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WM 2022 in Katar Menschenrechte nur von der Seitenlinie

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Fifa-Präsident Gianni Infantino (Quelle: picture alliance / EPA | NOUSHAD THEKKAYIL)

Es werde die „beste WM aller Zeiten“, prophezeite der amtierende Fifa-Präsident Gianni Infantino noch im April. Er versprach, die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar werde „die größte Show der Erde“. Am Sonntag, dem 20. November beginnt hier die WM 2022. Doch die anstehende Weltmeisterschaft im Golfstaat sorgt seit Jahren für große Aufregung und Diskussionen auf vielen Ebenen. Es gibt viel Kritik um Menschenrechte, Gleichberechtigung und demokratische Werte.

Korruptionsvorwürfe bei WM-Vergabe

2010 erhielt Katar von der Fifa den Zuschlag, die Fußball-WM 2022 auszurichten. Begleitet wird die Vergabe bis heute von Korruptionsvorwürfen. Inzwischen ist klar, dass das Turnier 2010 nicht aufgrund der überzeugenden Bewerbung an den Golfstaat vergeben wurde – sondern vor allem wegen immenser Geldzahlungen an Funktionäre des Weltverbands Fifa. Für die Doppelvergabe der beiden Turniere 2018 und 2022 im Jahr 2010 waren 22 Männer aus dem Fifa-Exekutivkomitee zuständig, darunter auch Franz Beckenbauer aus Deutschland. Katar gewann im vierten Wahlgang, obwohl es sich laut Fifa-eigenen Prüfberichten von allen Bewerbungen am wenigsten für eine WM-Ausrichtung eigne, so berichtet es die Sportschau

Katar ist ein reiches Land. Dank der Einnahmen durch Rohstoffexporte verwalten die Katarer seit 2005 einen der gewaltigsten Staatsfonds der Welt. Das Land besitzt die drittgrößten Gasvorkommen der Erde, neben Russland und Iran. Hier regiert eine reiche Herrschaftsfamilie, die mit Islamisten und dem Westen paktiert

Umweltsünde

Katar ist kein Land mit prägnanter Fußballkultur. In Windeseile mussten also Stadien gebaut und die nötige Infrastruktur geschaffen werden. Es ist das teuerste Turnier aller Zeiten. Bis zu 220 Milliarden US-Dollar hat sich das Land die Weltmeisterschaft kosten lassen. Das ist mehr als das Vierzehnfache der bisher teuersten WM in Brasilien 2014, die rund 15 Milliarden Dollar gekostet hat. Sieben der acht WM-Stadien mussten extra gebaut werden. Da Katar über keine Fußballtradition verfügt, ist es überaus fraglich, was mit den Arenen nach Ende des Turniers geschieht. Dass sie regelmäßig genutzt werden und auch ausgelastet sind, scheint ausgeschlossen. Eine immense Ressourcenverschwendung also. Dabei kündigte Fifa-Chef Infantino noch im Juni an, die WM in Katar werde klimaneutral – der ganze CO₂-Ausstoß durch die Bauprojekte und Flugreisen soll durch Solar- und Windparkanlagen kompensiert werden. Bisher ist das allerdings nur zum Teil passiert.

Laut Fifa wird alleine der Bau der Infrastruktur für ein Fünftel der Gesamtemissionen der WM verantwortlich sein. Der größte Teil soll jedoch auf Reisebewegungen der Zuschauer*innen und Mannschaften fallen. Über die Dauer der Weltmeisterschaft rechnet Katar mit über einer Million Besucher*innen, in der Hochphase werden bis zu 200.000 Zuschauer*innen am Tag zu den Spielen erwartet. Insgesamt rechnet Katar mit 1,2 Millionen internationalen Gästen in der WM-Zeit. Im kleinen Emirat reichen die Hotelkapazitäten dafür nicht. Daher sind viele Fans in umliegenden Ländern wie Dubai, Bahrain oder den Oman untergebracht und werden mit Shuttle-Flügen zu den Spielen in die klimatisierten Stadien geflogen. Wegen der Hitze sollen Klimaanlagen die offenen Stadien künstlich herunterkühlen. Wobei der Strom im Emirat beinahe ausschließlich aus fossilen Energiequellen stammt.

