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Life- und Finanzcoaches Wie neoliberale Männerfantasien den Weg in den Faschismus ebnen

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Selbsternannte „Life-Coaches“ verzeichnen stellenweise mehrere hunderttausend Follower*innen auf sozialen Netzwerken. Auf den ersten Blick vermitteln sie lediglich vielleicht etwas fragwürdige Tipps zur neoliberalen Selbstoptimierung. Dahinter steckt jedoch eine inhärent menschenfeindliche Ideologie – und der Weg zum erfolgreichen „Alpha-Mann“ endet nicht selten im Faschismus. Gerade angesichts der Tatsache, dass zunehmend junge Männer patriarchale Geschlechterrollen bis hin zu häuslicher Gewalt verteidigen und Männer wie Andrew Tate und Elon Musk als Vorbilder benennen, ist dies ausgesprochen bedenklich. Die Analyse zu einzelnen Coaches gibt es hier zu lesen.

Neoliberale Männerfantasien

Die hegemoniale Männlichkeit, die von Life-Coaches vermittelt und von ihren Fans angestrebt wird, ist auf der konsequenten Abwertung anderer Menschen aufgebaut: Frauen, die lediglich als Sexobjekt herhalten dürfen, um den Mann in seiner Virilitäts-Performance zu bestätigen. Arme Menschen, die als „Versager“ abgetan werden. Als „naive Gutmenschen“ verlachte, bis hin als konkretes Feindbild markierte Linke. Der Alpha-Mann sieht sich nicht als ein Rädchen im Getriebe, sondern ist etwas Besonderes – ein echter Macher. Dieses Potential zu einer vermeintlichen Größe steht jedoch nur wenigen zu, suggerieren die diversen Coaching-Agenturen, bei ChampLife werden zum Beispiel alle, die kein ausreichendes Gewinner-Mindset an den Tag legen, aus dem Programm geworfen.

Der Wunsch, zu einem sexuell erfolgreichen Alpha-Mann mit Tesla in der Garage und Rolex am Handgelenk werden zu können, resultiert aus gekränkter Männlichkeit. Der Typus Mann, der für die Versprechen von Life-Coaches anfällig ist, geht davon aus, ihm müsse schon alleine aufgrund seines Geschlechts Reichtum und eine attraktive Freundin zustehen. Stattdessen ist er jedoch dazu verdammt, ein normales Durchschnittsleben zu fristen. Dies liegt, erklären ihm dann aufopferungsvolle Coaches, vor allem an einer Sache: die feministische, kulturmarxistische Moderne hat den Mann verweichlicht. Deswegen ist unser Alpha-Akolyt auch ein einsamer Loser, ohne Tesla und Rolex am Arm. Die Kurse der Coaches werden ihm jedoch zum Triumph über diese Gesellschaft verhelfen! Er wird es der ihm feindlich gesinnten Welt und allen, die je an ihm gezweifelt oder ihn abgewiesen haben, beweisen können.

Diese Aufwertung der eigenen Person geht immer auch mit der Abwertung anderer einher – in der Regel jenen, von denen die Kränkung ausgeht: Frauen, Eltern, das soziale Umfeld. Jeder Mensch, der nicht das komplette Leben auf Crypto-Investition und TikTok-Reichweite aufgebaut hat, ist in den Augen dieser Szene ein unbedeutender Versager, ein fremdgesteuerter „NPC“, also „Nichtspielercharakter“. Dies impliziert auch, dass sich die Anhänger von Coaches, die oftmals der Redpill-Ideologie anhängen, auch als „erleuchtet“ und anderen intellektuell überlegen sehen.

Die Abwertung des Weiblichen ist dem Kapitalismus übrigens immanent. Wie der materialistische Feminismus ausführt, sind aufgrund des im 19. Jahrhundert gegen die weibliche Emanzipation eingeführten sogenannten „Geschlechtscharakters“ die kapitalistischen Wertvorstellungen männlich konnotiert. Frauen, so dieses bis heute in den Köpfen und in gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen verankerte Narrativ, seien einfach zu emotional, um im harten beruflichen und politischen Leben reüssieren zu können. Das bedeutet: die internalisierten kapitalistischen Wertevorstellungen sind immer an Geschlecht gekoppelt, und dieses Geschlecht ist männlich. Der deutsche Finanz-Coach Karl Ess sagt dies in seinen Videos auch ganz deutlich: der schöpferische deutsche Unternehmer ist ein Mann, die Aufgabe der Frau ist lediglich die des schmückenden Beiwerkes, der Hausfrau und Mutter.

Rein in den Körperpanzer

Der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit hat sich in seinem 1977 publizierten Monumentalwerk „Männerfantasien“ zwar mit der körperlichen und psychischen Zurichtung des preußischen Soldaten befasst, aber zu dem neoliberalen Alpha-Mann hätte er mit Sicherheit durchaus ähnliches zu sagen. In dem Standardwerk zum Verhältnis von Faschismus und Männlichkeit analysiert Theweleit, dass das faschistische Männerbild auf der brutalen Abspaltung alles weiblich und queer konnotierten aufgebaut ist: Weichheit, Emotionalität, Sinnlichkeit, vermeintliche Schwäche, Müßiggang.

