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Demobericht In Dresden nährten Neonazis den Mythos vom „Bombenholocaust“

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(Quelle: KA)

Hunderte Neonazis trafen sich am Sonntag, dem 13. Februar, ab 11 Uhr am Bahnhof Mitte in Dresden. Es ist ein wichtiges Datum im Neonazi-Kalender. Jährlich versammeln sie sich zu einer „Gedenkveranstaltung“, um die geschichtsrevisionistische Ideologie eines deutschen Opfermythos zu verbreiten. Diese Erzählung ist stets geprägt durch Holocaustrelativierung und antisemitische Chiffren, wonach die Bombardierung deutscher Städte durch die Alliierten schlimmer gewesen sei, als die Verbrechen der Nazis.

Gesäumt von einem Lautsprecherwagen, aus dem laut „Mein Vaterland“ von Bedřich Smetana schallten, setzte sich der „Trauermarsch“ kurz nach 12 Uhr unter blauem Himmel in Bewegung, um durch Dresden zu ziehen.

Traditionell gedenkt die Dresdener Bevölkerung am 13. Februar der Zerstörung ihrer Stadt durch alliierte Luftangriffe im Februar 1945. Obwohl auch zahlreiche andere deutsche Städte zerbombt wurden, gilt vor allem Dresden als Symbol für den Schrecken, mit dem der Zweite Weltkrieg nach Deutschland zurückkehrte. Neonazis versuchen seit den späten 1990er Jahren, den deutschen Opfermythos am Beispiel Dresden wach zu halten zu Hochzeiten mit mehreren tausend Teilnehmer:innen.

Neonazis wollen Geschichte umdeuten

Rechtsextreme nutzen diesen Mythos, um sich als einzige und wahre Vertreter des Gedenkens zu präsentieren. Es geht ihnen um eine Umdeutung der Geschichte, in der Deutschland und das deutsche Volk nicht Täter war, sondern Opfer der Alliierten.

Was bei dieser Art revisionistischem Gedenken natürlich vollkommen fehlt, ist das Erinnern an die Millionen Jüdinnen:Juden, die während des Holocausts gestorben sind, sowie zahlreiche weitere Opfer, die durch das Nazi-Regime getötet wurden.

Strenge Verhaltensregeln

Für einen neonazistischen Trauermarsch üblich, war die Stimmung gedämpft. Zu lautes Sprechen war untersagt, genau wie Rauchen und alkoholische Getränke. Wer sichtlich nicht angemessen trauerte, bekam Ärger mit den rechtsextremen Ordnern.

Anmelder des diesjährigen geschichtsrevisionistischen Marsches war Lutz Giesen. Nach militanten, mit Vorstrafen gepflasterten Jahren in Berlin arbeitete er für die NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern. Heute ist er ein bundesweit gefragter Vortragsredner der extremen Rechten mit besten Netzwerken in die rechtsextreme Parteienlandschaft, in die Kameradschaftszene und das Umfeld von NSU-Unterstützer:innen. Er gehört zu einer Gruppe völkischer Siedler:innen, die seit 2018 Höfe in den eingemeindeten Dörfern rund um Leisnig in Mittelsachsen betreiben.

Lutz Giesen

Während in den vergangenen Jahren der „Trauermarsch“ hauptsächlich von der NPD und seiner Jugendorganisation den „Jungen Nationalisten“ (JN) organisiert und getragen wurde, waren am  Sonntag zahlreiche weitere Organisationen sichtbar.

Neben NPD, JN, auch „Die Rechte“, der „III. Weg“ und die „Neue Stärke Partei“ (NSP). 

Wobei besonders das Aufeinandertreffen der letzten beiden interessant war. Ist doch die NSP, eine Absplitterung des neofaschistischen „III. Wegs“.

Enrico Biczysko

Die Führungsköpfe von der NSP, Michel Fischer und Enrico Biczysko, hatten sich schon mit der NPD, „Die Rechte“ und dem „III. Weg“ zerstritten, also fast allen relevanten Neonazi-Parteien. Szeneinterne Spannungen wurden am Sonntag dann aber wohl zugunsten des geschichtsrevisionistischen Marsches unterbunden.

Michel Fischer (Mitte)
Michel Fischer (Mitte)

„III. Weg“ und „Neue Stärke Partei“ scheinen anziehend für Jung-Nazis zu sein

Besorgniserregend war die Tatsache, dass besonders in den Blöcken des „III. Wegs“ und der „Neue Stärke Partei“ eine große Anzahl junger Männer dabei waren, viele sind scheinbar noch nicht mal volljährig. Das ist insofern verwunderlich, als dass der alljährlich stattfinden Gedenkmarsch in Dresden keine aktionsorientierte Veranstaltung ist. Als junger Mensch kann man sich doch eigentlich Attraktiveres vorstellen, als schweigend zu klassischer Musik durch Dresden zu laufen.

Viele dieser Jugendlichen kommen offenbar aus Neonazifamilien, sie sind also die zweite oder dritte Generation. Interessant ist aber, dass sie nicht so sehr an Strukturen gebunden sind und dass die sportorientierten, neofaschistischen Parteien „III. Weg“ und NSP für sie momentan am interessantesten zu sein scheinen.

Hunderte stellten sich den Neonazis entgegen

Der „Schweigemarsch“ durch das Dresdener Stadtzentrum war gesäumt von lautem Gegenprotest. Hunderte Gegendemonstrant:innen wollten die Opferinszenierung der Neonazis nicht unwidersprochen lassen. Über dem Areal von Zwinger, Semperoper und Residenzschloss kreiste ein Hubschrauber, außerdem standen ein Wasserwerfer und ein Räumpanzer bereit, beide kamen jedoch nicht zum Einsatz. 

