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Kommentar Lieber Nazi-Seiten lahmlegen als Internet-Pranger erstellen

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Hacker/innen können mit Nazi-Websites viele schöne Dinge machen. Sie können erreichen, dass Nazi-Websites nicht erreichbar sind. Sie können Nazi-Websites mit Anti-Nazi-Grafiken „schmücken“. Sie können Kommentarspalten mit Humor in Bild und Schrift überschwemmen. Dies alles ärgert die rechtsextremen Website-Administrator/innen und -Besucher/innen und führt im besten Falle dazu, dass die Rechtsextremen ihre menschenfeindliche Hetze ein paar Stunden oder Tage weniger verbreiten können. Wenn die Aktivist/innen gute Öffentlchkeitsarbeit machen werden, bekommt dadurch sogar das wichtige Thema Rechtsextremismus Aufmerksamkeit, die leider oft nur punktuell in Medien und Gesellschaft vorhanden ist. Daumen hoch!

Virtuelle Pranger zu errichten, auf denen ungeprüfte Daten veröffentlicht werden, sind dagegen keine gute Erwiderung auf rechtsextreme Aktivitäten. Wenn Neonazis persönliche Daten vermeintlicher politischer Gegner veröffentlichen, tun sie das, um damit zu Gewalt gegen diese Personen aufzurufen, und werden zu Recht dafür angezeigt. Natürlich ist es frustrierend, wenn gegen solche „Anti-Antifa-Seiten“ nichts unternommen werden kann, weil die Macher/innen nicht ausfindig zu machen sind und die Seiten auf ausländischen Nazi-Servern liegen.

Trotzdem ist es keine angemessene Erwiderung, sich auf dieses Niveau zu begeben und es den Neonazis mit gleicher Münze heimzahlen zu wollen. Zumal nicht einmal geklärt wird, woher die Daten stammen und ob es sich bei allen Angegebenen tatsächlich um Rechtspopulisten oder Rechtsextreme handelt. Dass man nur spekulieren kann über die Intention der anonymen Aktivist/innen, die hier Menschen ausstellen, schafft Unbehagen. Selbst wenn die Macher/innen nicht Böses im Schilde führe, ist das Missbrauchs-Potenzial hoch.

Zumal das Internet eben ein anderes Medium ist als etwa ein Recherche-Archiv oder auch ein lokal und real verteiltes Flugblatt: Was hier erscheint, bleibt. Der „Standard“ veröffentlichte heute ein Interview mit einem Anonymous-Aktivisten. Der Interviewer wollte wissen: „Wenn Ihnen jemand glaubhaft versichert, er hätte früher zwar beim Odin-Versand bestellt, heute aber der rechten Szene abgeschworen, würden Sie ihm „verzeihen“ und seinen Adresssatz löschen?“ Der Hacker antwortet: „Ja. Insofern das noch möglich ist, nachdem wegen der rechten Angriffe auf nazi-leaks.net die Mirrors erstellt wurden.“ Denn die Website wurde inzwischen hundertfach gespiegelt, falls die Neonazi-Hacker mit ihren Gegenangriffen auf „nazi-leaks“ erfolgreich wären. Wer jemals auf einer Hass-Liste im Internet stand, weiß, dass dies kaum jemals wieder aus dem World Wide Web zu tilgen ist. Es ist ein beklemmendes Gefühl – umso mehr, je wichtiger die virtuelle Welt für alle wird. Beklemmende Gefühle zu erzeugen ist allerdings nicht gerade der nachhaltigste und demokratischste Weg, um Menschen davon zu überzeugen, von ihrer menschenfeindlichen Ideologie abzulassen.

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

| Anonymous-Angriff: Hacker stellen Daten Rechtsextremer auf „Nazi-Leaks“
| Anonymous gegen Nazis im Netz
| „n0-N4m3 Cr3w“ legt NPD-Seiten lahm

Mehr im Internet:

| Anonymous: Nazi-Leaks „ist nicht als Pranger gedacht“(Interview, Der Standard).
| Nazi-Leaks: Viel Lärm um wenig Inhalt (publikative.org)
| Trollen gegen Rechts (sueddeutsche.de)
| »Gewisse Sympathie für solche Aktionen« (JW)

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