Ziel des akribisch beschriebenen militärischen Drills ist die komplette Verhärtung zum „Körperpanzer“, dem gestählten, faschistischen Männerleib, jederzeit bereit für Volk und Vaterland im Schlamm des Schützengrabens zu verrecken. Der Preis für diese Männlichkeit ist die Entwicklung eines vollständigen, gesunden Ich, also der Werdegang zum mündigen Subjekt. Nun ist nicht jede Form von körperlicher Optimierung mit der Zurichtung preußischer Militärkasernen zu vergleichen – aber allzu weit entfernt ist der Zwang zur permanenten Selbstoptimierung, den die Tates dieser Welt predigen, nicht. Das Streben nach Härte, Emotionslosigkeit und körperlicher Fitness sind regelmäßig wiederkehrende Momente in den Videos, Instagram-Postings und TikToks dieser Life-Coaches.

Und so oft wie ein Karl Ess davon redet, Deutschland und die „deutsche Wirtschaft“ vor den Bedrohungen einer linksgrünen Agenda und dem Feminismus retten zu wollen und sich das Leben als einen ewigen Krieg des tapferen Alphamannes gegen eine ihm feindlich gesinnte Welt schwadroniert, mutet es durchaus an, als würde er sich als Soldat für sein Vaterland betrachten. Nur ist sein Schlachtfeld nicht der Schützengraben, sondern der YouTube-Algorithmus. Bei ChampLife gibt es die Beitrags-Rubrik „Combat Ready“ – immer auf den Kampf vorbereitet sein. Dieses Herbeisehnen des Ausnahmezustands „Krieg“, in dem sich der echte Mann gegen alle erdenklichen Feindseligkeiten und Angriffe beweisen muss, ist ebenfalls integraler Bestandteil faschistischer Männlichkeit.

Alles potentielle Alpha-Typen. Quelle: YouTube

Kollektive Zurichtung

Interessant ist auch der Moment der kollektiven Erfahrung auf dem Weg zur Alpha-Männlichkeit. Libertäre betonen zwar gerne ihren Individualismus, jedoch wirken die Coaching-Seminare eher wie das Zelebrieren eines Männerbundes, bei dem das Subjekt in den Hintergrund tritt. In Videos von Kollegahs Alpha-Workshops brüllen Männer im Akkord Parolen, um sich aufzupeitschen. Das Video eines „ChampLife Events“ 2022 in Warschau zeigt die Lehrlinge der Agentur beim kollektiven Liegestütze machen – Sport nicht als Hobby, sondern Moment der kollektiven Züchtigung und als Beweis von Männlichkeit. Zwar betonen Neoliberale und Libertäre gerne ihren Hang zum „Individualismus“, doch Einblicke in Seminare aus diesen Kreisen zeigen eher das massenpsychologische Moment dieser Szene auf. Diese im Kollektiv durchgeführten, oft emotionalisierten Tätigkeiten haben zum Ziel, eine affekthafte Identifikation mit den anderen Mitgliedern, den „Werten“ und den Führungsfiguren der Gruppe zu entwickeln – und im Zuge dessen die eigene Individualität abzugeben.

Eine Folge der ZDF-Dokumentation „Die Spur“ von April 2023, beschäftigt sich mit Life- und Erfolgscoaches. Die Besucherin eines Seminars berichtet der Reporterin, inwieweit von den Teilnehmenden verlangt wurde, bei den Veranstaltungen persönliche Grenzen und Hemmungen zu überschreiten. Diese Grenzen seien auch sexueller Natur gewesen: es hätte „Performances mit nackten Menschen“ gegeben, Männer, die auf einer Bühne Sexpuppen penetriert oder mit Gummiknüppeln geschlagen hätten. Dieses Seminar, bei dem sich einige Teilnehmende dazu anstacheln, Gewalttaten an einer Sexpuppe zu verüben, und andere dazu gezwungen werden, diesen Handlungen gegen ihren Willen beizuwohnen, kostet übrigens 5.000 Euro. In der Masse fällt es schwerer, die eigenen Grenzen zu verteidigen, aber auch leichter, sich den eigenen niederen Instinkten auszusetzen – die Verantwortungen für die eigenen Taten werden schließlich auf das Kollektiv übertragen. Diese Erfahrungen und die Identifikation mit den anderen Anhängern eines Coaches und dem Idol selbst führen dazu, dass Kritik an diesen oft sektenartigen Strukturen dann als eine persönliche Kränkung aufgefasst und nicht mehr gehört wird. Dies erschwert den Ausstieg enorm.

