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Terrorismus Sind die Täter Psychopathen?

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Der Berliner Platz in Bottrop. Ein Autofahrer hatte hier in der Silvesternacht seinen Wagen gezielt in eine Fußgängergruppe gesteuert. (Quelle: picture alliance/Marcel Kusch/dpa)

Schließen sich Terrorismus und psychische Erkrankungen aus und hat es etwas mit Rassismus zu tun, wenn migrantische Täter Terroristen sind und weiße Psychopathen? Deutschland debattiert zu diesem Thema weiter. Wie werden solche Fragen in Israel behandelt, einem Land, in dem es vor allem in der Vergangenheit immer wieder zu schweren Terrorattacken gekommen ist und das auch heute noch immer wieder angegriffen wird? Dazu haben wir uns mit Alexandra Herfroy-Mischler von der Hebrew University in Jerusalem unterhalten. Herfroy-Mischler forscht unter anderem zu islamischem Terrorismus, Journalismus und Antisemitismus.

Belltower.News: Muss man eine terroristische Attacke anders bewerten, wenn sie von einer Person begangen wird, die psychisch krank ist?
Herfroy-Mischler: Wenn es in Frankreich zu einer Terrorattacke kommt, ist es in der Regel so, dass die Medien den Täter zunächst nicht als Terroristen bezeichnen, sondern als geistig verwirrte Person und zwar bis zu dem Zeitpunkt, an dem es ein Bekenntnis von Daesch [eine andere Bezeichnung für den sogenannten „Islamischen Staat“]  oder einer anderen Terrororganisation gibt. In Israel wird das anders gehandhabt. Wir können nicht davon ausgehen, dass jede Person in der Hamas psychisch krank ist. Genauso wenig, wie alle Mitglieder von Daesch psychisch krank sein können. Je größer die Gruppe ist, desto weniger kann es um geistige Gesundheit gehen. Ansonsten könnte man auch sagen, dass alle Nazis psychisch krank waren oder alle die am Apartheidsregime in Südafrika mitgewirkt haben. Geistige Gesundheit ist ein Faktor, sie wird aber weniger wichtig, wenn klar wird, dass es trotzdem einen terroristischen Hintergrund gibt. Ich beschäftige mich mit den Exekutionsvideos von Daesch und: Natürlich sind das Psychopathen. Diese Menschen sind grausam und sehen die Welt auf eine Art und Weise, die keinen Sinn für eine westliche Demokratie ergibt. Aber in ihren eigenen Augen sind sie trotzdem vollkommen „normal“ und sie versuchen eine Gesellschaft mit Werten zu schaffen, die in ihren Augen vollkommen richtig sind.

Warum gilt die geistige Gesundheit in solchen Fällen als so ein entscheidender Faktor in der Bewertung?
Für Menschen, die in freien Gesellschaften aufgewachsen sind, ist es schwer, Sinn in extremistischen Sichtweisen zu finden. Weil wir es nicht verstehen, sagen wir schnell, dass die Leute psychisch krank sind. Ich würde aber das Gegenteil behaupten. Diesen Menschen ist sehr bewusst was sie tun. Die Tat hat ein bestimmtes Ziel und sie ist die Konsequenz aus einer Ideologie. Das heißt man muss sich vielmehr mit ihrer Motivation und ihrem Hintergrund beschäftigen. Die Ideologie und das Weltbild dahinter passen nicht zur westlichen, demokratischen Welt. Generell hat es in den letzten Jahrhunderten große Fortschritte gegeben: Aber auch wenn Demokratie, Gleichwertigkeit, Emanzipation Einzug halten, wird es immer Menschen geben, die genau das nicht wollen und mit aller Kraft daran arbeiten diese Werte zu zerstören. Ich glaube, das ist Teil der menschlichen Verfassung. Wir müssen das akzeptieren, um darüber reden zu können. Wenn wir diese Leute als psychisch krank bezeichnen, dann ist damit jedes Gespräch zu Ende.

