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Kulturkampf in Pink Wieso Barbie Konservative zur Weißglut bringt

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Amerikanische Barbie-Fans bei der Premiere des Erfolgsfilms.
(Quelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Iris Schneider)

Es gibt zahlreiche Gründe, sich für eine gesetzliche Krankenversicherung in den USA auszusprechen, vor allem, weil das Recht auf körperliche und psychische Gesundheitsversorgung schlicht ein Menschenrecht sein sollte. Spezifischer aber: damit die Töchter des rechtsradikalen Kommentatoren Ben Shapiro so schnell wie möglich Zugang zu einer Therapeutin haben. Denn Therapie werden die beiden Kinder brauchen – spätestens nachdem sie das Video gesehen haben, in dem ihr 39 Jahre alter Vater Barbie-Puppen in eine Mülltonne wirft und anzündet. Anschließend echauffiert er sich 43 Minuten lang darüber, dass die aktuelle „Barbie“-Verfilmung „EINER DER WOKESTEN FILME, DEN ICH JE GESEHEN HABE“ sei. Shapiro hält den Film für ein Paradebeispiel feministischer Propaganda. Und es gibt kaum einen reiferen, vernünftigeren Weg, auf einen an Mädchen und junge Frauen gerichteten Film zu reagieren als: Barbiepuppen zum Verbrennen zu kaufen und eine Dreiviertelstunde lang in der Geschwindigkeit eines feuernden Maschinengewehrs darüber zu schimpfen, dass der Film ihn als Mann zu wenig abholt. Gleichzeitig kritisiert er, dass Witze, die an ein älteres Publikum gerichtet sind – eine sehr direkte Referenz auf „2011: Odyssee im Weltall“ zum Beispiel – Perlen vor die Säue des Barbie-Zielpublikums wären. Denn dass es Zuschauer*innen gibt, die sowohl eine cineastische Referenz, als auch einen knallpinken Coming of Age-Film zu schätzen wissen, das kann sich ein Mann wie Shapiro nicht vorstellen. Er ist außerdem zu sehr damit beschäftigt, sich über die trans Schauspielerin Hari Nef zu empören, die eine Gastrolle als Ärztinnen-Barbie spielt und in dem Film einfach existieren darf – wahrlich ein Zeichen von unaufhaltsamem gesellschaftlichem Verfall. Wie schon häufiger wurde Shapiro auch jetzt zur Zielscheibe von Hohn und Spott im Internet.

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Ben Shapiro – der vor seiner Funktion als Betreiber des Alt Right-Blogs „The Daily Wire“ an einer Karriere als Drehbuchautor und Filmproduzent gescheitert ist – ist in seiner Wut auf den Film nicht alleine. An seiner Seite stehen dutzende, wenn nicht hunderte andere Männerrechtsaktivisten, Republikaner und Menschen mit dem cineastischen Verständnis von Achtklässlern.

„Der Film ist MÄNNERHASSENDE FEMINISTISCHE PROPAGANDA!“ jammert über 72 Minuten der YouTuber „KNIGHTS WATCH“, dessen komplettes Oeuvre daraus besteht, Filme zu sehen, um sich anschließend über ihre „Woke Agenda“ aufzuregen. Worte, die immer wieder fallen sind: „FEMINISTISCHE PROPAGANDA“ und „MÄNNERFEINDLICH“, QAnon-Anhänger*innen beschreiben ihn sogar als „männerfeindlichsten Film aller Zeiten“.

Das Lied ist übrigens ein absoluter Hit. Quelle: Screenshot Telegram.

Der christliche Filmblog „Movieguide“ ist der Ansicht, Barbie würde sein Zielpublikum zugunsten einer „Transagenda“ ignorieren und fordert seine Leser*:innen auf, den Film zu boykottieren. Teile der Republikanischen Partei behaupten sogar, der Film sei kommunistisch – wegen einer in kindlicher Form gehaltenen Karte, auf der China auf bestimmte Art und Weise gezeichnet ist. Auch auf der Cineast*innen-Plattform „Letterboxd“ haben zahlreiche Männer schlechte Reviews über den Film verfasst, die von einem Twitter-User als Werbe-Slogans auf Barbie-Plakate übertragen worden sind:

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Wenn Männerrechtsaktivisten sich über einen – ansonsten von der Kritik hochgelobten – Film empören, weckt dies die Neugier feministisch interessierter Menschen noch einmal umso mehr. Doch worum geht es in dem Film genau, dass so viele empörte Männer – und einige Frauen – ihn als Propaganda gegen das Patriarchat begreifen?

Sie ist alles. Er ist nur Ken.

Der folgende Abschnitt beinhaltet Spoiler für „Barbie“!

