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Rechtsextremer Terror Christchurch als bitterböses Meme

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(Quelle: Unsplash / Blake Connally)

50 Menschen starben am vergangenen Freitag im neuseeländischen Christchurch nach einem rechtsextremen Terrorakt, der seines gleichen sucht. Ein 28-jähriger Australier feuerte auf betende Muslime und teilte seine Tat via Livestream. Das alles kündigte er wenige Minuten vorher an und verbreitete ein „Manifest“, in dem er alle gängigen rechtsextremen Plattitüden wild durcheinandermixt und sie mit In-Jokes unterfüttert, die nur eine exklusive Gemeinde von Digital Natives, Trollen, Hatern und rechtsextremen Online-Aktivisten versteht.

Jeder Schritt ist mit Andeutungen auf digitale Memekulturen verbunden: Muslimfeindliche Lieder von serbischen Nationalisten begleiten den Täter auf dem Weg zum Tatort; Referenzen zu einem Youtuber, der in der Gamer-Szene beliebt ist, gehören zu seinen letzten Worten vor der Tat; White-Power-Gesten, die eher auf Imageboards wie 4chan und 8chan verweisen als auf Neonazistrukturen, zeigte er selbst noch in Handschellen. Mit einer „realweltlichen Anstrengung“ – wie der Täter es selbst beschreibt – trägt er die Gewalt, die durch digitale Hasskulturen verbreitet werden, auf die Straße und erhofft sich Sympathie, Aufmerksamkeit und Nachahmung aus den Untiefen rechter Netzwelten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Täter seine Leserschaft dazu aufruft, in seinem Namen Memes zu kreieren und Shitposting zu betreiben. Viele folgten seiner Anweisung und produzierten im Minutentakt Bilder, Texte und Videos, die den Täter als glorreichen Kämpfer huldigen. Sie tragen zur Motivation des Täters bei, Christchurch zu einem bitterbösen, realweltlichen Meme zu entwickeln.

Memes, Shitposting und LARPing

Memes haben sich zu einer zentralen Kommunikationsform in digitalen Foren entwickelt. Es sind Bilder, Videos und auch Texte, die zur Vervielfältigung produziert werden; humoristisch aufgeladen und teils mit derben, mehrdeutigen Botschaften versehen. Ein erfolgreiches Meme ist jenes, das sich weit verbreitet und von endlosen Nutzerketten in möglichst vielen Text-Bild-Kombinationen adaptiert wird. Im Kontext der extremen Rechten wurden Memes als zentrale Waffe des ‚Informationskriegs‘ ausgerufen. Damit verbunden war das Ziel, rechte Inhalte präsenter zu machen und den vorpolitischen Raum Schritt für Schritt zu Gunsten rechter Parteien zu verschieben. Viele Memes kombinierten NS-Symbolik mit Pepe der Frosch und Vaporwave-Ästhetik. Die meisten User wollten damit eine rebellische Pose gegen den liberalen Mainstream einnehmen. Für andere hingegen war es Ausdruck ihrer Weltanschauung, die durch die Verbreitung von rechtsextremen Inhalten anschlussfähig wurde. Eine ambivalente Welt, die besonders junge Männer anspricht und zur kreativen Teilnahme aufruft.

Die US-amerikanische Alt-Right setzte mit ihrem ausgerufenen ‚Meme-Krieg‘ neue Standards. Sie definierte durch diese Form des digitalen Aktivismus weiße Überlegenheitsvorstellungen neu und machte rechtsextremen Aktivismus attraktiv für Gamer-Kulturen und Männerrechtsaktivisten. Seitdem nutzen Identitäre, Rechtspopulist*innen und Neonazis gleichermaßen ihre memetische Waffenkammer und schufen eine digitale Hasskultur, die sich schwarmhaft in Form eines digitalen Ad-Hoc Aktivismus auf politische Gegner*innen stürzt und versucht, länderübergreifend Wahlen zu beeinflussen. Sie initiierten Patchwork-Weltanschauungen, die zwischen digitalen Subkulturen, alten und neueren rechtsextremen Ideologiefragmenten einen wilden, widersprüchlichen Mix gebären, derer sich Menschen wie der Täter in Christchurch eklektisch bedienen.

