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Hardcore-Punk – Wie ursprünglich linke Musik für Rechtsextreme adaptierbar wird

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Titelbild des Buches "Out of step - Hardcore-Punk zwischen Rollback und neonazistischer Adaption" von Ingo Taler (Quelle: Unrast-Verlag)

Der Attentäter Wade Page bezeichnete die Musik seiner Band „End Apathy“ auf seiner Webseite als „rassistisches White Power-Trio mit Punk- und Metal-Wurzeln“. Eine rechtsextreme Hardcore-Bandszene wächst auch in Deutschland und Europa. Sie versucht, die ursprünglich emanzipatorische, eher linke Subkultur Hardcore-Punk zu unterwandern und eine rechtsextrem-rassistische Parallelszene aufzubauen – inklusive eigener Netzwerke für Konzerte und Festivals. Ingo Taler hat in seinem Buch „OUT OF STEP- Hardcore Punk zwischen Rollback und neonazistischer Adaption“ die Wurzeln dieser Entwicklung untersucht.

In einem früheren Interview mit dem Sikh-Attentäter Wade Page beschreibt dieser seine Musik als Versuch als „traurigen Kommentar an einer kranken Gesellschaft und an deren Problemen, welche wirklichen Fortschritt hemmen“. Das könnte auch auf einer der Webseite einer linksgerichteten oder „unpolitischen“ Hardcore-Punk Band stehen. Welche Anknüpfungspunkte in der Hardcore-Punk Szene gibt es für rechte Ideologien?

Ingo Taler: Nun, in der Hardcore-Punk-Szene lassen sich eine ganze Reihe von ideologischen Anknüpfungspunkten zur extremen Rechten finden. Angefangen beim Männlichkeitswahn, der sich auf den Konzerten im „violent dancing“ widerspiegelt. Brutale Circle Pits und aus dem Kampfsport entliehene High-Kicks bilden den Rahmen für die Selbstdarstellung von rücksichtslosen „Tänzern“, die bewusst die Verletzung des herumstehenden Publikums in Kauf nehmen. Die Gewaltverherrlichung der HC-Punk-Szene spiegelt sich auch in martialischen Bandnamen wie „Knuckledust“, oder durch die Abbildung von Waffen auf Platten-Covern und T-Shirts, wider. Dass hinter der martialischen Gewaltverherrlichung häufig mehr als nur ein fiktives Image steckt, stellte zuletzt der ehemalige Bandleader der US-amerikanischen HC-Punk-Band „Cro-Mags“, Harley Flanagan, unter Beweis. Im Vorfeld einer für den 6. Juli angekündigten Show der „Cro-Mags“in New York attackierte er aus Verärgerung darüber, dass die Band „seine“ Songs ohne ihn spielt, zwei aktuelle Bandmitglieder mit einem Messer und verletzte sie. Die Gewalt auf Shows ist auch der Hauptgrund dafür, dass sich abseits der linksradikalen politischen „Do-It-Yourself“ (DIY) – Szene nur wenige „Tough Girls“ als Ausnahme in der Männerdomäne HC-Punk behaupten. Der männliche Chauvinismus der Szene spiegelt sich auch in dem Feindbild der Emos wider, die als „das neue schwul“ bezeichnet werden. Androgynität und der als „weinerlich“ wahrgenommene Gesang von Emotional („Emo“) – Bands passen nicht ins Männlichkeitsbild der Machos und bilden die Basis einer zunehmend stark verbreiteten Homophobie, die bis zum Aufruf zum Mord von Emos reicht. Gegen Homosexuelle und Abtreibungen sprechen sich auch viele christliche HC-Punk-Bands aus, die besonders in den USA durch den Einfluss der Evangelikalen an Bedeutung gewonnen haben.

