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Hintergrund Jeffrey Herf: Wachsende Israelkritik in Amerika

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Er kam, um sich über die Arbeit der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin gegen Antisemitismus zu informieren – und berichtete im Gespräch zugleich von seiner Wahrnehmung einer wachsenden antisemitischen Stimmung in den USA. Jeffrey Herf ist Professor für Neuere europäische und deutsche Geschichte an der University of Maryland in College Park. Bekannt ist der Historiker mit dem Arbeitschwerpunkt Erinnerungspolitik als Autor u.a. des Buches „Zweierlei Erinnerung – Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland“ (1998).

 

Hass auf Israel
Besonders der aktuelle Antisemitismus, der sich als Hass auf Israel manifestiert, sieht Herf als massives Problem an. In den USA kommt es im Zuge der Diskussionen um den Irakkrieg zu beängstigenden Schlussfolgerungen, berichtet er. „Den Menschen wird vermittelt: Juden sind Schuld, dass Dein Sohn im Irakkrieg sein Leben verloren hat“, sagt Herf. Gerade innerhalb des linken und liberalen politischen und intellektuellen Spektrums würden George Bush und seine Politik als derart starker Feindbilder erlebt, dass israelfeindliche Äußerungen und Aktionen immer öfter unwidersprochen blieben. „Amerikanische Politiker sprechen sich nicht deutlich genug gegen Antisemitismus, gerade auch Argumentationen gegen Israel, aus“, sagt Herf, „und auch von den Professoren der bekanntesten amerikanischen Universitäten waren viele nicht an unserer Seite, wenn es darum geht, sich öffentlich gegen diese Art des Antisemitismus auszusprechen.“ So sei etwa das „Euston Manifesto“, deren Unterzeichner sich für Demokratie und Menschenrechte und explizit auch gegen Anti-Amerikanismus, Antisemitimus und für eine Zweistaatenlösung in Israel ausspricht, von vielen amerikanischen Professoren und Intellektuellen nicht unterzeichnet worden.
Auch verbreitet: Der Topos der „Jüdischen Lobbi“
Die mangelnde Bereitschaft der linken und liberalen gesellschaftlichen Kräfte, neue Formen des Antisemitimus anzuerkennen, gehe zudem einher mit einer wachsenden Neidkultur und einem wachsenden Hang zu Verschwörungstheorien in der amerikanischen Bevölkerung. Auch der antisemitische Topos der „jüdischen oder israelischen Lobbi“ in der amerikanischen Regierung habe viele Anhänger. „Verglichen mit dem Großteil der amerikanischen Bevölkerung scheinen Juden in den USA ein priviligiertes Leben zu führen“, sagt Herf, „viele sind gebildet und wohlhabend. Das sie es sind, weil sie hart dafür gearbeitet haben, wird nicht gesehen.“
Lob für Merkel
Und auch wenn Jeffrey Herf insgesamt wenig Chancen sieht, Antisemitismus aus der Welt zu schaffen – dafür habe er eine zu große kulturelle Tradition und ein zu große Verführungskraft als einfache Welterklärung – findet er doch alle Arbeit gegen Antisemitismus lohnenswert. So lobt er Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel für die offenen Worte, die sie immer wieder für die antisemitische Politik des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad findet. „Das ist umso wichtiger, als das Deutschland hat in der EU, aber auch international, eine wichtige Rolle zu spielen hat. Kein anderes Land hat so viel Bewusstsein für Antisemitimus und seine Folgen, deshalb muss es immer weiter warnen“, sagt Herf.
Fanatismus verstehen
Allerdings gäbe es auch hierzulande Tabus. So habe er für sein international viel beachtetes Buch „The Jewish Enemy. Nazi-Propaganda during World War II and the Holocaust“ in Deutschland bislang keinen Verleger gefunden – „vielleicht, weil ich viel Nazi-Propaganda auch im Original zeige und das in Deutschland nicht eben üblich ist.“ Dabei gehe es ihm hier um ein besonders wichtiges Thema: Nämlich zu zeigen, wie sehr die Nazis und ihre Anhänger von ihrer eigenen Propaganda eben doch überzeugt waren. „Ich kann nicht mehr hören, wenn argumentiert wird: An die NS-Propaganda haben die führenden intelligenteren Nazi-Köpfe doch selbst nicht geglaubt. Doch, das haben sie. Und wer das nicht anerkennen kann, wird auch Fanatismus und seine Gefahr heute nicht begreifen.“
Mehr zur Arbeit der Amadeu Antonio Stiftung gegen Antisemitismus (hier und hier)
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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