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„Nancy von Bunker“ Von „Tickerlady“ zu Neonazi – Der Weg einer Radikalisierung

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Tanja B. inmitten eines Neonazi-Aufmarsches im Februar 2022. Sie hält ein Shoa-relativierendes Banner (Quelle: RechercheNetzwerk.Berlin)

In den 1990er Jahren war Tanja B. ein Gesicht der Berliner Rave-Szene. Sie verkaufte als „Nancy von Bunker“ Ecstasy-Pillen im damaligen Techno-Club „Bunker“. Später schrieb sie eine Autobiografie. Lange war es ruhig um sie. Erst 2020 tauchte die Frau wieder auf, als Teilnehmerin von Demonstrationen gegen die Corona-Infektionsschutzmaßnahmen. Heute ist sie bei der neonazistischen Partei „Die Rechte“ angekommen und reproduziert die Erzählung vom „Bombenholocaust“.

Sonntagmittag, der 13. Februar in Dresden. Am Bahnhof Mitte versammeln sich unter strahlend blauem Himmel hunderte Neonazis, um in geschichtsrevisionistischer Manier die Bombardierung Dresdens zu instrumentalisieren. In der größtenteils männlichen Menge steht auf dem Bahnhofsvorplatz eine Frau in der zweiten Reihe. Sie plaudert mit den anderen Nazis und schaut ab und zu auf ihr Handy. Genau wie die anderen Teilnehmenden wartet sie darauf, dass der „Trauermarsch“ endlich beginnt. Als es losgeht, reiht sie sich ganz vorne in den Block der neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ ein. Mit stoischer Miene trägt sie ein Shoa-relativierendes Banner vor sich her.

Techno-Fans der 1990er Jahre aus Berlin kennen sie vielleicht noch: Hier läuft „Nancy von Bunker“. Eine damals umtriebige Figur dieser Szene. 

„Nancy von Bunker“ heißt mit bürgerlichem Namen Tanja B. Laut einem Bericht von Spiegel TV von Anfang der 2000er Jahre wuchs sie in der fränkischen Provinz auf. Sie fühlte sich schnell eingeengt von den kleinbürgerlichen Verhältnissen. Mitte der 1990er, sie war damals 22 Jahre alt, bricht sie aus und zieht, mit dem Wunsch Schriftstellerin zu werden, nach Berlin. 

Vom Mädchen aus der Provinz zur Pillen-Kennerin der Rave-Szene

Sie schreibt Geschichten und Gedichte, verlegt diese selbst und verkauft sie in Berliner Kneipen. Irgendwann taucht sie in die Clubszene ein. Sie beginnt, Ecstasy zu nehmen, und wird zur Fachfrau über diese Pillen, bis sie als „Tickerlady“ im sagenumwobenen Berliner Techno Club „Bunker“ den Namen „Nancy von Bunker“ annimmt. Im Bericht von Spiegel TV erzählt sie, wie sie akribisch Listen über die Wirkung der verschiedenen Pillen führte und so gleichzeitig zu einer Art Beraterin für das feierfreudige Publikum wurde.

„Die Tickerlady“

1996 schloss der „Bunker“ und Tanja B. war ihrer „Familie“ beraubt, wie sich die eingeschworene Fangemeinde nannte. Sie war damals schwer drogenabhängig, hatte Verfolgungswahn und verübte schließlich einen Suizidversuch. Sie wurde gerettet und entschloss sich zu einem kalten Entzug. Schließlich kehrte sie zu ihrer alten Leidenschaft zurück und schrieb ein Buch über ihre Dealerinnen-Zeit. Die Autobiografie, „Die Tickerlady – mein Leben in der Technoszene“ erschien 1998 und wurde durchaus im entsprechenden Milieu rezipiert. 

„Nancy von Bunker“ im Spiegel TV-Beitrag

Doch nicht nur Fans der Technoszene lasen das Buch, sondern auch Drogenfahnder:innen. Anfang 2002 stand die damals 31-Jährige schließlich wegen unerlaubtem Handel mit Betäubungsmitteln in mindestens 20 Fällen vor Gericht. Das Schöffengericht verurteilte Tanja B. zu einem Jahr und acht Monaten Haft auf Bewährung. Dabei wurde ihr ein umfassendes Geständnis positiv angerechnet und auch, dass die verhandelten Taten schon sehr lange zurücklagen, wie die Berliner Zeitung vom damaligen Prozess berichtete. Dort heißt es auch, dass Tanja B. bereits im Dezember 2001 eine Ausbildung zur Feng-Shui-Beraterin abgeschlossen hatte und den Wunsch hegte, sich selbstständig zu machen. Dann wurde es ruhig und es klafft eine Lücke in der öffentlichen Biografie von Tanja B., alias „Nancy von Bunker“. 

