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Neuer Band „Wissen schafft Demokratie“ Wann wird rechte Gewalt eigentlich Rechtsterrorismus?

Rechtsterrorismus gibt es in Deutschland in Kontinuität seit Ende des Nationalsozialismus, mit dem Bewusstsein dafür oder der Berichterstattung darüber sieht es anders aus. Hilfe bietet nun der Sammelband „Rechtsterrorismus“ der Schriftenreihe „Wissen schafft Demokratie“ des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena (IDZ). Die Autor*innen betrachten Rechtsterrorismus in Deutschland historisch und aktuell.

 
Ausschnitt des Titelbildes von Band 6 der Schriftenreihe "Wissen schafft Demokratie" zum Thema Rechtsterrorismus (Quelle: BTN)

Schon seit Jahrzehnten gibt es in Deutschland rechtsextrem motivierte Angriffe, Gewalttaten und Morde gegen Menschen, die Neonazis als ihre Feindbild-Gruppen definieren. Vom „Rechtsterrorismus“ war dabei allerdings lange nicht die Rede. Wann also wird rechte Gewalt eigentlich Rechtsterrorismus? „Vom Extremismus und Terrorismus wird erst dann gesprochen, wenn der Staat oder seine Repräsentanten direkt attackiert werden. Rechtsterrorismus beginnt nicht mit dem Mord an Politikern. Wir erleben ihn alltäglich mit Drohungen und Angriffen auf Angehörige von Minderheiten, demokratisch Engagierten, Journalisten und Lokalpolitikern“, sagt der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn, einer der drei Herausgeber des Bandes „Rechtsterrorismus“ der Schriftenreihe „Wissen schafft Demokratie“ des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena (IDZ). Im Buch führt Autor Jan Schedler aus: „Während Straßengewalt spontaner, situativer Natur ist, sind rechtsterroristische Taten das Ergebnis einer bewussten Auswahl von Zielen und werden konspirativ vorbereitet.“ Terrortaten sind Botschaftstaten, die Androhung und Gewalt verwenden, um spezifische politische Ziele zu erreichen. Dies funktioniert heutzutage nicht nur mit fest organisierten Personenzusammenschlüssen, von denen etwa deutsche Behörden immer noch ausgehen, wenn sie für „Terrororganisationen“ mindestens drei Mitglieder voraussetzen. Die rechtsextreme Szene vernetzt sich seit Jahren in losen Personengruppen und über das Internet, verbreitet explizite Strategiepapiere dazu, wie eine größere Zahl unabhängig agierender Täter*innen durch vermeintlich „einzelne“ Taten eine verheerende Wirkung erzielen kann.  Ihre Taten werden von den Behörden aber weiterhin als „Einzeltäter“-Aktionen bewertet – und deshalb weder rechtsterroristisch verfolgt noch verortet.

Im Sammelband weisen die Forscher*innen dementsprechend auch auf das systematische Versagen der Sicherheitsbehörden und Versäumnisse bei der juristischen Aufarbeitung hin. Auch die Folgen für die Betroffenen entsprechender Gewalttaten werden im Interview mit Mitat Özdemir von der „Interessengemeinschaft Keupstraße“ erläutert: „Die politische und juristische Bombe war, glaube ich, doch schlimmer als die Bombe selbst, weil man sich nicht mehr sicher fühlte. Wenn mir etwas passiert, sollten mich die Polizei, die Behörden und das Gesetz schützen. Doch das war nicht so –  für uns waren sie nicht da, nicht für die Keupstraße.“

In insgesamt 19 Beiträgen werden einzelne Phänomene zum Thema beleuchtet, etwa die verdrängten Verbindungen zwischen Verfassungsschutz und Rechtsterrorismus in den 1970er und 1980er Jahren in der BRD, Kontinuitäten in der Strafverfolgung von Rechtsterrorismus von der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ bis zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ oder die Frage, ob wir es bei Gewalttaten aus dem „Reichsbürger“-Milieu auch mit einer Form von Terrorismus zu tun haben. Autor*innen erläutern, was toxische Männlichkeit und Rechtsterrorismus verbindet, wie zentral Antifeminismus für viele gerade der aktuellsten rechtsterroristischen Attentäter war und warum psychische Auffälligkeiten bei vermeintlichen „Einzeltätern“ nicht als alleinige Erklärung der Taten taugen. Auch wer wissen möchte, was „Schwarmterrorismus“ ist und ob der Begriff auf die deutsche Entwicklung zutrifft oder warum der Onlineaustausch einer internationalen Hass-Community längst zentrales Element der Lebenswirklichkeit geworden ist, wird fündig.

Auf ein weiteres Problem weist Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, hin: „Die rechtsextreme Szene hat in den letzten Jahren ein neues Selbstbewusstsein gewonnen und fürchtet kaum noch Konsequenzen für ihre Pläne und Überzeugungen. Der Verfolgungsdruck auf Rechtsextreme muss erhöht werden. Es braucht auch eine bessere Ausbildung und Sensibilisierung in der Polizei für die Sichtweise der Betroffene, die viel Vertrauen in die Behörden verloren haben.“ Denn so wichtig Demokratie- und Präventionsarbeit gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist: Sobald eine Radikalisierung zum Rechtsterrorismus erkennbar ist, endet das zivilgesellschaftliche Engagement und Polizei und Justiz müssen konsequent den Schutz der Demokratie übernehmen.

Der Sammelband „Rechtsterrorismus“ der Schriftenreihe „Wissen schafft Demokratie“ erscheint in einer Auflage von 1.000 Stück und ist kostenlos beim IDZ Jena bestellbar. Alle Beiträge werden open Access, also frei zugänglich, auf der Website des IDZ zur Verfügung gestellt:

https://www.idz-jena.de/schriftenreihe/band-6-rechtsterrorismus

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