Rechtsextreme Aktivist*innen bezeichnen ihr digitales Dauerfeuer als Shitposting. Mit der Produktion von massenhaften Inhalten möchten sie den sozialen Netzwerken ihr emanzipatorisches Potential entziehen, zur eigenen Belustigung beitragen und demokratische Stimmen verstummen lassen. Politischer Austausch soll unmöglich gemacht und politische Debatten manipuliert werden. Sie verkaufen ihre Handlungen als provozierende Späße (auch Trolling genannt) und animieren sich gegenseitig, durch immer derbere Handlungen dem (imaginierten) Gegenüber den größtmöglichen Schaden zuzufügen. In der Aufarbeitung des Massakers von Christchurch sehen wir, wie auf Kosten der Hinterbliebenen geschmacklose Memes produziert werden, die den Mord von Menschen muslimischen Glaubens als eine Belustigung empfinden.

Bereits in der Vergangenheit kam es öfter vor, dass sich digitaler In-Joke Humor in gewaltsames Handeln umschlug. In den Vereinigten Staaten führte die sog. Pizzagate-Debatte, in der Gerüchte über einen illegalen Kinderpornographie-Ring die Runde machte, dazu, dass ein bewaffneter ‚True Believer‘ eine Pizzeria stürmte und nach deren Versteck suchte. Ein weiteres Beispiel bildet die verschwörungstheoretische Bewegung QAnon, die sich aus den Tiefen der 4Chan-Online-Subkultur entwickelte und rechtsextreme Positionen länderübergreifend auf die Straße trug. Politisches Handeln wird dann oft als LARPing ausgegeben, eine ironische Form der Inszenierung von extremen politischen Inhalten. Live Action Role Playing bezeichnet ursprünglich ein Rollenspiel, bei dem eine Gruppe von Menschen das Verhalten von Memen, Avataren oder Influencern ‚in real life‘ imitieren. Diese Erklärung bietet den Beteiligten eine bequeme Ausrede, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten.

Im Fall von Christchurch verhält sich der Täter, als wenn er sich in die Rolle eines Egoshooter PC-Spiels begibt, der auf der Mission möglichst viele Menschen muslimischen Glaubens töten soll. Mit seiner GoPro-Kamera ausgestattet möchte er, dass sich die Zuschauenden in ihn hineinversetzen – wie in einem Computerspiel, deren Spieler ihre Missionen auf YouTube streamen. In Foren wie 4chan und 8chan wurde der Terroranschlag von Anfeuerungsrufen und Sympathiebekundungen begleitet, während einige Nutzer sogar dazu aufriefen, den Täter zu imitieren.

Home of Hate: 4Chan und 8Chan

Die Heimat der rechten Hasskultur sind recht deutlich zu markieren. Es sind die bildbasierten Foren von 4Chan und 8Chan, in denen sich Millionen von Menschen zu bestimmten Themen anonym austauschen. Während die allermeisten Boards sich als praktische Diskussionsforen zu sehr speziellen Themen herausbildeten, entwickelte sich das Board „Politically Incorrect“ (/pol/) zu einem Tummelplatz von rechtsextremen Hassbotschaften, in denen Feministinnen, Liberale, Schwarze und Musliminnen auf derbste Art entmenschlicht und verspottet werden. Neonazistische Inhalte und Aufrufe zur Gewalt werden als edgy verstanden und von den Administratoren unter den Schutz der Meinungsfreiheit gestellt.