Bis zum Sommer 2020. Plötzlich war sie wieder prominent wahrzunehmen – und zwar im Rahmen der Demos gegen den Corona-Infektionsschutz. Hier besuchte sie regelmäßig die verschwörungsideologischen Kundgebungen des ehemaligen TV-Kochs Attila Hildmann im Berliner Lustgarten.

Tanja B. und die antisemitischen Veranstaltungen von Attila Hildmann

Über ein paar Wochen konnte Hildmann ab Mai 2020 mit seinen extrem rechten Veranstaltungen die Grenzen des Sagbaren systematisch verschieben. Die Pandemie wurde zu einer Inszenierung einer angeblich kommunistischen Angela Merkel erklärt, die Satan persönlich und gleichzeitig als Instrument einer zionistischen Elite das Böse verkörperte. Angeblich würden eingeschworene Gemeinschaften über Corona den Plan verfolgen, das deutsche Volk auszulöschen. Tanja B. gefielen diese antisemitischen Narrative offenbar. Sie wurde schnell zu einer engen Unterstützerin von Hildmann, trug Werbekleidung für seinen Energydrink „Daisho“ und fiel insbesondere dadurch auf, dass sie jeglichen hasserfüllten Unsinn, der Hildmann über die Lippen kam, laut bejubelte. Während der Demonstrationen bewies Tanja B. zudem Pressefeindlichkeit. Sie nutzte kleinste Gelegenheiten, um Journalist:innen zu beleidigen und anzugehen.

„Nancy“ im „Daisho“-Shirt auf einer Hildmann-Kundgebung (Quelle: RechercheNetzwerk.Berlin)

Ab Juli 2020 wurden die Hildmann-Demos untersagt und gegen ihn selbst wegen verschiedener Delikte Ermittlungen eingeleitet, darunter Volksverhetzung und öffentliches Aufrufen zum Mord.  

Das Verbot von Hildmanns eigenen Demos führte dazu, dass dieser sein Lokal in Charlottenburg nutze, um seine Anhängerschaft um sich zu scharen. Hier hält „Nancy“ einige Wochen später eine Rede. Nach ihr betritt der Antisemit Nikolai Nerling, auch als „Volkslehrer“ bekannt, die Bühne. Er nutzt diese Gelegenheit, um zur Solidarität mit den wegen Volksverhetzung verurteilten Shoaleugner:innen Horst Mahler und Ursula Haverbeck aufzurufen. 

Seitdem lässt sich beobachten, dass Tanja B. immer wieder im Kreis von Berliner Hildmann-Fans verschiedene Demonstrationen und Kundgebungen besucht: Solche, die sich gegen die Corona-Maßnahmen richten, wie auch bundesweit von Neonazis aus NPD und „Die Rechte“ organisierte Veranstaltungen. 

Tanja B. trägt auf Corona-Demonstrationen jetzt nicht mehr „Daisho“-T-Shirts, sondern ein Schlauchkleid in schwarz-weiß-rot. Ein Erkennungszeichen von Neonazis, da es die Farben der alten Reichskriegsflagge sind.

Tanja B. auf einer verschwörungsideologischen „Querdenken“-Versammlung (Quelle: RechercheNetzwerk.Berlin)

Tanja B. beim versuchten Reichstagssturm“

Die Reichsfahne schwingt sie auch am 29. August 2020 auf der Treppe des Bundestags. „Querdenken“ hatte zu einer Großdemonstration nach Berlin geladen, um gegen die angeblich fehlenden Grundrechte zu demonstrieren. Den Tag nutzt auch der vorbestrafte ehemalige NPD-Politiker Rüdiger Hoffmann für eigene Proteste vor dem Reichstagsgebäude, in unmittelbarer Nähe zur „Querdenken“-Demo. Auch Attila Hildmann tritt auf und heizt das fanatisierte Publikum zusätzlich an, sich den Bundestag „zurückzuholen“. Auf der gleichen Bühne behauptet schließlich die Heilpraktikerin Tamara K., Donald Trump sei in Berlin gelandet, die Demonstrant:innen müssten jetzt ein Zeichen setzen, um dem damaligen US-Präsidenten zu beweisen, dass „wir die Schnauze gestrichen voll haben“. Dem Aufruf folgen Hunderte. Ihnen gelingt es, bis auf die Treppen vor den Bundestag zu kommen. Auch „Nancy“ ist mit dabei und schwingt euphorisch eine große schwarz-weiß-rote Fahne.

