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Rechtsextreme Strukturen Schließung des Jugendkellers spielt Neonazis in die Hände

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Barsinghausen ist eine Kleinstadt in der Nähe von Hannover. „Hier geht’s bergauf!“ lautet der Slogan der Stadt. Die polnische Nationalmannschaft wählte Barsinghausen als ihr Quartier während der Fußballweltmeisterschaft 2006, in den frühen 1920er Jahren besuchte Heinz Erhard hier ein Internat. So weit, so beschaulich. Den Jugendlichen der Stadt geht es in Barsinghausen sicher nicht schlechter als Altersgenossen in anderen Städten dieser Größenordnung. Das Angebot ist begrenzt, man macht das Beste draus.

Selbstverwaltet und basisdemokratisch

18 Jahre lang bot der „Falkenkeller“ unabhängige Jugendarbeit an. Es war ein Ort, der jungen Menschen die Möglichkeit gab, die Freizeit selbstverwaltet zu gestalten. Mark, Nutzer und Mitorganisator des Falkenkellers, erklärt das Konzept: „Der Falkenkeller definiert sich durch eine Gemeinschaft von Jugendlichen die sich regelmäßig treffen, um für sich und Andere diverse Angebote zu realisieren.“ Bei sogenannten Vollversammlungen wird basisdemokratisch über Ideen und Vorhaben abgestimmt. Kleinere Gruppen organisieren ehrenamtlich und in Eigenregie die jeweilige Veranstaltung, ob Konzerte, Partys, Infoveranstaltungen, politische Podiumsdiskussionen oder Basteltage. „Bis vor ein paar Jahren konnten wir sogar noch das beliebte Festival ‚Rock im Grass‘ sowie das ‚Raise against War‘ durchführen“, erzählt Mark, der zu einem von zwei Sprechern des Falkenkellers gewählt wurde.

Vorfall an Silvester bedeutet das Aus

Mitte Januar kam das Aus für den Falkenkeller. Die Stadt Barsinghausen untersagte den Jugendlichen die weitere Nutzung der Räumlichkeiten. Als Grund wurde ein Vorfall in der Silvesternacht genannt. Mark erzählt uns, was passiert war: „In der besagten Nacht sollen Jugendliche, die wohl eine Party des Falkenkellers besucht haben, in der Innenstadt randaliert und Feuerwerkskörper in Richtung von Polizeibeamten geworfen haben. Zudem sollen mehrere Jugendliche in und vor dem Falkenkeller Polizisten und Polizistinnen beleidigt haben. Was in der Innenstadt passierte entzieht sich allerdings unserer Kenntnis. Wir haben lediglich mitbekommen, dass die Polizeibeamten die Besucher der Party teilweise aufs übelste beleidigten und tätlich angriffen. Nun heißt es, wir hätten uns gesetzeswidrig verhalten und der Keller wurde daraufhin geschlossen. Leider ist es nahezu unmöglich gegen Polizeigewalt anzugehen. Es ist auch nicht das erste Mal, dass wir von der Polizei derart behandelt worden sind.“

Keine Chance zur Rechtfertigung

Dass die Vorfälle in der Silvesternacht nur als Vorwand, als der willkommene Anlass, genutzt werden, sich des lästigen Jugendkellers zu entledigen, ist ein Verdacht, der nicht nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wird. Die Jugendlichen sind einigen politischen Verantwortlichen schon länger ein Dorn im Auge. Die Entscheidung über die Schließung des Falkenkellers traf Barsinghausens Bürgermeister, Marc Lahmann (CDU), in Absprache mit der Polizei, ohne den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich für die Vorwürfe zu rechtfertigen. Über die Schließung ihres Jugendraums erfuhren die Nutzerinnen und Nutzer durch die Presse.

Um Demokratie zu lernen und zu leben brauchen Jugendliche Raum. Jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich selbst auszuprobieren, eigenverantwortlich zu handeln, Konflikte gewaltfrei und im Dialog zu lösen, ist ein Grundpfeiler der Jugendarbeit. Mit der Schließung des Falkenkellers, wird diese Möglichkeit genommen und zwar auf undemokratischem Wege.

Die Schließung spielt örtlichen Neonazis in die Hände

Für einen zusätzlich bitteren Beigeschmack sorgt im Falle des Falkenkellers die rechtsextreme Szene in Barsinghausen und Umgebung. Die Schließung des alternativen Jugendraums spielt den Neonazis in die Hände. Wiederholt wurden der Jugendraum und dessen Besucherinnen und Besucher von Rechtsextremen angegriffen. Immer wieder kommt es zu Überfällen, bei denen Jugendliche schwer verletzt werden Von Neonazis ausgesprochene Morddrohungen gegen Mitglieder des Falkenkellers sind keine Seltenheit.

