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Politik und Games Was geschah mit Jessika?

In das Spiel "Jessika" kann als Demo auf der Plattform "Steam" hineinschnuppern. (Quelle: Screenshot Steam)

Das Entwickler*innen-Studio TriTrieGames aus Köln hat vor wenigen Wochen ihr erstes Videospiel auf „Steam“ veröffentlicht. In dem Mystery-Adventure „Jessika“ schlüpfen die Spielenden in die Rolle eines privaten Ermittlers, der sich als Teil eines fiktiven Unternehmens auf die Aufarbeitung digitaler Fußabdrücke spezialisiert hat. Der Vater der verstorbenen „Jessika“ beauftragt uns damit, das verschlüsselte Videotagebuch nach Hintergründen und Motiven zu durchforsten. Dabei stößt unsere Spielfigur auf eine Autobiographie, welche die Radikalisierungslinien einer jungen Frau nachzeichnet.

Mick Prinz von „Good Gaming – Well Played Democracy“ hat mit Pierre Schlömp von TriTrieGames darüber gesprochen, ob Videospiele politisch sein können und wie ein Spiel eine klare Haltung gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus transportieren kann.

Mick Prinz: Als ich „Jessika“ das erste Mal gestartet habe, war ich ganz schön überrascht. Videospiele, in dem wir nicht den Weg einer animierten Spielfigur folgen, sondern Sequenzen mit einer echten Schauspielerin sehen, sind ganz schön selten geworden. Auch dass beim Spielstart eine Art neues PC-Interface aufpoppt, und ich mich auf einer Oberfläche mit einem eigenen Mail-Programm und mit einer Art Messengerdienst wiederfinde, hat mich überrascht. Regelmäßig melden sich meine fiktiven Arbeitskolleg*innen bei mir, geben mir Recherchetipps oder nerven mich schon fast mit Essensbildern aus ihrer Mittagspause. Mein Auftraggeber (ein gewisser Herr Glabisch) möchte regelmäßig über den Stand meiner Ermittlungen informiert werden. In den Gesprächen habe ich dabei meistens die Wahl, wie gefühlvoll ich auf seine emotionalen Reaktionen antworten möchte. Seine Tochter hat Suizid begangen und er möchte mehr über die Hintergründe erfahren. Warum habt ihr euch für diese Art der Inszenierung entschieden? (Schauspieler*in, Textbogen, Videos, Arbeitschats).

Pierre Schlömp: Unser Team besteht aus drei Personen: Sarah, Seren und mir. Bei Videospielen sind die Teamgröße und der Zeitrahmen maßgebend für das Ergebnis und auch die Qualität. Bereits zu Beginn des Projektes war klar, dass es ein emotionales Erlebnis für die Spieler*Innen sein sollte.
Auf klassische Art, also mit 3D- oder 2D-Charakteren, die entsprechend animiert sind, hätten wir zu dritt wesentlich länger oder mehr Geld gebraucht. Durch die Wahl des FMV (Full Motion Video)-Genres, mussten wir „nur“ die passende Schauspielerin finden, um die Emotionen auf Video zu bekommen. Der Casting- und Drehprozess war sehr arbeitsintensiv, aber im Endeffekt genau richtig für uns und mit Lisa hatten wir jemanden an der Seite, die nicht nur unglaublich schauspielern kann, sondern auch vom kreativen Aspekt her sehr gut zu uns gepasst hat.

Der Arbeitslaptop und die Texte, in Form von Emails oder Chat, sollten das Spiel realistischer machen. Auch bereits vor der Home-Office Zeit war es für viele normal am Laptop zu arbeiten oder aber auch mit Freunden, Familie oder Kollegen durch diesen zu interagieren. Dadurch soll das Spiel bestimmte Aspekte unserer digitalen Gesellschaft widerspiegeln und genau wie im echten Leben hat man keine Kontrolle darüber, zu welchem Zeitpunkt man hilfreiche Tipps, Spam oder nervige Chatnachrichten erhält. Genauso ist das FMV bzw. die Videos im Spiel ein Abbild der sozialen Medien. Jeder kann heute ein Content Creator sein und seine Ideen ins Netz stellen, wo sie so gut wie jedem zugänglich sind.