Ausbeutung von Arbeits-Migrant*innen

Der Wüstenstaat Katar hat mit mehr als 2,7 Millionen Einwohner*innen in etwa so viele wie Brandenburg, wobei nur 15 Prozent Einheimische sind. Mit mehr als 11.571 Quadratkilometern Fläche ist Katar etwas mehr als halb so groß wie Hessen. Arbeitsmigrant*innen ermöglichten es erst, dass die WM in Katar stattfinden kann. Insgesamt 2,3 Millionen davon verdienen in Katar ihren Lebensunterhalt, sie stellen dabei 95 Prozent der Arbeitskräfte. Rund 20.000 davon arbeiteten auf den WM-Baustellen im Land. Wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in zahlreichen Recherchen aufzeigte, werden Arbeitsmigrant*innen in Katar gezwungen, bis zur völligen Erschöpfung zu arbeiten, bei 40 Grad und mehr. Gehalt erhalten sie oft spät oder gar nicht, untergebracht sind die Arbeiter*innen in unhygienischen Unterkünften.

Arbeitgeber*innen üben eine unzulässige Kontrolle über das Leben ihrer Angestellten aus, halten die Maximalarbeitszeiten nicht ein und hindern sie an einem Jobwechsel. Viele Beobachter*innen sprechen von Sklavenarbeit. Wie viele Menschen  – hauptsächlich aus Indien, Nepal oder Bangladesch – aufgrund der Arbeitsbedingungen gestorben sind, ist unklar. Amnesty International führt in einem Bericht die Zahl von rund 15.000 verstorbenen Gastarbeiter*innen an. Die britische Zeitung The Guardian berichtet Anfang 2021 von 6.500 Verstorbenen. Die Zahl der Fifa ist hingegen deutlich geringer: Im EU-Parlament behauptete Gianni Infantino noch im Januar 2022, dass nur drei Arbeiter auf den WM-Baustellen gestorben sein. 

173.000 Personen, meist Frauen, sind als Hauspersonal angestellt, so ein Bericht von Amnesty International. Die Arbeitsmigrant*innen haben die Stadien, Straßen und U-Bahn gebaut, die das Land zur Durchführung der WM braucht. Hat das Turnier einmal begonnen, werden sie sich in den Hotels um die Spieler und Fans kümmern, sie werden die Fans in Restaurants bedienen und ihnen als Fahrer zur Verfügung stehen. Wer Katar besucht, wird auf Schritt und Tritt von Arbeitsmigrant*innen betreut werden. Über deren Lebensumstände soll allerdings nicht journalistisch berichtet werden. Schon im Vorfeld der WM wurde Berichterstattung überwacht, so der Deutschlandfunk.

Pressefreiheit

Katar liegt in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Rang 119 von 180. Wenige Tage vor dem Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar fühlen sich Journalist*innen vor Ort in ihrem Recht auf freie Berichterstattung eingeschränkt. Von den Behörden ist genau vorgegeben, worüber berichtet werden darf und mit wem Journalist*innen sprechen dürfen. Katar und seine Nachbarn auf der Arabischen Halbinsel gehören zu jenen Staaten, in denen unabhängiger Journalismus fast unmöglich ist. Das katarische Pressegesetz von 1979 ermöglicht eine Vorzensur von Publikationen.

Digitale Überwachung

Eine Einreise und Besuch der WM in Katar ist nur mit der Installation zweiter Apps möglich. Beide Apps ermöglichen weitreichenden Zugriff auf persönliche Daten, berichten Sicherheitsexpert*innen. Sind die Apps einmal auf dem Handy installiert, könne sie unter anderem auf sämtliche Daten auf dem Handy zugreifen, WLAN- oder Bluetooth-Verbindungen überwachen und den genauen Standort auslesen. Vor der App warnt auch Amnesty International. Diese sei „menschenrechtlich problematisch bis gefährlich in Bezug auf willkürliche Überwachung und Verletzungen von Privatsphäre sowie Datenschutz“, resümierte die NGO bereits im Sommer 2020. Zudem gebe es Probleme mit Sicherheitslücken. Auch Journalist*innen sind verpflichtet, sich diese Apps runterzuladen und sich potenziell überwachen zu lassen.