Viele realweltliche Ereignisse werden mit visuellen Mitteln aus der PC-Spielekultur aufgearbeitet. So wurde beispielsweise der italienische Rechtsextreme Luca Traini als „God of Race War“ in Anspielung auf das Computerspiel God of War dargestellt und mit heftigem Beifall bedacht, nachdem er sechs schwarze Menschen auf offener Straße anschoss. Es sind diese Momente, die das /pol/ Forum zum Kochen bringen, eine Flut von Memes produzieren und Menschen zum Nachmachen animieren. Sie sind stets verbunden mit dem Willen zum Helden zu avancieren, über dessen Taten mit Respekt geredet werden. Der Täter von Christchurch ist unzweifelhaft von dieser Internetkultur inspiriert. Mehr noch: Seine Tat kann als eine Art Marketing für sein Ansehen in digitalen Plattformen, als eine ultimative Form des LARPing verstanden werden.

Das heißt natürlich nicht, dass sich sein rechtsextremes Weltbild nicht auch aus anderen Quellen speist. Es verweist allerdings darauf, dass rechtsextreme und gewaltverherrlichende Inhalte so selbstverständlich in solchen Foren sind, dass sie zu einem eigenartigen Medley anregen – wie bspw. das Manifest des Täters. Wie Sascha Lobo treffend darstellt, sollten wir uns davor hüten, die Inhalte für bare Münze zu nehmen und sie ohne Kontext zu reproduzieren, wie es in den letzten Tagen bereits passiert ist. Die Medienstrategie des Täters ist genau darauf ausgerichtet, dass er selbst die vorschnelle, sensationslustige Aufarbeitung des Attentats noch als Teil seines Plans verinnerlichte.

Von digitalen Hasskulturen zum Terror

Meist ist es schwer, die Motivation und den Ablauf von rechtsterroristischen Angriffen zu rekonstruieren. Im vorliegenden Fall scheint sie sich allerdings aufzudrängen. So sehr, dass wir ihren Plot kritisch hinterfragen sollten. Das Manifest, der Livestream und die gelegte Fährte der digitalen Fußabdrücke sind auf ihre Verwertung durch Medien ausgerichtet. Der Täter orientiert sich am Vorgehen rechtsterroristischer Vorgänger wie Anders Breivik, um möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er muss jedoch als letzte Konsequenz einer digitalen Hasskultur verstanden werden, die weniger auf lokale Begebenheiten reagiert, sondern sich als eine transnationale Community versteht, die mit Feminismus, Egalitarismus und „politischer Korrektheit“ abrechnen will – online und offline. Es geht darum, mit der Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit zu spielen, ‚Normies‘ auf falsche Fährten zu locken und sich über ihre Opfer lustig zu machen.

Die Konzertierung der Tat als eine Form des memetisch aufgeladenen Terrorismus stellt in der Form eine Neuheit dar. Viele jüngere Angriffe waren stark durch soziale Medien geprägt. Man denke nur an Pittsburgh, wo der Täter seine Tat auch über ein in Alt-Right-Kreisen bekanntes Forum ankündigte. Allerdings ist bisher nie so deutlich geworden, wie ein Täter sich in den Dienst einer imaginierten Community stellt, die durch nichts mehr Befriedigung erhält als durch das Leiden anderer Menschen. Je extremer das Leid, desto größer der Spaß. Das ist das Credo, unter dem sich Millionen junger (meist) Männer zusammenfinden und ihren digitalen Nihilismus zum Ausdruck bringen.

Das heißt nicht, dass das gesellschaftliche Klima keine Rolle spielt. Ganz im Gegenteil: Wir können nachverfolgen, welche Jubelstürme ausbrechen, wenn Trump antimuslimisch Aussagen tätigt, wenn Parteien wie die AfD an Stimmen gewinnt und Rechtsterroristen zur Tat schreiten. Sie surfen auf der Welle des Rechtsrucks. Allerdings auf ihre Art: Es ist eine Welt, in der die Unterscheidung zwischen Ernst und Humor, Wirklichkeit und Fiktion, Online-Doxing und Offline Gewalt obsolet werden. Die Community dürstet nach Schadenfreude und krönt ihre Helden.

 

Maik Fielitz ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Er ist Co-Herausgeber eines aktuellen Sammelbandes, der sich mit den (post-)digitalen Kulturen der extremen Rechten auseinandersetzt. Es steht hier kostenlos zum Download verfügbar.

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