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Erklärt Warum ist es antisemitisch, wenn sich „Impfgegner*innen“ einen Davidstern mit „Ungeimpft“ an die Brust stecken?

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Im Onlineshop eines rechtsextremen Agitators aus Halle gibt es die "Ungeimpft"-"Judensterne" als Autoaufkleber und Anstecker. (Quelle: Screenshot)

Die „Sächsische Zeitung“ beschäftigt sich heute in einem Bericht mit dem Vorfall, dass bei der Bekleidungsfirma „Spreadshirt“ ein T-Shirt-Design mit dem „Ungeimpft“-Stern hochgeladen wurde – und die Firma dies gelöscht hat, als sie von Nutzer*innen darauf aufmerksam gemacht wurde. Im Bericht heißt es: „Das umstrittene Design, das auf der Internetseite der Leipziger Onlinefirma Spreadshirt auf T-Shirts und Hoodies angeboten worden war, sorgte am Wochenende in sozialen Medien für Aufregung. Twitter-Nutzer nannten das Motiv antisemitisch.“ Ist der „Ungeimpft“-„Judenstern“ ein „umstrittenes Design“? Was ist daran antisemitisch?

Was ist ein Davidstern?

Der Davidstern ist ein Hexagramm-Symbol mit religiöser Bedeutung. In der Antike hieß er noch „Siegel Salomons“ und war ein Talisman und Schutzsymbol verschiedener Religionen. Zum „Davidstern“ wurde er nach einer mittelalterlichen Legende um König David, der von einem Hexagramm-Schild, dass die Macht Gottes verkörperte, geschützt worden sein soll. Der Davidstern besteht aus zwei ineinander verwobenen gleichseitigen Dreiecken, deren Mittelpunkte identisch sind. Ab dem 17. Jahrhundert wird er als Symbol für das Judentum verwendet – von Jüdinnen und Juden selbst. Mit der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 wird der Davidstern zum Emblem der Nationalflagge Israels.

Was ist ein „Judenstern“?

Schon im Mittelalter gab es antisemitische Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden im Europa. Einige christliche Fürsten zwangen Jüdinnen und Juden, ihre Religionszugehörigkeit durch einen gelben Flicken auf ihrer Kleidung kenntlich zu machen, um sie von der christlichen Bevölkerung zu trennen und abzuwerten.

Quelle: Wikipeda, CC BY-SA 3.0

Der Nationalsozialismus trieb den seit Jahrhunderten in Europa verbreiteten Antisemitismus in die mörderischste Konsequenz. Ab 1933 begann eine gezielte soziale Ausgrenzung, Diskriminierung und Demütigung der jüdischen Minderheit in Deutschland. Ab dem 1. September 1941 mussten Personen, die nach den nationalsozialistischen Rassegesetzen („Nürnberger Gesetze“ von 1935) als Juden und Jüdinnen galten, zwangsweise eine abgewandelte Version des Davidsterns, den so genannten „Judenstern“ („Gelben Stern“), an ihrer Kleidung tragen, um öffentlich als Juden kenntlich zu sein. Im „Judenstern“ stand in geschwungenen Buchstaben „Jude“, was die hebräische Schrift verhöhnen sollte.

Die Folgen waren nicht nur soziale Ausgrenzung und Demütigung, sondern auch Beschränkungen im Alltag, die bei der Einführung des „Judensterns“ von den Nationalsozialisten angeordnet wurden, wie z.B. Einschränkungen im Zugang zu Waren, bei der Benutzung von Verkehrsmitteln oder Zutrittsverbote für Orte mit „Judenbann“.

Der „Judenstern“ an der Kleidung war die Kennzeichnung für die beginnenden planmäßigen Judendeportationen in die von den Nationalsozialisten eingerichteten Ghettos, Konzentrationslager und Vernichtungslager in Osteuropa. Der „Judenstern“ war somit eine öffentlich sichtbare Maßnahme zur Durchführung des Holocausts.

Warum heften sich Hygienedemonstrations-Teilnehmer*innen selbst „Judensterne“ mit der Aufschrift „ungeimpft“ an?