Der Feind steht links

Der Appell an gekränkte Männlichkeit funktioniert so gut, da das Leben im Spätkapitalismus nun auch wirklich kein angenehmes ist. Einsamkeit, Entfremdung, Demütigung und Gewalt sind alltäglich. Es gäbe auch konkrete Mittel, diese Demütigung zu überwinden: durch politische und gewerkschaftliche Organisation, zwischenmenschliche Nähe, durch die Erfahrung von Freundschaft und Solidarität. Doch anstatt einen Betriebsrat zu gründen oder sich mit seinen platonischen Freunden über die eigene Gefühlswelt zu unterhalten und so konkrete Alternativen zu Entfremdung und Vereinzelung zu erfahren, entscheiden sich erschreckend viele Männer für die autoritäre Alternative. Anstatt Herrschaft und Gewalt als solche zu hinterfragen und überwinden zu wollen, wollen sie diejenigen sein, die Herrschaft und Gewalt ausüben. Deswegen besteht ihr Feindbild auch primär aus Menschen, die Herrschaft und Ausbeutung kritisieren und überwinden wollen.

Während einige bürgerliche Neoliberale sich zumindest noch ein Lippenbekenntnis gegen den Rechtsextremismus abringen können, sieht es bei den in Teil I des Textes thematisierten Life Coaches ganz anders aus.  Die Feindbilder sind eindeutig: Feminismus, die LGBTQ-Community, „Social Justice Warriors“ und letztendlich der jüdisch konnotierte „Kulturmarxismus“. Denn: all diese Bewegungen üben vehemente Kritik an kapitalistischer und patriarchaler Ausbeutung – und somit den Grundpfeilern der Identität dieser Männer. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass über die geteilten Feindbilder ideologische und persönliche Überschneidungen nach Rechtsaußen entstehen.

Andrew Tates enge Freundschaften mit Rechtsextremisten wie Tommy Robinson, Karl Ess Werbung für die AfD, Dating- und Lifecoach Maximilian Pütz, der rechtsradikale Inhalte und Verschwörungsnarrative teilt, dass die Finanzcoaches Philip Hopf und Kiarash Hossainpour in ihrem Podcast über den „Großen Austausch“ und die „mächtige Familie Rothschild“ sprechen oder dass eine ganze Reihe Referierenden auf dem „Libertären Sommercamp“ der Gruppe „Liberty Rising“ Kontakte in die radikale Rechte haben: das sind keine Ausnahmen, sondern logische Konsequenzen der eigenen Ideologie.

Genau die gleichen Inhalte finden sich übrigens in jeder X-beliebigen Boomer-Querdenkengruppe auf Telegram. Quelle: YouTube.

Die Anschlussfähigkeit reaktionärer Ideologien wie Antifeminismus und Faschismus ist darin begründet, dass sie an Affekte appellieren: Kränkung, Wut oder Angst. Und gerade Ich-schwache, fragile Männer sind permanent von diesen Gefühlen betroffen. Dieser Typus Mann basiert den Großteil seiner Persönlichkeit auf der Identifikation mit einer patriarchalen und kapitalistischen Vorherrschaft: Er ist ein Mann, und er ist (zumindest irgendwann einmal) wohlhabend. Vor allem ist er nicht schwul, nicht weiblich, nicht arm (oder wird zumindest ganz sicher aus der Armut herauskommen, wenn er genug Geld in die Coaching-Programme investiert hat), nicht wie alle anderen. Er ist ein Macher. Der Wunsch nach finanziell und sexuell erfolgreicher Alpha-Männlichkeit resultieren aus Kränkungen, trotz der Zugehörigkeit zum männlichen Kollektiv nicht jene Vorherrschaft inne zu haben, von der Männer – fälschlicherweise – glauben, dass sie ihnen zusteht.

Diese Vorherrschaft ist übrigens nicht jedem vorbehalten. Wie der israelische Historiker Ishtay Landa, der sich in seinem Werk „Der Lehrling und sein Meister – Liberale Tradition und Faschismus“ ausführt, haben in der neoliberalen Ideologie nur einige wenige wirklich Potential, Großes zu leisten. Der Rest ist kein schöpferisches Unternehmer-Genie, sondern der Pöbel, dessen Mitglieder durch ihre mangelnde Härte und Zurichtungsbereitschaft selbst daran Schuld sind, noch keinen Bugatti zu fahren. Auch dies hat das Weltbild der „Hustler“ mit dem Faschismus gemein.

Männlichkeit, Neoliberalismus und Faschismus sind Ideologien und Herrschaftsstrukturen, die auf der brutalen Abspaltung von Gefühlen bestehen. Oberflächlich suggerieren sie den Anhängern, einen Ausweg aus Verunsicherung, Angst und Ungenügendsein zu bieten. Doch dies ist nicht der Fall. Entgegen all der Versprechungen und überteuerten Seminare irgendwelcher Alpha-Männer sind Selbstzurichtung und Krypto-Investitionen kein Weg ins gute Leben, sondern stehen diesem diametral entgegen. Das einzige, was sie wirklich mit sich bringen sind: Schulden, emotionale Verrohung, Gewalt gegen sich und andere, und letztendlich die komplette Entfremdung von seinen Mitmenschen. Investiert den monatlichen Betrag für Coaching-Gruppen also lieber in vernünftige Dinge, wie zum Beispiel einen Ausflug mit Freund*innen, ein Hardcore-Konzert oder Spenden an Belltower News.

 

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