Barbie ist eigentlich ein Coming of Age-Film über die geschlechtsspezifische Subjektwerdung unter dem Patriarchat. Barbie (Margot Robbie), geplagt von existenziellen Krisen, muss die Barbie-Welt in Richtung „reale Welt“ verlassen, um die Ursachen dieser Krisen zu finden, der unglücklich in sie verliebte Ken (Ryan Gosling) begleitet sie. Und kaum in der realen Welt angekommen, stellen sie fest, dass diese einen brutalen Gegensatz bietet zur Barbie-Welt, in der Barbies über sämtliche ökonomische, kulturelle, wissenschaftliche und politische Mittel verfügen und Kens primär über ihre Beziehung zu Barbie existieren. Barbie sieht sich mit sexueller Belästigung und Misogynie konfrontiert, bei ihrem Besuch im Mattel-Hauptquartier sagt ihr der von Will Farrell verkörperte CEO zu Barbie, sie könne ihre Selbstfindungskrise überwinden, in dem sie „zurück in ihre Box“ gehe – also sich wieder patriarchalen Vorstellungen an Weiblichkeit anpasse. Ken erfährt von der Existenz des Patriarchats, ist wütend, dass Barbie seine Zuneigung nur platonisch erwidert, und plant nun, auch im Barbieland die Männerherrschaft einzuführen – und so die Unterwürfigkeit und Zuneigung von Frauen gewaltvoll sich zu versichern, wie es auch im Hier und Jetzt der Fall ist.

Beide Storylines sind Allegorien auf die Adoleszenz: Barbie verabschiedet sich von ihrer pinken, sicheren Welt und erfährt, dass sie auf ihren Körper reduziert, gegen ihren Willen berührt, nicht ernstgenommen und pathologisiert wird, dass sie nicht ansatzweise über die gesellschaftliche Anerkennung und Relevanz verfügt, die ihr eigentlich zustehen. Ken hingegen wird sich seines Phallus bewusst und genießt es, von dieser Macht zu profitieren und sie auf den Schultern der Barbies auszutragen.

Kurz: Nichts an dem Film ist spezifisch „männerfeindlich“ – ohnehin ein inhaltsleerer rechter Kampfbegriff auf dem Niveau von „Rassismus gegen Weiße“. Es ist schlicht eine filmische Aufarbeitung einer universellen weiblichen Erfahrung: das Leiden unter dem Geschlechterverhältnis (auch wenn diese Erfahrung im Film wenig intersektional gezeigt wird). Und dieses ist nun einmal verdammt misogyn.

Patriarchales Anspruchsdenken

Vor allem zeigt die Empörung über „Barbie“ auf, mit welcher infantil-trotzigen Anspruchshaltung antifeministische Männer an Kulturprodukte herangehen. Sie hätten das Wochenende ja auch den ähnlich antizipierten „Oppenheimer“ ansehen und „Barbie“-Fans ihren Spaß haben können. Aber so denken reaktionäre Männer nicht, denn diese befinden sich in einem Zustand permanenter Wut, Empörung und imaginierter Bedrohung. Ihnen ist es eine immense Kränkung, dass etwas mit Mädchen und Frauen als Zielgruppe derart viel Aufmerksamkeit und Begeisterung erfährt. Denn: dieser Typus Mann empfindet es als eine immense Kränkung, nicht ihr Bedürfnis nach ihnen sexuell ansprechenden Charakteren erfüllt zu bekommen – selbst, wenn ein Franchise gar nicht auf sexualisierte Männerfantasien angelegt ist.

Dabei ist „Barbie“ nicht der erste Film, der diese rechten Männerrechtler zum Rasen bringt. Bei der Neuverfilmung der Serie „She-Ra“ empörten sich frauenverachtende Kulturkrieger, dass die sich im Teenageralter befindende Protagonistin zu kleine Brüste hatte und ihnen – also erwachsenen Männern und demzufolge nicht die geplante Zielgruppe der Serie – deswegen nicht attraktiv genug erschien. Oder: dass der ehemalige FOX News-Moderator Tucker Carlson kurz davor war, einen Terroranschlag auf den Süßigkeitenkonzern Mars Inc. zu verüben, nachdem diese es gewagt hatten, die Schuhe eines weiblichen, anthropomorphes M&M von Pumps zu Sneakern zu ändern. Oder: dass die am meisten heruntergeladenen Mods bei einem jeden Videospiel der Sexualisierung weiblicher Charaktere dienen. Oder: dass nicht einmal eine unschuldige Kinderserie wie „My little Pony – Freundschaft ist Magie“ davon verschont bleibt, dass erwachsene Männer erotische Fanart der – stellenweise minderjährigen – Protagonistinnen anzufertigen. Dahinter wird immer der Feminismus vermutet, dessen einzige Intention es sein kann, heterosexuellen cis Männern das Leben so schwer wie möglich zu machen – in dem er nämlich Frauen eine andere Position als Sexobjekt erkämpft.

Diese Männer, die sich gerade über Barbie beschweren, offenbaren vor allem eins: dass sie infantil, trotzig, leicht zu kränken sind. Dass sie ein grundlegendes Problem mit weiblicher Emanzipation, Feminismus, oder auch schlicht nur einer Welt, in der Frauen ungestört sie selbst sein können, haben. Dies ist genau der Typus Mann, der im Film kritisiert wird – also kein Wunder, dass sich Antifeministen gerade ganz schön getroffen fühlen. Allen anderen wünschen wir viel Spaß in „Barbie“.

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