Die Menschen, die die gelben „Ungeimpft“-Sterne tragen, protestieren gegen einen vorgeblichen staatlichen Impfzwang, den es in Deutschland allerdings bisher nicht gibt und der auch nicht geplant ist. Das Impfen gegen Krankheiten mit schweren, oft tödlichen Verläufen wird Menschen in Deutschland empfohlen, um die Bevölkerung vor übertragbaren Krankheiten zu schützen. Allerdings steht es allen Menschen frei, sich selbst oder ihre Kinder impfen zu lassen oder nicht. Wenn sich allerdings viele Menschen nicht mehr impfen lassen, weil sie Krankheiten für nicht mehr gefährlich halten, die erst durch die Impfungen ausgerottet werden konnten, überlegt der Staat sich bisweilen Maßnahmen. So wurde etwa im November 2019 das „Masernschutzgesetz“ beschlossen, das besagt, dass Kinder, die Kitas oder Schulen besuchen, gegen Masern geimpft oder bereits immun sein müssen, ebenso Erzieher*innen und Lehrer*innen (ausgenommen sind Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können). Impfen die Eltern ihren Kinder nicht, können sie Kitas nicht besuchen. Bei den Schulen geht die Schulpflicht vor, allerdings müssen sich die Eltern dann auf Bußgelder einstellen. Trotzdem gibt es auch hier keinen Impfzwang. Es ist eine Entscheidung.

Mit diesem Text wird der Aufkleber (Titelbild) beworben. Hier wird nicht nur der dramatische Impetus der antisemitischen Impfgegner*innen klar – sondern auch die Verknüpfung mit weiteren Verschwörungsideologien.

Angesichts der Coronavirus-Pandemie gab es im Entwurf eines Infektionsschutzgesetzes die Überlegung von Gesundheitsminister Jens Spahn, einen Immunitätsausweis für diejenigen einzuführen, die das Virus bereits überstanden haben und damit Antikörper besitzen. Dies allerdings wurde im Bundestag kritisch debattiert – und ist vom Tisch. Das gilt allerdings nicht in verschwörungsideologischen Kreisen und „Alternativmedien“ – hier wird ein vorgeblicher „Impfzwang“ als Realität verhandelt. Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, befürchten in diesen wahnhaften Kreisen Einschränkungen für ihre Freiheitsrechte und für ihr Leben, die es gar nicht gibt und auf absehbare Zeit auch nicht geben wird. Sie befürchten etwa, ohne dass es bisher dafür eine Grundlage gäbe, nicht mehr frei reisen zu dürfen, Geschäfte und Restaurants betreten zu dürfen u.ä. – und sehen hier eine Parallelität zu Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus.

Demonstrationsbild aus Berlin vom vergangenen Wochenende, Bericht hier.

Diese schon völlig unangemessene Assoziation drücken sie allerdings nicht in Worten aus, sie wählen auch noch ein Symbol von maximaler Provokationskraft: Indem sie sich mit dem nationalsozialistischen „Judenstern“ markieren, beziehen sie sich eindeutig damit auf den industriell organisierten Massenmord an Jüdinnen und Juden. Damit setzen sie nicht nur sich selbst in die Rolle angeblich unschuldig Verfolgter und die angegriffene demokratische Politik mit der des Nationalsozialismus gleich – sondern verhöhnen die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus.

Warum ist das antisemitisch?

Wenn „Impfgegner*innen“, die aktuell durch nichts in ihrem eigenen und frei selbstgewählten Handeln gehindert werden, sich durch die Nutzung dieser eindeutigen Symbolik gleichsetzen mit Jüdinnen und Juden, die im Nationalsozialismus nach den „Nürnberger Gesetzen“ mit dem „Judenstern“ für die Ermordung im Holocaust markiert wurden, ist nicht nur zynisch, geschmacklos oder „umstritten“.  Es ist eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus, und es ist eine Verharmlosung des Holocausts. Wer das tut, handelt antisemitisch.

Die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus fällt in Deutschland übrigens nicht unter die Meinungsfreiheit, sondern ist aufgrund der deutschen Geschichte eine Straftat, wenn dadurch der öffentliche Frieden gefährdet wird. Die „Impfgegner*innen“ werden argumentieren, dass sie diese Verharmlosung nicht im Sinn gehabt haben – sie wollten wohl eher die gefühlte eigene Dramatik ausdrücken. Trotzdem machen sie praktisch nichts Anderes, weshalb in Leipzig auch die Polizei ermittelt, ob hier eine Strafbarkeit vorliegt. Doch selbst, wenn die Polizei den öffentlichen Frieden hier nicht (genug) gefährdet sähe – „Impfgegner*innen“ als „neue Juden“ von heute darzustellen ist eine antisemitische Tat, die wir auch so klar benennen sollten.

Update vom 02.06.20

Die Stadt München hat das Tragen eines solchen „Ungeimpft“-Sterns verboten. Bereits am Samstag sei dies Teil der Auflagen für die Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 gewesen. Bei Verstoß gegen den nun zusätzlich geltenden Teil der Versammlungsbestimmungen drohe ein Bußgeld. Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, hatte ein solches Vorgehen bereits in der Vorwoche gefordert.

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