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Neue populistische Partei Wie viel Angst hat die AfD vor dem Bündnis Sahra Wagenknecht?

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Die AfD gibt sich trotzig, die Verschwörungsfans sind interessiert: Sahra Wagenknecht hat ihre selbstbetitelte Parteineugründung bekannt gegeben. (Quelle: Flickr / Die Linke / CC by 2.0 Deed)

Wer sich die Programmatik des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ auf deren Internet-Präsenz durchliest, wird keine besonders revolutionären Punkte finden, sondern eher sozialdemokratische Positionen aus den Achtzigern. Es geht um die Stärkung des Mittelstandes und der deutschen Industrie. Jedoch würde gerade wirtschaftlich „an den Wünschen der Mehrheit vorbei regiert“ und „von den Fleißigen“ auf die oberen Zehntausend umverteilt. Es braucht bessere Sozial- und Arbeitspolitik, so das Wagenknecht-Bündnis: „Leistungsgerechte Löhne, sichere Arbeitsplätze und gute Arbeitsbedingungen“, außerdem „einen zuverlässigen Sozialstaat, der Zukunftsängste abbaut und vor einem sozialen Absturz im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter schützt.“

Gleichzeitig bedient die werdende Partei auch reaktionäre Ressentiments wie das Gefühl, von „denen da oben“ bevormundet zu werden: „Statt Freiheit und Meinungsvielfalt zu achten, macht sich ein autoritärer Politikstil breit, der den Bürgern vorschreiben will, wie sie zu leben, zu heizen, zu denken und zu sprechen haben“ und „Cancel Culture, Konformitätsdruck und die zunehmende Verengung des Meinungsspektrums sind unvereinbar mit den Grundsätzen einer freien Gesellschaft“ sind Sätze, die eindeutig ein gekränktes Gefühl von Vormachtstellung ansprechen. Dies ist bei einer Politikerin wie Wagenknecht, die regelmäßig die Interessen unterschiedlicher marginalisierter Gruppen gegeneinander ausspielt und Kämpfe von queeren Menschen als Ausdruck von „Woke Culture“ abtut, nicht verwunderlich. Dies blendet selbstverständlich aus, dass gerade Frauen, queere Menschen oder People of Colour besonders von Armut betroffen sind. Zwar erwähnt das Programm eine Stärkung alleinerziehender Mütter, aber ansonsten lassen sich explizit feministische Inhalte, die für eine progressive Linke unumgänglich sind, schmerzlich vermissen. Wagenknecht, die selbst Geisteswissenschaften studiert hat und in einer Großstadt lebt, hat aber auch recht deutlich gemacht, wer ihr Klientel ist: Sich abgehängt fühlende Deutsche. Dagegen etabliert sie das populistische Feindbild der linksintellektuellen Berlinerin, die im Elfenbeinturm queere Sexpartys feiert und das Geld ihrer Eltern für Adorno-Gesamtausgaben und Bio-Koks verpulvert.

Auch in Bezug auf die Beziehungen zu Russland (weiterer Import von fossiler Energie aus Russland, Ablehnung der Sanktionen gegen das Putin-Regime als auch Waffenlieferungen an die Ukraine), Geflüchtetenpolitik (Forderung einer Obergrenze), Klimapolitik (polemische Aussagen gegen Wärmepumpen und E-Autos) und den Nahost-Konflikt (Gaza bezeichnet sie als „Freiluftgefängnis“) bedient sie Positionen, die dem emanzipatorischen Flügel der Linkspartei eindeutig gegenüber stehen. Wie der LINKEN-Politiker Robert Fietzke in einem ausführlichen Thread auf Bluesky dargelegt hat, ist die Ausrichtung von Wagenknecht und ihren Mitstreiter*innen vor allem in ihrer Radikalisierung im Rahmen der „Montagsmahnwachen“ ab 2014 einzuordnen – also: populistisch und verschwörungsideologisch angehaucht.

Reaktionen von Rechts

Geht es jedoch nach der verschwörungsideologischen Szene und der AfD, ist Wagenknecht kaum jemand anderes als die Wiedergeburt von Rosa Luxemburg und Ulrike Meinhof zusammen. Da das WBS medial als Konkurrent zur AfD gehandelt wird, ist eine skeptische bis ablehnende Reaktion verständlich. Björn Höcke pathologisiert direkt mal drauflos. Der Mann, der sich darüber freut, dass Teile der Jungen Alternative sich als „Höcke-Jugend“ bezeichnen, fragt: drückt sich in dem Namen „Bündnis Sahra Wagenknecht“ „Selbstbewußtsein aus, oder entlädt sich hier eine narzisstische Störung?“ (Fehler im Original). Letztendlich freut er sich aber, dass die Partei der „globalistischen Linken“ im Bundestag ein Ende bereiten werde. „Globalistisch“ ist eine rechtsradikale Chiffre für „jüdisch“. Parteikollege Tino Chrupalla gibt sich im Heute-Journal des ZDF markig: Zwar sei das Bündnis ein „weiterer politischer Mitbewerber“, aber Angst machen würde sie der AfD nicht.

Georg Pazderski (AfD Berlin) ist nicht amüsiert.