Ein  reaktionäres Rollback innerhalb der HC-Punk-Szene lässt sich auch anhand des zunehmenden Patriotismus und Unterstützung  des Militärs feststellen, das besonders nach den terroristischen Anschlägen von 9/11 zugenommen hat. Exemplarisch lässt sich das an einem Werbetext für ein, von der US-amerikanischen HC-Punk-Band „Defeater“ und dem Bostoner HC-Punk-Label „Bridge Nine Records“ im letzten Herbst angebotenen, Benefiz-T-Shirt für das Wounded Warrior Projekt anführen, in dem die im Irak- und Afghanistan-Krieg verletzten US-Soldaten  als „Helden, die für die Freiheit der Nation kämpfen“ bezeichnet werden. Um die  „Nation“ sorgte sich bereits schon 1996 die aus Cleveland stammende US-amerikanische Band One Life Crew im Song „Pure Disgust“, mit dem sie zum Kampf gegen „illegale Einwanderer“ aufruft. „Drecke verdammte Blutsauger, ihr müsst raus. Benutzt dieses Land nicht für gratis Leistungen. Ihr bringt eure Krankheiten mit – steckt unser Volk nicht an. Wir bezahlen mit unserem Geld nicht für eure Trittbrettfahrerei“, heißt es in dem rassistischen Song, der konsequenterweise 2010 von der italienischen White-Power-Hardcore-Band „Still Burning Youth“ gecovert wurde.  Solch unverhohlen rassistische Songtexte gehören in der HC-Punk-Szene aber bislang zu den extremen Ausnahmefällen, stattdessen lassen es die meisten der heutigen HC-Punk-Bands an eindeutigen Songbotschaften fehlen und verwenden überwiegend universell interpretierbare Songtexte und Metaphern, mit denen sich dann auch Neonazis identifizieren können. Dies sind jetzt nur einige Beispiele um zu verdeutlichen, dass es innerhalb der HC-Punk-Szene ganz klar Anknüpfungspunkte an die Ideologie der extremen Rechten gibt.

Wade Michael Page war kein unbekannter in der Szene und teilweise sogar in der bekannten White Power Hardcore Band „Blue eyed devils“ aktiv. Er kam durch Festivals und Konzerte in Kontakt mit der White Power Nazi-Szene. Wie aktiv ist die rechtsradikale Hardcore-Punk Szene in Amerika und in Europa zur Zeit?

Nun, die „White-Power“-Hardcore-Szene ist sehr Jahren recht aktiv und hat sich inzwischen auch in Europa etabliert. Dabei ist der „White-Power“-Hardcore-Stil im Vergleich zu den „Rock against Communism“ (R.A.C.) – Bands der neonazistischen Skinhead-Szene in Europa noch ein recht „junger“ Musikstil und hat sich erst Ende der 1990er Jahre auch in der europäischen Rechtsrock-Szene verbreitet. Auslöser dazu war die erste Europa-Tournee der US-amerikanischen Neonazi-Band „Blue Eyed Devils“1997, die einen regelrechten Hardcore-Boom ausgelöst hatte. Inzwischen hat sich eine eigenständige europäische „White-Power“-Hardcore-Szene entwickelt, die längst aus dem Schatten ihrer US-amerikanischer „Vorbilder“ getreten ist. Die gestiegene Wertschätzung der US-amerikanischen „White-Power“-Hardcore-Szene für die europäische Szene spiegelte sich vor Jahren bereits in dem internationalen Bandprojekt „Fear Rains Down“ (USA/BRD/CZ) wider, zu dessen Besetzung u.a. der Sänger der deutschen „White-Power“-Hardcore-Band „Daily Broken Dream“ und der Gitarrist der US-amerikanischen „Kultband“ „Blue Eyed Devils“ gehörten. Neben ihren Aktivitäten als Musiker arbeiteten sie auch als Betreiber der Rechtsrock-Label „Until The End Records“ (Magdeburg) und „Final Stand Records“ (USA) zusammen, die sich gänzlich auf die Produktion von „White-Power“-Hardcore spezialisiert hatten und diverse Tonträger als Gemeinschaftsproduktion produzierten. Während „Until The End Records“ inzwischen vom größten deutschen Rechtsrock-Label „PC Records“ (Chemnitz) übernommen wurde, das lediglich noch den Backkatalog von „Until The End Records“ weiter verkauft, hat auch „One People One Struggle Records“ ( Dresden), ein Label, das ursprünglich für die deutschen „White-Power“-Hardcore-Bands „Moshpit“ und „Brainwash“ ins Leben gerufen wurde, sein Repertoire erweitert und produziert inzwischen auch R.A.C. – Alben. Ein sich einzig auf die Produktion von „White-Power“-Hardcore-Bands spezialisiertes Label scheint sich in Deutschland momentan nicht zu rentieren, obwohl die deutsche Rechtsrock-Szene über mehr als ein Dutzend „White-Power“-Hardcore-Bands verfügt. Zu den populärsten Vertretern gehören „Moshpit“, „Brainwash“, „Burning Hate“, „Hope For The Weak“und „2 Minutes Warning“, während es in den USA nur noch wenige kontinuierlich aktive „White-Power“-HC-Bands wie z.B. „Empire Falls“ gibt.