Tanja B. beim versuchten Sturm des Bundestags (Quelle: RechercheNetzwerk.Berlin)

Nur kurz nach dem sogenannten „Sturm auf den Reichstag“, im September 2020, entsteht dann ein Telegram-Kanal mit nationalsozialistischen Inhalten, den Tanja B. unter ihrem Künstlerinnennamen „Nancy von Bunker“ mit weiteren Personen administrativ verwaltet. Als Profilbild nutzte sie zuerst ein Bild mit der Fahne vor dem Bundestag. Eine relevante Größe hat der Kanal nicht, dennoch sind die Inhalte eindeutig. „Nancy von Bunker“ postet hier Werbung für die neofaschistischen Parteien „III. Weg“, für die NPD, „Die Rechte“, „Freie Sachsen“ und AfD. Sie teilt Beiträge von extrem rechten Influencer:innen und huldigt NS-Kriegsverbrechern, verbreitet rassistische Propaganda und macht sich über die Shoa lustig. Sie schreibt in dem Kanal vom „linken Corona-Regime“, „bösen Drahtziehern“, die eine „Zerstörung der politischen Opposition und Installierung einer kommunistischen Diktatur“ anstreben würden. Auch über Drogen äußert sie sich in ihrem Kanal. Diese lehnt sie ab, da Drogen „das Volk noch mehr betäuben als die tägliche Manipulation durch die Lügenpresse“.  

In der Kanalbeschreibung heißt es: Wir „unterscheiden nicht zwischen Patrioten, altrechts oder neurechts. Für uns ist das eine Spaltung in den eigenen Reihen. Wir möchten mit unseren Videos und Demoberichten politische Aufklärung betreiben.” Regelmäßig postet „Nancy“ hier Fotos von Veranstaltungen, die sie besucht. 

Von Demonstrationen gegen die Schutzmaßnahmen zu neonazistischen Kundgebungen

Blieb sie in der Zeit bis zum Herbst 2020 hauptsächlich im Kreis von weiteren Hildmann-Fans, wenn sie neonazistische, wie auch Corona-Demonstrationen besuchte, wurde sie bald eine tragende Figur auf bundesweiten Veranstaltungen von Neonazis, hier insbesondere „Die Rechte“, wo sie als Ordnerin, mit Partei-Fahne oder als Trägerin des Front-Transparents auftritt.

Obwohl sie mittlerweile ganz weit rechts angekommen ist, besucht sie weiterhin auch Demonstrationen gegen den Corona-Infektionsschutz, die als „Spaziergänge“ verklärt werden. Sie selbst scheint sich als Mittlerin zwischen „Querdenken“ und Neonazi-Szene zu betrachten. Dazu passt auch ihr Beitrag auf Telegram über „Widerstand gegen das Corona-Regime“: „Abgrenzung untereinander muss der Vergangenheit angehören. Es geht nur gemeinsam.“

Der Weg in die Radikalisierung

Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob sich „Nancy“ tatsächlich erst während der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen radikalisiert hat, doch ihr plötzliches Auftauchen auf diesen Versammlungen, sowie das Erstellen eines nationalistischen Telegram-Kanals deuten darauf hin. 

Der Weg von Tanja B. scheint dabei symptomatisch für einen Radikalisierungsprozess, vor dem seit einiger Zeit so viele Expert:innen warnen: Menschen kommen auf den Demonstrationen gegen den Corona-Infektionsschutz mit kruden und gefährlichen Verschwörungserzählungen in Berührung, die einen Kampf gegen Politiker:innen, Journalist:innen und demokratische Institutionen zum notwendigen Widerstand erheben. Auf den Demonstrationen findet eine Vernetzung statt, die zu einer Echokammer wird. Betroffene driften immer weiter ab und wenden sich immer fanatischeren Positionen zu. Die frühere „Tickerlady“ Tanja B. ist mittlerweile bei der Neonazi-Partei „Die Rechte“ angekommen. 

Auf dem geschichtsrevisionistischen „Trauermarsch“ in Dresden am 13. Februar 2022 trug sie das riesige Front-Transparent der neonazistischen Kleinpartei. Darauf war zu lesen: „Ihr nennt es Befreiung, wir nennen es Massenmord!“ In fetten roten Buchstaben folgt dann: „Bombenholocaust“. Eine krasse Relativierung der Verbrechen des NS-Regimes und eine antisemitische Verhöhnung von Jüdinnen:Juden, die während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft systematisch ermordet wurden. Tanja B. aka „Nancy von Bunker“ hält das Banner und lächelt freundlich. Das ist ihr Weg: von „Tickerlady“ zu Neonazi.

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