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Erklärt Warum ist der Holocaust ein singuläres Menschheitsverbrechen?

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Mahmoud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, beantworten nach ihrem Gespräch auf einer Pressekonferenz Fragen von Journalist*innen. (Quelle: picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm)

 

Der Holocaust ist ein singuläres, beispielloses Menschheitsverbrechen.

Im Holocaust sind sechs Millionen jüdische Menschen in Europa während des Zweiten Weltkriegs systematisch ermordet worden, weil Nationalsozialisten sie als Feindbild ansahen und auslöschen wollten. Damit haben die Nationalsozialisten einem mörderischen Antisemitismus, den es auch in anderen Zeiten und Teilen der Welt gab, auf eine neue Stufe des Vernichtungswillens gehoben: Die Nationalsozialisten verfolgten einen eliminatorischen Antisemitismus. Der Holocaustforscher Saul Friedländer spricht sogar von einem Erlösungsantisemitismus, weil die Nationalsozialisten dachten mit der Vernichtung des Judentums die Welt von dem Bösen zu erlösen. Vertreter des NS-Regimes haben auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 explizit über die systematische Ermordung aller Jüdinnen und Juden weltweit beraten. In Europa hatten sie da bereits mit den Morden begonnen. Die Erfassung, Inhaftierung und Ermordung der Jüdinnen und Juden Europas wurde dann mit generalstabsmäßiger Planung und industrieller Präzision umgesetzt. Der einzige Grund, diese Menschen umzubringen, waren jüdische Großelternteile. “Alle und überall” (Dan Diner) hieß die Devise: deshalb wurden zum Beispiel kleine Jüdische Gemeinden noch von griechischen Inseln in die Vernichtungslager deportiert als der Krieg schon lange als verloren gelten konnte.

Es gibt weitere grausame Genozide in der Menschheitsgeschichte, die ebenfalls bearbeitet werden müssen. Aber die totale und globale Dimension – es sollte hinterher schlicht keine Jüdinnen*Juden mehr geben – unterscheidet den Holocaust von anderen Genoziden. So etwas gab es so vorher noch nie, weshalb auch von der Präzedenzlosigkeit gesprochen wird. Es war schlicht nicht zu glauben, ein Zivilisationsbruch (Dan Diner).

„Holocausts“ im Nahostkonflikt?

Der Nahostkonflikt ist ein gewalttätig ausgetragener Konflikt um das Staatsgebiet Israels. Gewalttaten im kriegerischen Konflikt sind kein Holocaust, weil jegliche umfassende Vernichtungsdefinition und industriell organisiert Umsetzung fehlen. Sie sind nicht einmal ein Genozid, da das Ziel nicht ist, alle Menschen in Palästina zu ermorden, sondern um Gebietsansprüche zu streiten.

Wenn der palästinensische Ministerpräsident von „Holocausts“ gegen Palästinenser*innen spricht, betreibt er Täter-Opfer-Umkehr. Er dämonisiert damit nicht nur israelische Gewalt im Konflikt zu einer Dimension, die sie nicht einmal ansatzweise hat. Israel wurde als Folge des Holocausts begründet: Um Jüdinnen*Juden einen Zufluchtsort vor Antisemitismus und mörderischer Verfolgung weltweit zu schaffen, damit sich ein Holocaust nicht mehr wiederholen könne. Nun zu sagen, was der Staat Israel mit Palästinenser*innen mache, sei das Gleiche oder sogar schlimmer weil Holocaust im Plural, stellt die Jüdinnen*Juden in Israel auf eine Stufe mit den Tätern im Nationalsozialismus. Das ist keine Kritik an politischer Praxis der israelischen Regierung, es ist eine antisemitische Dämonisierung von Jüdinnen*Juden. Zugleich relativiert Abbas mit seiner Aussage auch den Holocaust, der nicht in seiner massenmörderischen, eliminatorischen Dimension wahrgenommen wird, sondern wie etwas, was sich ständig wiederholen würde.

Was hätte Bundeskanzler Olaf Scholz also sagen können? Etwa:

„Wenn Sie hier von ‘50 Holocausts’ reden, ist das eine Holocaust-Relativierung. Mit Bezug auf Israel auch noch eine antisemitische Täter-Opfer-Umkehr. Wenn sie die Bühne im Bundeskanzleramt nutzen, um den Holocaust zu relativieren und Antisemitismus zu verbreiten, ist dieser Besuch zu Ende. Mit antisemitischer Täter-Opfer-Umkehr schließen Sie sich selbst aus dem Diskurs aus.“

Und warum gerade „50 Holocausts“?

Die „50 Holocausts“ sind nicht etwa eine Zählung von Vorfällen, sondern ein Zahlenspiel. Mahmud Abbas antwortet hiermit ja auf die Frage, ob er sich nicht für das Attentat der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“  auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen in München entschuldigen möchte, bei dem vor 50 Jahren alle elf israelischen Geiseln ermordet wurden und ein Polizist getötet. Abbas entschuldigt sich nicht, sondern antwortet stattdessen, dass es auch ständig palästinensische Tote gäbe – in „50 Holocausts“. Die Zahl ist also eine Erfindung, aber auch eine Verhöhnung der Angehörigen der Opfer des München-Attentats, die in Deutschland bis heute um Aufklärung kämpfen – auch um die Frage, inwieweit die palästinensische Regierung darin verwickelt war.

Und der Apartheids-Vorwurf?

Zuvor hatte Abbas Israel ja bereits vorgeworfen, ein „Apartheidssystem“ installiert zu haben. Auch das ist eine antisemitische Erzählung, dass es dem israelischen Staat in seinem Handeln in Wirklichkeit um die bewusste und rassistische Diskriminierung und Unterdrückung von Palästinenser*innen gehe, nicht um ein friedliches Zusammenleben von Jüdinnen*Juden und Palästinenser*innen. Dies hatte Scholz immerhin als „nicht geeignete Formulierung“, die er sich „ausdrücklich“ nicht zu eigen mache, zurückgewiesen.

 

Mehr lesen:

  • Die Einzigartigkeit der Shoah:Kein Völkermord unter vielen (Deutschlandfunk Kultur)
  • Pressekonferenz mit Palästinenserpräsident Abbas wirft Israel »Holocaust« vor – Scholz schweigt (Spiegel.de)
  • Nach Amnesty-Bericht Warum Israel kein Apartheidstaat ist (Belltower.News)
  • „Ein Verbrechen ohne Namen“ – Argumente zum „Historikerstreit 2.0″ (Belltower.News)

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