Was die Anzahl von Bands, Platten-Labeln, Versänden und veranstaltete Konzerte betrifft, so hat die europäische „White-Power“-Szene die US-amerikanische Szene inzwischen längst eingeholt und überholt. Bei der Veranstaltung von Konzerten spielt vor allem die ungarische und italienische Rechtsrock-Szene in Europa eine Rolle, wobei sich dies nicht nur auf die „White-Power“-Hardcore-Szene beschränkt, sondern allgemein für  die Veranstaltung von Rechtsrock-Konzerten zutrifft. Auch in Ungarn, Bulgarien und Russland existiert eine aktive „White-Power“-Hardcore-Szene, die international vernetzt ist und vor allem durch diverse Homepages aktiv ist.

Anscheinend agieren vor allem rechte Hardcore-Punk-Bands zunehmend subtiler und verpacken ihre Message nicht mehr so direkt, wie dies bei „alten“ Nazi-Rock-Bands der Fall war. Welche Gefahren gehen von den Bands und deren Texten aus; wie werden Menschen aus der Grauzone angelockt und agitiert, Menschen zu töten?

Ein Großteil der heutigen „White-Power“-Hardcore-Bands benutzt universell interpretierbare Songbotschaften und verwendet Metaphern, sodass sie nicht mehr auf den ersten Blick als Rechtsrock-Band zu erkennen sind und keine direkte Form der Agitation betreiben. Dies unterscheidet sie grundsätzlich vom Großteil der übrigen Rechtsrock-Bands, die weiterhin unverhohlen rassistische, antisemitische und offen neonazistische Botschaften verwenden. Die Gefahr, die von diesen „White-Power“-Hardcore-Bands ausgeht, besteht darin, dass sie durch diese Form der „Verpackung“ auch eine Verbreitung abseits der Rechtsrock-Szene finden und HC-Punks für die extreme Rechte rekrutieren können. Gerade über Themen wie Kapitalismuskritik, Tierrechte und den drogenfreien Straight Edge-Lifestyle versuchen Neonazis an die HC-Punk-Szene anzuknüpfen, und darüber auch Fuß in der HC-Punk-Szene zu fassen. Anders verhält es sich bei den „Grauzonen-Bands“ der HC-Punk-Szene, die ihrerseits durch reaktionäre Songbotschaften rechte Ideologie transportieren und personelle Kontakte zur extremen Rechten unterhalten. Die Aufstachelung zu Hass und Mord stellt durch die „Entmenschlichung“ der Opfer grundsätzlich eine Gefahr zur Gewaltbereitschaft dar, wobei vor allem Neonazis nach dem Konsum von Rechtsrock zu Gewalt neigen und dabei auch nicht vor Mord zurückschrecken, wie die mehr als 180 von Neonazis ermordeten Todesopfer seit der Wiedervereinigung in Deutschland trauriger weise unter Beweis stellen. 

Wie genau kam es zum Abdriften in reaktionäre „FUCK PC“-Attitüde und einer Entpolitisierung von einem Großteil der Szene? Welche Konflikte gab es innerhalb der Szene, die dazu führten?

Zur „Entpolitisierung“ der HC-Punk-Szene hat besonders die „Kommerzialisierung“ beigetragen, wodurch Hardcore-Musik populärer wurde und sich die Szene verbreitete. Durch die Vergrößerung der HC-Punk-Szene, die auch schon vor der Kommerzialisierung keine homogene Gruppierung darstellte, änderte sich auch die Attitüde der HC-Punk-Szene. Rebellierte HC-Punk anfänglich noch gegen Autoritäten wie den Staat, das Militär und die Regierung, so gibt es heute kaum noch verbindende „Feindbilder“ mehr.