Im Oktober brachen Unbekannte in die Räumlichkeiten ein, die Einrichtung wurde zerstört, die Täter stahlen eine Geldkassette und versuchten Feuer zu legen. Die Polizei ging „von einem reinen Eigentumsdelikt aus“. Nur wenige Tage später war der Falkenkeller erneut Ziel eines Angriffs. Mehrere Personen, die schon früher am Tag durch Pöbeleien, Drohungen und „Sieg Heil“-Rufe aufgefallen waren, zerstörten mit einem Fahrradständer die äußere Glastür und versuchten, ins Innere des Jugendkellers zu gelangen. Die Jugendlichen stemmten sich von Innen gegen die Tür und konnten so das Eindringen der Angreifer verhindern. Die Neonazis sprühten Pfefferspray durch einen Türspalt und flohen kurz bevor die Polizei eintraf. Fünf Täter im Alter zwischen 17 und 22 Jahren konnten festgenommen werden, alle stammen aus Barsinghausen und waren der Polizei bereits bekannt.

Chronik rechtsextremer Übergriffe

Seit 2010 führen die Mitglieder des Falkenkellers eine Chronik rechtsextremer Aktivitäten in Barsinghausen und Umgebung. Die Liste ist erschreckend lang. Dennoch wird von städtischer Seite die Existenz einer Neonazis-Szene wiederholt bestritten. „Einige Vertreter der Stadt setzen sich lediglich alle sechs Monate in einem sogenannten Präventionsrat zusammen und stellen fest, dass es gar keine rechte Szene gäbe, sondern nur ‚vereinzelte Jugendliche mit rechter Gesinnung‘“, erzählt Mark. Ein Stadtjugendpfleger suche diese Jugendlichen auf und versuche „sie in ‚normale‘ Freizeitaktivitäten einzubinden  – mehr ist uns nicht bekannt“. Die Polizei verharmlose die Neonazis und ihre Taten, indem sie jenen den politischen Hintergrund entziehe. Mark berichtet weiter: „Vor Gericht wird dann ebenso verfahren: Neonazis erhalten lächerliche ‚Strafen‘, ein Hitlergruß, vor den Augen mehrerer Polizeibeamter, wird gänzlich unter den Tisch gekehrt und Angriffe auf alternative Jugendliche als Konflikte zwischen Jugendbanden abgetan.“

Stattdessen würden die Nutzerinnen und Nutzer des Falkenkellers sowohl von Polizei als auch von Seiten einiger Politiker und der Stadtverwaltung kriminalisiert. „Diese Vorgehensweise sorgt nicht dafür, das Problem mit der rechten Szene in Barsinghausen zu beheben oder wenigstens zu verringern, im Gegenteil: Es bestärkt die Nazis in ihrem menschenverachtenden Denken und Handeln“, so Mark.

NPD bietet an, den Jugendclub zu übernehmen

Die fehlende Sensibilität der Stadtverwaltung zeigte sich zuletzt, als die NPD einen Antrag stellte, die Trägerschaft des Falkenkellers zu übernehmen. „Die immer wiederkehrenden Probleme, insbesondere die in der Silvesternacht, haben ja deutlich gezeigt, dass es einer straffen, verlässlichen Führung des öffentlichen, toleranten Jugendzentrums bedarf“, erklärte die NPD und betonte „Eine politische Ausrichtung unsererseits wird es selbstverständlich nicht geben, der neutrale Status bleibt gewahrt“. Der Antrag wurde mittlerweile einstimmig abgelehnt, eine klare Distanzierung von den Rechtsextremen blieb jedoch aus. Die stellvertretende Bürgermeisterin, Kerstin Beckmann, erklärte im Interview mit den Calenberger Online News lediglich: „Der Antragsteller ist kein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe“. Andreas Hartig (Grüne) kritisierte den fehlenden öffentlichen Widerspruch gestern im Jugendausschuss: „Ich hätte mir ein gemeinsames Auftreten und eine klare Absage gewünscht“, sagte er.

Wiedereröffnung wird noch verhandelt

Inzwischen hatten „Die Falken Hannover“ angeboten, die Trägerschaft für den Falkenkeller zu übernehmen. Dass der Jugendraum dauerhaft geschlossen bleibt, ist also nicht zu erwarten, auch wenn sich dies einige Lokalpolitiker offenbar wünschen. „Die Arbeit im Falkenkeller entspricht nicht meinen Vorstellungen von Jugendarbeit“, teilte beispielsweise Inge Becker (CDU) mit. Die Jugendlichen wiederum begrüßen das Angebot der Falken: „Aufgrund des Druckes der Stadt, für den Falkenkeller eine Nutzungsvereinbarung zu treffen, ist eine Trägerschaft die beste Möglichkeit, die uns bleibt.“ Seit rund eineinhalb Jahren schon diskutieren die Organisatoren des Falkenkellers mit Stadtverwaltung und Kommunalpolitik. „Die Falken geben uns die nötige Rückendeckung und haben zudem viel Erfahrung mit ähnlichen Projekten“, sagt Mark.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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