Ob diese Unbekümmertheit nur vorgeschoben ist, wird sich zeigen. Jedenfalls versuchen sowohl AfD-Politiker*innen, als auch Vertreter*innen der deutschen Rechten ihren Anhänger*innen zu vermitteln, dass das Wagenknecht-Bündnis für aufrechte Deutsche unwählbar sein sollte. Der gängigste Vorwurf ist, wenig verwunderlich, ein mangelnder Kurs nach Rechtsaußen. Hierbei schießen sie sich vor allem auf Wagenknechts Nummer Zwei ein, die Politikerin Amira Mohamed Ali. Dieser wird von rechtsradikalen Wannabe-Influencern wie Aaron Pielka oder Niklas Lotz oder von AfD-Mitgliedern wie Daniel Haseloff angekreidet, sich für Corona-Sicherheitsmaßnahmen oder die Rechte von Geflüchteten eingesetzt zu haben.

Wenn der Vorsitzende der AfD Thüringen auf die Rassismuskarte gegen das Bündnis Sahra Wagenknecht setzt, macht er sich vielleicht doch Sorgen.

Auch Storch teilte auf Twitter einen Ausschnitt aus einer Maischberger-Talkrunde, in der sie mit Mohamed Ali über Covid-Schutzmaßnahmen diskutiert hat, um die Politikerin als Vertreterin jener bevormundenden Elite zu deklarieren, gegen die sich das BWS ausspricht. Gerade auch die Überbleibsel der Querdenken-Szene haben der – übrigens selbst ungeimpften – Wagenknecht und anderen im BWS organisierten ehemaligen LINKEN-Politiker*innen niemals verziehen, dass die Interessen der unter der grausamen Corona-Diktatur leidenden Bevölkerung zu wenig vertreten hätte.

Grundtenor der Vorwürfe an das BSW ist: Es würde sich bei der Partei um ein „trojanisches Pferd“ handeln, welche das „deutsche Stimmvieh“ abgreifen wolle, um das Land anschließend in eine erneute SED-Diktatur zu führen – oder zumindest auf dem aktuellen Kurs beizubehalten. Gerade dass das Bündnis eine Zusammenarbeit mit der AfD vorerst ausschließt, wird hier als primäres Argument genannt. Diese These zieht sich durch das komplette verschwörungsideologische und rechte Spektrum:  von großen „Nachrichten“-Outlets wie dem verschwörungsideologischen Portal „AUF1“, populistischen Blogs wie „Jouwatch“ und „Tichys Einblick“ bis hin zu Rechtsextremen wie Martin Sellner, der jedoch deutlich sagt, dass der Linkspatriotismus des Bündnisses die AfD durchaus ein paar Stimmen kosten könnte – eine wirkliche Gefahr stelle sie aber nicht dar. Besonders amüsant ist ein Video aus einem Telegram-Kanal, der sich am äußersten Rand der Verschwörungs-Szene verortet: hier ist die Machtpolitikerin nicht nur knallharte Kommunistin, sondern auch jüdisch (weil: wer außer Jüdinnen und Juden steckt denn hinter dem Kommunismus?) und „wahrscheinlich ein Transgender“. Letztendlich sprechen aus den rechten Vorwürfen jedoch zwei Punkte: einmal der projektive Hass auf alles auch nur ansatzweise als „links“ Wahrgenommene, und andererseits durchaus eine Sorge, Stimmen an die linkspopulistische Partei zu verlieren.

Der rechtspopulistische Blog „Jouwatch“ mit rassistischem Schaum vor dem Mund.

Was aber sowohl Wagenknecht als auch die AfD zu ignorieren scheinen: die AfD wird nicht mehr als „Protestpartei“ von Bürger*innen gewählt, die sich abgehängt fühlen und die Wagenknecht ansprechen will. Sie wird gerade aufgrund ihrer rassistischen, antisemitischen, antifeministischen und queerfeindlichen Politik gewählt. Und auch die menschenfeindliche Sozialpolitik der AfD macht sehr deutlich, dass ihnen das Wohlbefinden abgehängter Deutscher egaler nicht sein könnte.

Reaktionen von Links

Jene Mitglieder und Sympathisant*innen der Linkspartei, die Wagenknechts Populismus, ihrem Putin-freundlichen Kurs und ihrer mangelnden Distanz zur verschwörungsideologischen Szene über die Jahre hinweg ausgesprochen wenig abgewinnen konnten, zeigen sich jedoch erleichtert. Robert Fietzke, jahrelang aktiver Politiker der LINKEN in Sachsen-Anhalt, sagt im Gespräch mit Belltower.News: „Für viele Genoss*innen in der Linkspartei kommt die Abspaltung einer Erlösung gleich. Natürlich sind damit nicht alle Probleme unserer Partei auf einen Schlag gelöst, aber es gibt einen spürbar gewachsenen Zusammenhalt. Nun ist die Zeit, die Selbstbeschäftigung zu beenden, um sich wieder zu hundert Prozent auf konkrete Politik für Menschen zu konzentrieren.“ Die aktuelle Situation könnte die Linkspartei zwar auf Bundesebene endgültig unter die Fünfprozentmarke bringen, andererseits kann sie aber auch als Neuanfang fungieren: für eine emanzipatorische, israelsolidarische Linkspartei, die sich für Antifaschismus, Klassenkampf, Feminismus und queere Rechte einsetzt, und die verkrusteten Machtstrukturen der letzten Jahre hinter sich lässt.

 

Das Titelfoto wird veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY 2.0 Deed.

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