HC-Punk hat sich von einer „sozio-politischen Gegenkultur“ gegen den Mainstream zu einer Populärmusik mit rebellischen Anstrich entwickelt. Ein Großteil der HC-Punk-Konzerte findet inzwischen in kommerziellen Clubs und Discotheken statt, die eine andere „Türpolitik“ als alternative Jugendzentren oder Autonomen Zentren verfolgen und damit auch für andere Rahmenbedingungen gesorgt haben. In einer HC-Punk-Band zu spielen schließt heute auch nicht mehr aus, mit seiner Musik auch Geld verdienen zu können. Und auch wenn die wenigsten HC-Punk-Bands in der Lage sind, von ihrer Musik wirklich ihren Lebensunterhalt davon zu bestreiten, so haben sich die Rahmenbedingungen doch entscheidend verbessert. Es ist nicht mehr notwendig ein eigenes Label zu gründen, oder mit Label-Betreibern befreundet zu sein, um eigene Tonträger veröffentlichen zu können. Genauso wenig ist es notwendig, eigene Shows zu organisieren, um Konzerte spielen zu können. Es gibt inzwischen professionelle Booking-Agenturen, die Tourneen und Konzerte veranstalten und dadurch großen Einfluss auf die Szene nehmen. Ein Großteil der Szene konsumiert nur noch und ist in keinen Szene-Strukturen und Projekte mehr eingebunden und sieht den Besuch von Shows als bloße „Unterhaltungsform“ an und ist dabei nicht sonderlich an Politik interessiert. Der „Spaß“ steht im Vordergrund und der hört für viele HC-Punks auch nicht bei Diskriminierungen auf. So besitzt z.B. die populäre US-amerikanische HC-Punk-Band „Agnostic Front“noch immer ein „linkes Image“, obwohl sie im Song „Public Assistance“ gegen den Missbrauch von Sozialhilfe hetzt. Auch zunehmender Sexismus ist Ausdruck einer „Fuck PC“ – Attitüde, wie ihn zuletzt die deutsche HC-Punk-Band „Fallbrawl“dokumentierte, als sie ein Video von sich mit Striptease-Tänzerinnen veröffentlichte. Die „Fuck PC“ – Attitüde spiegelt letztendlich den gesellschaftlichen Zeitgeist wider, der auch vor der HC-Punk-Szene nicht halt macht.  

Es gab Initiativen wie GOOD NIGHT WHITE PRIDE oder LETS FIGHT WHITE PRIDE, welche zumindestens für Außenstehende ein Zeichen setzen wollten.

Ja, und dieses Zeichen war auch notwendig und richtig! Gerade die Ende der 1990er Jahre entstandene Kampagne „Good Night White Pride“ war eine wichtige Reaktion, mit der auf die zunehmende Präsenz von Neonazis auf HC-Punk-Konzerte reagiert wurde. Allerdings verkümmerten die Kampagnen zu „plakativen Slogans“, ohne dass sie eine nachhaltige Auseinandersetzung über die zu kritisierenden Inhalte in der HC-Punk-Szene auf den Weg gebracht hätten. Neonazis verwendeten zeitweise sogar das Logo der „Good Night White Pride“ – Kampagne, um darunter ungestört rechte Konzerte veranstalten zu können. Und so wichtig es ist sich auch nach außen hin von Neonazis zu distanzieren und abgrenzen, so wichtig ist es aber auch sich inhaltlich mit der Ideologie der extremen Rechten und ihren Protagonist*innen zu beschäftigen, und diese zu erkennen. Um eine „Unterwanderung“  der HC-Punk-Szene von Neonazis verhindern zu können ist eine kritische Reflektion der HC-Punk-Bands und ihrer transportierten Ideologie als Anknüpfungspunkte für die extreme Rechte und eine offene Aufarbeitung der eigenen Geschichte notwendig. Nur durch eine  intensive Auseinandersetzung mit Themen und Inhalten, wird sich der Einfluss der Anhänger*innen der extremen Rechten  unterbinden und zurückdrängen zu lassen.

Was war die Intention des Buches? Wie bist du auf die Idee gekommen, dich mit der Thematik zu beschäftigen?

Nun, in erster Linie soll das Buch die HC-Punk-Szene für das Thema „ideologische Anknüpfungspunkte zur extremen Rechten“ sensibilisieren. Es soll Diskussionen anstoßen, die hoffentlich zu einem größeren Problembewusstsein innerhalb der HC-Punk-Szene führen und das reaktionäre Rollback stoppen. Bislang standen nämlich nicht ideologische Anknüpfungspunkte im Mittelpunkt von öffentlichen Debatten, sondern die Adaption von „Lifestyle“  durch Neonazis. Um den Fokus auf die ideologischen Anknüpfungspunkte zu lenken, entstand die Idee ein eigenes Buch zum Thema zu veröffentlichen.

 

Das Buch:

Ingo Taler:„OUT OF STEP- Hardcore Punk zwischen Rollback und neonazistischer Adaption“Unrast-Verlag349 Seiten, 18 EuroMehr im Internet: http://www.unrast-verlag.de/unrast,2,339,5.html

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