„Jessika“ simuliert damit also ein wenig einen digitalen Arbeitsplatz, wie ihn viele von uns aktuell nur zu gut kennen. Trotzdem hat sich Jessika nicht nach Arbeit angefühlt, sondern stark mit meinen Emotionen, Gefühlen und meinem Entdeckerdrang gespielt. Mein anfängliches Mitgefühl für Jessika hat sich nach und nach auch zu Unverständnis und teilweise auch zu Wut entwickelt. Was könnt und wollt ihr an dieser Stelle über die Story verraten?

Das ist immer recht schwierig, ohne hier zu viel vorweg zu nehmen, aber unsere Spielbeschreibung trifft es da schon sehr gut: Spieler*Innen sollten sich auf ein düsteres Drama voller Wendungen vorbereiten.

Wenn wir jetzt allerdings hinter dem Vorhang der Spoilerwarnung reden und die Leser*Innen sich im Klaren sind, dass die Spielerfahrung dadurch beeinflusst wird (das ist der Punkt wo man aufhören sollte zu lesen, falls man das Spiel noch nicht gespielt hat),

kann ich euch auch sagen, dass es bei Jessika im Kern um die Radikalisierung in eine rechtsextreme Szene geht. Wir wollten mit der Geschichte veranschaulichen, was passieren muss, damit Menschen sich solch einer Gruppe anschließen.

Ihr beschäftigt euch also mit dem kniffligen Thema rechtsextremer Radikalisierung. Dabei sind diese Wege ja in der Realität sehr unterschiedlich und haben ganz verschiedene Hintergründe. Habt ihr euch an realen Fällen orientiert? Gibt es klare Parallelen und Dinge, auf die ihr hinweisen wollt?

Ursprünglich war die Geschichte von den NSU-Fällen inspiriert, doch bei unseren Recherchen haben wir schnell festgestellt, dass sich seitdem einiges geändert hat und Radikalisierung immer noch ein aktuelles Thema ist. Dadurch ist die Entscheidung gefallen, die Geschichte zu fiktionalisieren und konkrete Ereignisse immer noch als Inspiration zu nutzen, aber nicht zeitlich akkurat abzubilden. Der Name „Jessika“ ist z.B. ein Verweis auf die Ceska-Morde. Gleichzeitig habe ich mich auch viel mit dem Umgangston auf sozialen Medien auseinandergesetzt und mir Aussteiger-Stories angehört.

Alles in allem habt ihr hier ein Videospiel mit einer klaren politischen Haltung programmiert. Ich erinnere mich an eine Sequenz, wo das klare Benennen von Rassismus zu einer technischen Störung führt. Eine subtile Kritik an aktuellen Zuständen? Wie siehst du das als Entwickler?

Screenshot aus dem Spiel „Jessika“

Bei der Motivation hinter Jessika ging es darum, darauf aufmerksam zu machen, dass Rassismus und Radikalisierung in unserer Gesellschaft immer noch präsent sind und das auch thematisiert werden sollte. Durch die aktuellen Ereignisse, wie zum Beispiel der Umgang der chinesischen Regierung mit den Uiguren, Proteste zu Corona oder die „Black Lives Matter“-Demonstrationen in den USA hat die Debatte gerade wieder globale und mediale Aufmerksamkeit gewonnen. Trotzdem wollen wir im Spiel auch diejenigen darauf aufmerksam machen, die vielleicht nicht regelmäßig die Nachrichten schauen oder durch Algorithmen in einem anderen digitalen Umfeld sind. Die technischen Störungen kann man als Kritik an den aktuellen Zuständen verstehen, es geht hierbei aber auch um die Isolierung und die Beeinflussung des Individuums. Der Chat ist in unserem Spiel so gesehen der einzige Kontaktpunkt zum sozialen Umfeld.

