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Interview Die AfD auf TikTok – Leider erfolgreich

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(Quelle: Pixabay)

Geschichte wiederholt sich. Sei es auf Facebook, Twitter oder Instagram. Immer waren Rechtsextreme und Antidemokrat*innen von Anfang an dabei und haben sich die Mechaniken der jeweiligen Plattformen zu Nutze gemacht. Exakt das gleiche passiert gerade auf TikTok. Keine Partei aus Deutschland ist dort so erfolgreich wie die AfD. Polarisierende Beiträge, laute Meinungen, optimiert für eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Die Inhalte der Rechtsextremen scheinen wie geschaffen für die Kurzvideoplattform.

Theresa Lehmann ist eine der Expertinnen aus dem Digitalteam der Amadeu Antonio Stiftung und beschäftigt sich tagtäglich mit TikTok. Mit ihr haben wir über das Meme Alice Weidel, Video-Influencer*innen rechtsaußen und Gegenstrategien gesprochen.

Belltower.News: Wie ist die AfD bei TikTok aufgestellt?
Theresa Lehmann: Die Partei ist von Anfang an extrem offensiv vorgegangen: Das heißt, sehr viele Abgeordnete und aktive Mitglieder haben sich registriert und angefangen, Videos zu machen. Zu Beginn war das viel recycelter Content, also Schnipsel von Parlamentsreden, Material, dass offensichtlich schon auf anderen Plattformen veröffentlicht worden war. Und schon da hat es funktioniert, weil es immer sehr emotionalisierende Inhalte waren.

Gibt es eine Strategie?
Die Metastrategie ist, alles auszuprobieren und in die Breite zu gehen. Es gibt zum einen Personen die sich sehr nahbar geben und die Rolle des Kümmeres übernehmen, andere wissen, dass sie Memes sind und schlachten das aus. Und es gibt AfD’ler*innen, die versuchen, sich mit Erklärformaten zu profilieren. Dass der Hauptaccount der Partei schon seit Mai 2022 gesperrt ist, tut der Reichweite keinen Abbruch, weil es so viele andere Accounts gibt.

Was heißt das für die Plattform?
TikTok selbst kann dafür erstmal nichts. Aber ganz grundsätzlich steht die Frage im Raum, was diese Inhalte überhaupt sind, also ab wann wir auf diesen Plattformen von Wahlwerbung sprechen und ob die reguliert wird oder nicht. Denn für den analogen Raum gibt es ja durchaus Regeln bei diesem Thema, die aber im Digitalen nie durchgesetzt worden sind.

Beim Treffen in Postdam, über das Correctiv berichtet hat, ging es auch um TikTok.
Das kommt nicht von ungefähr. Es soll offenbar eine Agentur für rechtsextreme Influencer*innen aufgebaut werden. Das ist nur der nächste logische Schritt aus Marketingperspektive. Der Markt ist da und die Professionalisierung schreitet voran. Das heißt, da kommt noch einiges auf uns zu. Deutlich wird jetzt schon, wieviel Geld in Social Media und insbesondere in die TikTok-Strategie fließt.

Wer fällt dir besonders auf?
Von Alice Weidel existieren zwei unverifizierte Accounts. Ein professioneller und ein Weiterer, der „dieausderafd“ heißt und höchstwahrscheinlich auch aus ihrem Umfeld betrieben wird. Und das sagt eigentlich schon alles. Die Strategie hinter dem letzteren Account, der die Selbst-Memefizierung von Weidel nutzt, veröffentlicht sie hauptsächlich in Situationen in denen sie lacht, stammelt oder Sprüche klopft. Weidel als Meme funktioniert sehr erfolgreich, ein Phänomen das vor zwei Jahren begann, als User*innen eine Art Romanze zwischen Sahra Wagenknecht und Weidel erfunden haben. Damals wurde Videocontent mit kitschigen Herzchen gepostet und Fotos von den beiden eingeblendet, wie sie sich vermeintlich anschauen oder zusammengeschnitten wurden. Ich vermute, dass ihr Team irgendwann bemerkt hat, wie gut sie funktioniert, wenn sie eigentlich nicht über Politik redet. Dazu gibt es über eine externe App die Möglichkeit, Videoschnipsel von ihr in eigene Videos einzufügen. Dadurch erfährt sie eine digitale Verharmlosung und Normalisierung: Die lustige Frau aus der AfD, die man von Memes kennt.