Frauenrechte

Das diskriminierende System der männlichen Vormundschaft in Katar verwehrt Frauen das Recht, zahlreiche wichtige Entscheidungen über ihr Leben zu treffen, so Human Rights Watch in einem 2021 veröffentlichten Bericht. Männer können bis zu vier Ehefrauen heiraten, während Frauen die Zustimmung eines männlichen Vormunds brauchen, um zu heiraten – egal, wie alt sie sind. Außerdem müssen katarische Frauen unter 25 Jahren die Erlaubnis eines männlichen Vormunds einholen, um das Land zu verlassen. Unverheiratete Frauen unter 30 dürfen nicht in Hotels einchecken und alleinstehende und schwangere Frauen werden wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs strafrechtlich verfolgt.

Das diskriminierende System verweigert Frauen auch das Recht, als primärer Vormund ihrer Kinder zu handeln, selbst wenn sie geschieden sind und das Sorgerecht haben. Es ist also ein durch und durch frauenunterdrückendes System.

Homo- und Queerfeindlichkeit

Und auch die Situation von queeren Menschen ist sehr prekär. Katar stellt öffentlich gezeigte Homosexualität unter Strafe. Nicht weniger als ein Jahr Gefängnis sieht das katarische Strafgesetz für „Homosexualität zwischen Männern und sexuelle Ausschweifungen“ vor. Homosexuelle können – so sie entdeckt werden – strafrechtlich verfolgt werden. Unter bestimmten Umständen droht gar die Todesstrafe. Katarische Hotels lehnen homosexuelle Paare teilweise ab und im katarischen Fernsehen machen Moderatoren homophobe Äußerungen bis hin zur Androhung der Todesstrafe für Homosexuelle. So wundert es auch kaum, wenn sich auch Offizielle homofeindlich äußern. Am 8. November bezeichnete Khalid Salman, Botschafter der Fifa Fußball-WM in Katar, in einem Interview mit dem ZDF Sportstudio, Homosexualität als „geistige Krankheit“. International war der Aufschrei groß. Dabei ist die homo- und queerfeindliche Haltung des Landes schon lange bekannt.

Im Oktober dokumentierte Human Rights Watch willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen von LGBT-Katarern in Haft durch den Sicherheitsapparat. Als Bedingung für die Freilassung von inhaftierten trans Frauen verlangten die Sicherheitskräfte die Teilnahme an von der Regierung geförderten Konversionstherapiesitzungen.

Die DFB-Elf will mit einer speziellen Kapitänsbinde ein Zeichen für Vielfalt setzen. Ebenso wie andere große Fußball-Nationen wie England, Frankreich oder Niederlande.Die Kapitäne werden in Katar eine „One Love Armbinde“ tragen, die in ihrer Farbgebung einer Regenbogenflagge ähnelt. Die Binde sollte nach DFB-Angaben jedoch gar keinen Regenbogen darstellen. Die Botschaft des „One Love Armband“ richte sich vielmehr gegen jede Form von Diskriminierung. Unterdessen gab Frankreichs Kapitän Hugo Lloris bereits bekannt, die Armbinde nicht tragen zu wollen und begründete dies mit Respekt gegenüber der Kultur des Gastgeberlandes.

Und nun?

Reiche Gas – und Öl-Milliardäre betrachtet Frauen und Migrant*innen als Ware. Die Korruptionsvorwürfe, die schon die Vergabe der WM an Katar betreffen, die sklavenähnlichen Zustände, unter denen Arbeits-Migrant*innen die Infrastruktur überhaupt erst schufen. Die Rechte von Frauen sind stark eingeschränkt, Homosexualität wird strafrechtlich verfolgt und für Kritik an der Regierung drohen lebenslange Freiheitsstrafen. All das ist seit Jahren bekannt. 

Wahrscheinlich wird diese WM ein einziges Symbolpolitik-Spektakel. Welcher Spieler, welche Mannschaft, welche Fans zeigen an welchen Orten irgendwie geartete Pride-Symbolik? Von Regenbogen-Schnürsenkeln bis Regenbogen-Armbänder, es gibt viele Möglichkeiten. Symbolik ist wichtig, gerade in einem repressiven Land wie Katar. Doch klare Worte aus der Politik, von den Mannschaften und durch die Spieler wäre noch besser. Katar ist derzeit bemüht, sich als guten, weltoffenen Gastgeber zu inszenieren. Genau das hat der WM-Gastgeber von 2018, Russland, auch getan.

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