Sollten sich mehr Videogames mit politischen Themen beschäftigen? Was können Spiele hier nach deiner Auffassung bewirken?

Ich finde, Games dürfen sich durchaus mit politischen und auch anderen relevanten Themen beschäftigen. Das entscheiden die Entwickler*Innen. Gleichzeitig sind Medien an sich, und damit auch Spiele, immer ein Zeugnis ihrer Zeit. Ich als Entwickler fände es motivierend, wenn die Spieler*Innen solche Art von Spiele annehmen und dadurch zeigen, dass sich die Investition und der Aufwand lohnt. Ich möchte niemandem seine Möglichkeit des Eskapismus nehmen und verstehe es auch, wenn man sich nicht mit solchen Themen in Form eines Spiels auseinandersetzen möchte. Gerade in der Freizeit. Aus eigener Erfahrung kann ich allerdings sagen, dass mir Spiele viele Themen zugänglich gemacht haben und ich durch den Zugang im Spiel ein größeres Interesse an einem Dialog oder der Diskussion hatte.

Durch die interaktive Art von Spielen sind wir als Spieler*Innen viel aufmerksamer und offen für das, was uns gezeigt wird. Es gibt genug Studien, die belegen, dass Lernerfolge durch Spiele gesteigert werden können. Durch die Interaktivität wird eine gewisse Intimität geschaffen. Dadurch wird erst diese emotionale Achterbahn ermöglicht. Am Ende können die Spieler*Innen darüber nachdenken, was sie erlebt haben und sich in ihrem eigenen Umfeld umschauen, ob sie vielleicht schon einmal Ähnliches beobachtet haben. Die Frage, die wir stellen wollen, ist, ob man solche Schicksale wie Jessikas verhindern kann, wenn wir als Gesellschaft und Individuen besser aufeinander Acht geben.

Euer Spiel wurde vor knapp zwei Wochen veröffentlicht. Wie ist bisher die Resonanz? Seid ihr beispielsweise aus rechten Kreisen angefeindet worden? Habt ihr einen Plan, wie ihr auf solche Narrative reagiert?

Bisher war die Resonanz positiv und emotional. Durch das Durchbrechen der vierten Wand sieht man in vielen Streams, wie Spieler*Innen von Jessika betroffen waren. Einige Kritikpunkte, die uns von den Spieler*Innen mitgeteilt wurden, können wir durchaus nachvollziehen. Deshalb sind wir aktuell auch dabei, diese zu beheben.

Wir haben aber auch beobachten können, dass Zuschauer*Innen von Streams manchmal Jessika zugestimmt haben. Hier ist es uns wichtig, in einen Dialog zu treten, herauszufinden was genau damit gemeint ist und zu verdeutlichen, wohin solche Gedanken führen können. Allgemein ist uns dieser Dialog sehr wichtig und auch in Zukunft werden wir diesen suchen.

Gibt es Pläne für die Zukunft? Werdet ihr weiter kniffelige Themen in Games ansprechen?

Definitiv. Uns als Firma, aber auch mir als Designer, geht es darum, das Medium Games weiter zu entwickeln. Genauso wie Filme und Literatur können sie wesentlich mehr sein als reine Unterhaltung. Gerade im Bereich Serious Games oder Impact Games wird das bereits sehr deutlich. Zukünftige Projekte werden deshalb auch weiterhin kniffelige oder komplexe Themen aufgreifen und versuchen diese Spieler*Innen zugänglich zu machen. Diese Themen werden nicht immer nur politischer Natur sein, sondern können auch globale Problematiken oder individuelle Schicksale aufgreifen.

 

Interessierte können sich eine Demoversion auf Steam herunterladen und in das Spiel hineinschnuppern.

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