Ulrich Siegmund – der ja auch bei dem Treffen in Potsdam dabei war – ist der mit Abstand erfolgreichste deutsche Politiker auf TikTok. Und im Landesvorstand der AfD-Sachsen-Anhalt.
Der ist schon sehr lange dabei und hatte sein größtes Wachstum während den Corona-Protesten. Am Anfang war auf seinem Profil noch nicht ersichtlich, dass er bei der AfD ist. Da musste man ein bisschen runterscrollen oder sich seine Hashtags anschauen. Mittlerweile ist es sichtbar. Aktuell und gerade mit Blick auf die Correctiv-Geschichte, ist eines seiner Hauptziele investigativen Journalismus zu diskreditieren. Er verbreitet das Lügenpressenarrativ auf TikTok. Das ist Strategie, weil er einerseits total auf Social Media setzt, wo er sich selber so inszenieren kann, wie er das möchte, ohne kritische Gegenfragen. Gleichzeitig ist es der Versuch, jegliche Vorwürfe abzustreiten und Dreck auf die anderen zu werfen, während man selbst ganz seriös bleibt. In der Praxis bedeutet das eine Dauerschleife von „sie lügen und deswegen kann man ihnen nicht glauben und deswegen lügen sie“. Bei seinen Fans verfängt es trotzdem.

Maximilian Krah, der für die AfD bei den EU-Wahlen kandidiert ist auch auf TikTok.
Krah ist im Herbst 2023 populär geworden, weil er besonders junge Männer mit antifeministischen und reaktionären Thesen adressiert hat. Das ist immer noch seine Masche. Interessant bei allen über die wir sprechen: Das ist eigentlich nicht die junge Garde, die es durchaus auch gibt, die aber nicht ganz so präsent ist. Es sind schon eher etablierte Abgeordnete; Medienprofis. Das wird sogar mittlerweile in den Parlamenten deutlich: Offensichtlich wird bei den Reden auf Punchlines geachtet, die dann auf TikTok als Schnipsel funktionieren.

Aber diese Schnipsel werden von User*innen auch kritisch verwendet, oder?
Ja, aber was dabei nicht reflektiert wird, ist das die AfD trotzdem gewinnt. Der Algorithmus versteht nicht, welche Positionierung man dazu hat. Aber die Stimmen sind da, die Personen sind da und die Partei ist da und alle zusammen erfahren durch diesen Mechanismus und die Aufmerksamkeitsökonomie, also die Trendcycles auf TikTok, Aufmerksamkeit und Verbreitung.

Gibt es denn auch Gegenwind?
Auf jeden Fall. Die Correctiv-Recherche und auch die Demonstration gegen rechts sind ein Riesenthema auf TikTok. Sehr viele User*innen, auch der migrantischen Community, haben mit  Aufklärungsvideos, aber auch sehr viel humoristischem Content reagiert. Zum Beispiel, wo man sich verstecken würde, wenn die Deportationen losgehen. Es ist sehr zynisch, aber es gibt auf jeden Fall einen großen Widerhall. Leute finden sich solidarisch zusammen, zum Beispiel mit Duettketten.

Das heißt der Umgang mit der Partei kann auch anders gehen, ohne ihnen Reichweite zu verschaffen?
Ja, das was sich in anderen sozialen Medien irgendwann durchgesetzt hat, muss sich auf TikTok noch etablieren. Wenn ich die gleichen Begriffe nutze, die gleichen Hashtags, die gleichen Sounds oder Filter, dann schenke ich diesen Personen Reichweite. Auf Twitter gab es irgendwann ein Learning: Wir reposten keine Tweets von Rechtsextremen, sondern wir machen einen Screenshot und kommentieren, wenn das sein muss. Das hat sich auf TikTok noch nicht etabliert.

Es ist wahrscheinlich auf schwierig einen Weg drumherum zu finden, weil es ja irgendwie in der Mechanik der Plattform liegt, oder?
Wichtig ist zum Beispiel, nicht Content von AfD-Politiker*innen zu stitchen. Ich kann andere Begriffe verwenden: Stichwort Algospeak. Das heißt mit Codes zu arbeiten oder Umschreibungen zu finden. Eigentlich ist TikTok da ja sehr kreativ.

Ein wichtiges Feature von TikTok sind Livestreams. Ist die AfD da auch aktiv?
Das ist ein Phänomen für sich. Livestreams werden sowohl von Fans der Partei, aber auch von Funktionär*innen genutzt. Das ist deswegen attraktiv, weil die Content-Moderation im Livestream besonders herausfordernder ist. Und man kann dadurch ganz gut neue Zielgruppen erschließen, weil Livestreams auf der For-you-page querbeet ausgespielt werden. Dabei sind gar nicht so selten auch solche von der AfD. Das weckt vielleicht bei manchen erstmal eine Neugier: Was machen die? Was sagen die denn? Vielleicht wirken diese Personen dort auch gar nicht so schlimm. Denn ungeachtet des rechtsextremen Kurses der Partei und all den Erfahrungen der letzten Jahre funktioniert besonders auf TikTok die Verharmlosungsstrategie der Partei immer noch sehr gut. Sie versuchen sich als jugendfreundlich und offen zu zeigen. Und man muss auch ganz klar sagen: Demokratische Parteien auf TikTok immer noch unterrepräsentiert und teils sehr unbeholfen. Junge Menschen wollen ernst genommen werden und zwar nicht nur als Erstwähler*innen. Die AfD gibt vor das zu tun, während andere Parteien da scheinbar nicht so viel Handlungsbedarf sehen. Das ist ein sehr großes Problem.

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