantil seien. Deswegen agieren diese Fake-Accounts auch regelmäßig im alltäglichen Twitter-Diskurs mit anderen User*innen, um diese zu trollen und vorzuführen – dies wird in der Community (und darüber hinaus) als „LARP“ bezeichnet – Live Action Role Play, ein Begriff, der ursprünglich aus der Reenactment- und Rollenspiel-Szene stammt. Diese Trolle würden sich selbst als „Satireaccounts“ bezeichnen, einige von ihnen sind auch recht offensichtlich als solche zu erkennen, beispielsweise wenn sie sich auf den öffentlichen Rundfunk oder Institutionen wie die Amadeu Antonio Stiftung beziehen. Andere gehen jedoch geschickter vor. Deswegen hier einige Anzeichen, an denen sich diese Fake-Accounts erkennen lassen.

Wie erkenne ich rechtsradikale Fake-Accounts?

1. Verballhornung von Gendern, Neo-Pronomen und Transgeschlechtlichkeit

Kaum etwas ist Antifeminist*innen mehr ein Dorn im Auge wie die Tatsache, dass Menschen außerhalb binärer Geschlechtervorstellungen zunehmend Sichtbarkeit einfordern. Aussagen im Stil von „Du hast deine Pronomen in deiner Twitter-Biographie, deswegen kann ich dich nicht ernstnehmen“ sind auf der Plattform an der Tagesordnung. In Bezug auf Fake-Accounts manifestiert sich dies durch ein „übereifriges“ Gendern – welches übrigens auch von nicht-binären Aktivist*innen als linguistisch falsch eingeordnet wird – oder das Lächerlichmachen von Neopronomen. Häufiger geben sich Accounts auch als transgeschlechtliche Frauen aus, um darüber Ressentiments wie das der „sexuell übergriffigen trans Frau“ zu reproduzieren.

Quelle: Screenshots Twitter

2. Prahlen mit dem Befolgen von Corona-Schutzmaßnahmen

Wie Rechtsradikale sich ihren politischen Feind vorstellen, sagt eigentlich mehr über sie selbst aus als das Feindbild. Und in der Vorstellung dieser Rechtsradikalen sind Befürworter*innen von Corona-Schutzmaßnahmen obrigkeitshörige Lauterbach-Fans, die jede ihrer Impfungen vor sich hertragen wie ein Kriegsveteran seine Orden. Dergestalt betreiben Trolle auch ihre Fake-Profile. Die vermeintlichen „Querdenken“-Gegner*innen fordern die staatlich implementierte Quarantäne für Ungeimpfte, tragen auch beim Schlafen Masken und haben die sechste Impfdosis intus. Dies ist nicht einmal gute Satire oder Trolling, sondern primär Projektion. Maßnahmengegner*innen machen hier sehr deutlich, dass sie Aufforderungen zu Rücksichtnahme und Solidarität nur als Angriff auf ihren (falschen) Freiheitsbegriff, nämlich ungestört ein potenziell tödliches Virus zu verbreiten, begreifen können.

Quelle: Screenshot Twitter

3. Bezüge auf den „Drachenlord“, den YouTuber Rainer Winkler

Die Hegemonie innerhalb der deutschen Troll-Community haben wohl zweifelsohne die sogenannten „Haider“ – Anti-Fans des zweifelsohne ausgesprochen problematischen YouTubers Rainer Winkler, der unter dem Namen „Drachenlord“ bekannt ist. Wenig überraschend ist eine Szene, die ihre Existenz auf dem systematischen Mobbing eines mit diversen Problemen belasteten Mannes aufgebaut hat, nicht gerade eine Wiege von Emanzipation und Akzeptanz. Neben dem Abarbeiten an Winkler vertreibt sich augenscheinlich ein Teil der „Haider“ die Freizeit mit dem Trolling von Aktivist*innen oder marginalisierten Menschen. Ganz hinter ihrer Rolle verschwinden wollen sie nicht – immer wieder finden sich konkrete Bezüge auf Winkler und die „Haider“, die hier als Dogwhistles fungieren. Recht eindeutige Hinweise sind:

  • „Emskirchen“ oder „Altschauerberg“ als Wohnortsangabe, hierbei handelt es sich um die ehemalige Adresse von Winkler
  • Bezüge auf einen blauen Ford Ranger, das Auto von Winkler
  • Ausschreiben von Begriffen im fränkischen Dialekt, da dies immer wieder ein Gegenstand der Belustigung für „Haider“ darstellt
  • Bezüge auf geflügelte Worte in der Szene, wie „Mett“ (das als Synonym für „wütend“ verwendet wird und zum Meme geworden ist) oder „Digger“ (Bezeichnung für Winkler)
  • Eingedeutschte Verwendung von Meme-Slang („Pfostieren“ statt „Posten“, „basiert“, etc.)
  • Imitation des Sprachduktus von Winkler („Hass sprechen tun“ als Begriff für „Hatespeech“)

4. Generelles Überziehen von „Gutmenschen“-Positionen

Trolle kokettieren immer wieder mit dem eigenen Zynismus und Nihilismus. Sich nicht mit dem Elend der herrschenden Verhältnisse abfinden wollen, scheint ihnen unvorstellbar – und deswegen müssen sie sich darüber lustig machen. Der Hauptfeind von Möchtegern-Nietzscheaner*innen ist und bleibt, was auch immer sie sich unter dem „Gutmenschen“ vorstellen. Dies zeigt sich in den Accounts, die linke Aktivist*innen parodieren sollen. Um das rechtsradikale Klischee von Aktivist*innen als „Kindern aus gutbürgerlichem Elternhaus“ zu bedienen, tragen diese Accounts oftmals Namen, die stellvertretend für dieses Milieu gelten – Sören oder Louisa, und Doppelnamen als Nachnamen. Jede legitime Aussage wird auf eine lächerlich anmutende Spitze getrieben: aus der Forderung, strukturellen Rassismus zu überwinden, wird ein Satz wie „Weiße Menschen müssen sich persönlich bei allen PoC entschuldigen“, aus einer Kritik am Klimawandel die Forderung, niemand solle mehr heizen dürfen. Ein Beispiel für die Perfidie, die ein derartiges Trolling annehmen kann, war die von rechtsradikalen YouTubern ins Leben gerufenen Kampagne „AmanRD“. Dort wurde dazu aufgefordert, linke Fake-Accounts anzulegen, um die weißen Vorstände des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu kritisieren, aber durch ein infantiles Auftreten und Forderungen wie „unqualifizierte PoC in die Vorstände, um gegen Rassismus anzukämpfen“ eine notwendige Kritik zu delegitimieren.

Quelle: Screenshots Twitter

5. Follower und Interaktionen

Im Zweifel hilft immer ein Blick auf die Accounts, mit denen das mutmaßliche Troll-Profil interagiert. Dies ist immer ein recht eindeutiger Beweis. Wem folgt der Account? Wer folgt dem Account? Wer retweeted die Inhalte? In der Follower-Liste von demokratisch denkenden Menschen werden sich wahrscheinlich selten Accounts mit Namen wie „EliteHaider88“ oder Biographien wie „Hass sprechender Beta-Male“ finden. Stellenweise reicht schon ein Blick in die Retweets. Wenige der Trolle nehmen ihr LARP ernst genug, um darauf zu verzichten, auf die neuen Folgen rechtsradikaler Podcasts wie der „Honigwabe“ hinzuweisen oder rassistische Propaganda zu verbreiten.

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