Der Marsch endete wieder am Bahnhof Mitte. Dort stellten sich die Neonazis im Kreis auf, legten Kränze nieder, entzündeten Fackeln und hielten Reden, in denen sie versuchten, das deutsche Volk zu Opfern und nicht zu Täter:innen zu stilisieren.

Diese Argumentation der Rechtsextremen geht dabei zurück auf den NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Er war es, der die Bombardierung Dresdens umgehend für seine NS-Propaganda nutzte. Der Propagandaminister kreierte kurz nach den Angriffen auf Dresden die Legende von einer „unschuldig zerstörten Kulturstadt“ voller Geflüchtete und vervielfältigte die Zahl der Toten, so wurden aus 18.000 bis 25.000 belegten Toten, Hunderttausende.

Antisemitische Chiffren

Darauf nahm am Sonntag auch Sven Skoda von „Die Rechte“ Bezug. Er sprach unter anderem von „Marionetten der Geschichtsschreibung“ und stellte damit verbunden die korrekte Überlieferung von Opferzahlen im Zusammenhang des Nationalsozialismus infrage. Es ist der Versuch, eine Konkurrenz des Erinnerns gegenüber den Opfern des Holocausts zu erreichen.

Skoda sagte zwar, dass er den Holocaust nicht leugnen wolle, behauptete jedoch, dass alle in Bezug auf die Geschichte lügen würden. Außerdem sei die Bombardierung Deutschlands durch die Alliierten die größte Katastrophe auf deutschem Boden seit dem 30-jährigem Krieg. „Die Rechte“ trug während des Marsches ein Banner mit der Aufschrift „Bombenholocaust“ vor sich her – eine krasse Relativierung der Verbrechen des NS-Regimes und eine antisemitische Verhöhnung von Jüdinnen:Juden, die in der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft systematisch ermordet wurden. 

Die NS-Legenden von den „Phosphorbomben“

Ebenso hartnäckig wie die stark überhöhten Opferzahlen von bis zu 600.000 halten sich bis heute NS-Legenden von „Phosphorregen“ und „Tieffliegerangriffen“  – auch sie sind mittlerweile längst widerlegt.

Goebbels Propagandalügen wurde in Zeiten des Kalten Krieges von der DDR-Propaganda übernommen: Die Alliierten hätten Dresden bewusst zerstört, um es nicht in die Hände der Sowjetunion gelangen zu lassen. Geschichtsrevisionistische Personen, die sich als Historiker:innen bezeichnen, haben dazu beigetragen, dass sich Legenden über „Phosphorregen“ und „Tieffliegerangriffe“ halten konnten. Eine Inszenierung, die auch an diesem Sonntag aufgegriffen wurde.

Ein Teilnehmer trägt offenbar ein „Blood and Honour“-Aufdruck. In Deutschland ist das Zeigen der Symbole dieser rechtsextremen Terrororganisation verboten. Obwohl die Polizei darauf aufmerksam gemacht wurde, griff sie nicht ein. (Quelle: RechercheNetzwerk.Berlin)

Auch in diesem Jahr kann der „Trauermarsch“ nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine rein rechtsextreme Veranstaltung handelt. So war kaum bis gar kein bürgerliches Publikum zugegen. Dafür jedoch jede Menge Personal neofaschistischer Parteien, Szene-Größen. Rechtsextreme Symbolik wurden offen zur Schau gestellt.

Ein Teilnehmer mit einem Aufdruck der ukrainischen Neonazi-Miliz „Misantropic Division“

Haupttäter der Hetzjagd in Guben zum Jahrestag in Dresden

Auch der aus Guben stammende Neonazi Alexander Bode besuchte die Veranstaltung. Bode hatte mit weiteren Neonazis in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 1999 Asylsuchende durch das brandenburgische Guben gejagt, wobei der aus Algerien stammende Farid Guendoul sich in Panik durch eine Glastür in einen Hausflur zu retten versuchte. Dabei riss er sich die Schlagader eines Knies auf und verblutete in kürzester Zeit. Bode wurde als Haupttäter verurteilt, musste jedoch nur eine zweijährige Haftstrafe absitzen.

Daneben waren noch Sebastian P. A. und Jürgen S. Teilnehmer der Veranstaltung, letzterer war offenbar auch in organisatorische Zusammenhänge eingebunden war. Er ist bekannter Pegida-Aktivist und eng vernetzt mit der AfD. Ende 2021 schmiedeten Sebastian P. A. und Jürgen S. in einer Telegram-Gruppe mit weiteren Personen Mordpläne gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Sie sollen sich bereits Waffen besorgt haben. Mitte Dezember fanden schließlich Razzien in ihren Wohnungen statt. 

Angriff auf Journalist:innen

Gegen 15 Uhr endete die Veranstaltung. Einige neonazistische Teilnehmer:innen schlossen sich dann einem nicht angemeldeten verschwörungsideologischen Aufmarsch in Dresden Laubegast an. Dort kam es zu einem gewaltsamen Angriff auf Journalist:innen.

 

Mit Recherchen von RechercheNetzwerk.Berlin

 

Update:

Am Donnerstag, den 31. März 2022, stellte das Bündnis gegen Antisemitismus in Dresden und Ostsachsen (BgA-Ostsachsen) eine Strafanzeige gegen das Transparent mit der Aufschrift „Bombenholocaust“. Es erfüllt aus Sicht des Bündnisses den Straftatbestand der Volksverhetzung nach §130 Abs. 3 StGB, nach dem die Verharmlosung des nationalsozialistischen Völkermords an den europäischen Jüdinnen* und Juden* strafbar ist.

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