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Hass der Hooligans Französische Rechtsextreme greifen marokkanische Fans an

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Nach dem Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft erfasst ein Auto in Südfrankreich einen Jugendlichen und verletzt ihn tödlich. (Symbolbild) (Quelle: Kira Ayyadi)

Trotz der Niederlage sollte es für die marokkanische Fußballherrennationalmannschaft ein historischer Tag sein. Nicht nur, hatten sie es als Mannschaft erstmalig in ein WM-Viertelfinale und danach in ein Halbfinale geschafft, sondern durch sie wird überhaupt erstmals eine afrikanische Mannschaft in eine K.O.-Runde einer Weltmeisterschaft repräsentiert. Der Abend des sportlichen Wettkampfs, am 14. Dezember wurde jedoch erneut durch massive Ausschreitungen vermeintlicher Fans überschattet, durch welche in der Nacht auf Donnerstag ein 14-jähriger Junge sein Leben lassen musste.

Schon bei den vorherigen Spielen war es nach Beendigung der Partien in verschiedenen Städten weltweit, im Besonderen aber in Frankreich, zu teils massiven Ausschreitungen gekommen, welche unmittelbar von der französischen Politik instrumentalisiert wurden. So zitiert Zeit-Online in einem Artikel vom 14. Dezember2022 die Bürgermeisterin des achten Arrondissements in Paris, Jeanne d’Hauteserre, mit einer Warnung vor einem Bürgerkrieg in den Städten und Schlachtfeldern auf den Straßen. Noch weiter ging der Bürgermeister der Stadt Fréjus, der Politiker der Rassemblement National David Rachline. Er verhängte nach Konflikten im Anschluss eines Matches direkt eine Kollektivstrafe über ein ganzes marokkanisch geprägtes Viertel, indem er den dortigen Vereinen die Subventionen kürzte und dessen Bewohner*innen anschließend als „Gesindel“ beschimpfte. Betroffen von den Kürzungen ist unter anderem eine Tagesstätte für Kinder.

In der bisherigen medialen Berichterstattung wurden die Ausschreitungen fälschlicherweise primär als Auseinandersetzungen von Fangruppierungen und scheinbar unpolitischen Jugendlichen gelabelt. Was in der Berichterstattung jedoch vollkommen ignoriert wurde, ist der Umstand, dass in Telegram-Gruppen rechtsextreme Hooligans kontinuierlich Versuche unternommen haben, in verschiedenen Städten Kampfgruppen zu koordinieren und in den digitalen Kanälen Videos von gewaltsamen Auseinandersetzungen und Übergriffen geteilt haben, um anschließend in den Kommentaren ihrem extremen Hass freien Lauf zu lassen.

So wurden in der Nacht auf Donnerstag Videos einer Gruppe von 50 bewaffneten rechtsextremen Hooligans in Lyon geteilt, welche sich vorab organisiert hatten, um gezielt Jagd auf marokkanische Fans zu machen. In zwei der größten internationalen Gruppen für Hooligans, wobei die eine über 81.000 Abonnent*innen hat, die andere immerhin fast 31.000, wird die Gruppe frenetisch gefeiert. Unter dem Video der Gruppe finden sich unzählige rassistische Beleidigungen gegenüber allen Menschen, die nicht in das Weltbild der Rechtsextremen passen sowie Sticker von Hakenkreuzen, White-Power Symboliken und immer wieder ein Aufruf: Defend Europe, Verdeitige Europa.

Als es am Abend in Montepellier zu einer fürchterlichen Tragödie kommt, bei welcher ein 14-jähriger Junge, der vorher in einer Gruppe versucht hatte, einer Person eine Flagge von dessen Auto zu entwenden und dabei vom Fahrer überrollt und getötet wird, tauchen unmittelbar Videos davon in den beiden Gruppen auf. Die Videos zeigen den tödlichen Akt in all seiner Drastik und wieder wird das Video von den Nutzer*innen der Gruppe gefeiert. Der Beitrag bekommt hunderte positive Reaktionen und unter den hunderten von Kommentaren findet sich erneut alles an menschenverachtender Ideologie und Glorifizierung faschistischer und neonazistischer Gruppierungen: Von schlimmsten rassistischen Ausfällen über die Verherrlichung des Nationalsozialismus und den Holocaust, bis hin zu grauenhafter Belustigung über die Drastik der Gewalt des Aktes selber.

Bewaffnete Rechtsextreme machen in Lyon Jagd auf marokkanische Fans

Die wenigen Kommentare, welche sich mehr oder minder zaghaft gegen die Flut an rechtsextremen Kommentaren und Personen wenden, werden unmittelbar selbst zur Zielscheibe der extrem Rechten. Auch hier wieder überwiegt in den Kommentaren eine rechte Agenda: Defend Europe.

Bei der Weltmeisterschaft in diesem Jahr und den Ausschreitungen nach den Spielen der marokkanischen Mannschaft zeichnet sich ein immer wiederkehrendes Muster ab. Die Gruppen rechtsextremer Hooligans vor Ort vernetzen sich und koordinieren ihre Angriffe in kleinen geschlossenen Gruppen über Messenger, wie Telegram. Die Angriffe werden dann filmisch festgehalten und über die international etablierten großen Accounts auf den Plattformen publiziert, wo die Gewalt dann gefeiert und propagandistisch ausgenutzt werden kann. Anders als bei klassischen Hooligan-Strukturen, welche sich fokussiert auf einen konkreten Verein entfalten, wird hierbei der vermeintliche Kampf weißer Europäer gegen das als Fremd klassifizierte zum vereinenden Moment der gewaltsamen Entgrenzung.

Dass Teile der Hooligan-Szene seit Jahrzehnten maßgeblich durch rechtsextreme Ideologien geprägt werden und ihre Identität als militanter Teil einer weißen Rasse ausgestalten, ist hinlänglich bekannt. Erschreckend ist jedoch, inwieweit diese Prozesse bei der aktuellen Weltmeisterschaft in der kritischen Auseinandersetzung vollständig ignoriert werden und die ideologische Grundierung der Gewalttäter medial durch die Darstellung als Auseinandersetzung zwischen Fangruppen verschleiert wird. Dabei ist unabdingbar festzuhalten: Es handelt sich hierbei teilweise um Angriffe von Rechtsextremen, die Menschen unter Zugriff auf ihre Ideologie abwerten, attackieren und die Gewalt und selbst den Tod von Menschen multimedial bejubeln. Das ist rechtsextreme Gewalt und Propaganda in ihrer reinsten Form und keine Auseinandersetzung zwischen vermeintlichen Fans.

Der Slogan der Verteidigung Europas ist hierbei der ideologische Klebstoff, welcher nicht nur die Gruppen intern eint und über Differenzen, wie zum Beispiel die unterschiedliche Vorliebe für lokale Fußballklubs kaschiert, sondern ein Narrativ, welches die rechtsextremen Hooligans mit diversen anderen Gruppierungen und Akteuren aus dem Feld der extremen Rechten in Verbindung stellt. Wenn also die eingangs zitierte Bürgermeisterin d’Hauteserre, ihre Ängste vor vermeintlich bürgerkriegsähnlichen Zuständen zum Ausdruck bringt, so fußt diese Aussage zwar auf dem falschen Rückschluss, wessen Geistes Kind diese Ausschreitungen sind, offenbart jedoch ebenso einen wahren Kern: Rechtsextreme Hooligans haben die Konflikte im Rahmen der Weltmeisterschaft gezielt genutzt, um derartige Zustände zu evozieren und in den digitalen Medien einen beginnenden Bürgerkrieg heraufzubeschwören.

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