Man muss also mehr über die Gründe und die Ideologie reden, statt über den Geisteszustand?
Als Eichmann in Jerusalem vor Gericht stand, waren die Leute erstaunt darüber, dass er ein normaler Mensch war. Er hatte ein Schnupfen, seine Nase lief. Hannah Arendt schrieb damals über die Banalität des Bösen, dass das Böse Teil von uns ist. Damals wurde sie kritisiert, aber eigentlich war sie ihrer Zeit weit voraus. Eichmann war nicht psychisch krank. Er war ein ganz normaler Mann, der Befehlen gehorcht hat. Ein Täter, der in einer Realität gelebt hat, die für uns schockierend ist.

Psychische Krankheit wird vor allem Tätern aus der Mehrheitsgesellschaft unterstellt, während Migrant*innen sofort Terrorist*innen sind. Wie erklärt sich das?
Es ist hart für eine Gesellschaft, wenn sie erkennen muss, dass sie selbst Terroristen erschafft. Während der Besatzung durch die Nazis wurden Mitglieder der Resistance in Frankreich vom Regime als Terroristen und nicht als Teil Frankreichs bezeichnet und genauso war es andersherum. Die Resistance bezeichnete das Vichy-Regime als Verräter. Das ist ein sehr einfaches Spiel. Genauso ist es sehr einfach zu sagen, dass ein Terrorist eigentlich nur psychisch krank ist, weil er Teil der Mehrheitsgesellschaft ist. Es kommen sehr verschiedene Aspekte zusammen: möglicherweise eine schlechte Bildung, Wut, Hass, ein Gefühl der Ungerechtigkeit, natürlich Ideologie und ein fehlendes Gefühl für den Sinn des Lebens. Gerade dieser letzte Punkt ist wichtig. Der Säkularismus in Europa hat seinen Anteil am Entstehen von Extremismus. Es gibt Menschen, die nicht mehr verstehen, was richtig und falsch ist. Menschen brauchen aber diese Einteilung, um funktionieren zu können. Da kommt der Extremismus ins Spiel. Extreme Ideologien liefern einen Sinn.

Welche Rolle spielen Facebook und andere soziale Medien bei der Radikalisierung?
Facebook ist zumindest bei islamischen Extremisten nicht mehr besonders aktuell. Die Plattform wird eher von Leuten ab 30 genutzt; Instagram, Whatsapp und Telegram häufiger von Jüngeren. Auf all diesen Plattformen kann man Inhalte teilen, die Facebook eher nicht zeigen oder sogar löschen würde. Je mehr solche Inhalte zensiert werden, desto größer ist der Bedarf für Plattformen, auf denen das nicht passiert. Wenn man die Verbreitung der Videos von Daesch betrachtet, zeigt sich, dass die sozialen Medien Menschen mit diesen Inhalten unmittelbar in Kontakt bringen. Es geht dabei vor allem um Material aus erster Hand. In regulären Medien mögen zwar auch Menschen mit extremen Weltanschauungen zu Wort kommen, aber dann werden sie und ihre Ansichten in der Regel eingeordnet. In den sozialen Medien fehlt das.

Gibt es dafür eine Lösung, die in demokratischen Staaten funktioniert?
Das ist sehr schwer. Demokratien können und wollen Apps wie Telegram nicht zensieren. Dafür haben sie keine Möglichkeiten. Ohnehin gibt es schließlich auch noch das Dark Web, wo solche Inhalte parallel zirkulieren. Es ist eine Sisyphos-Arbeit gegen diese Inhalte vorzugehen, die am Ende nicht von Erfolg gekrönt ist. Man kann vielleicht mit Bildung etwas dagegen tun. In dem Bereich muss man auch stärker auf die Rolle von sozialen Medien im Bereich Extremismus hinweisen. Dabei muss es auch um Propaganda und ihre Rolle gehen. Dazu gehört es aber auch Eltern anzusprechen, deren Kinder solche Videos anschauen, auch die müssen wissen, worum es sich eigentlich handelt.  

In Israel hat die Zahl organisierter Selbstmordanschlägen massiv abgenommen, aber weiterhin werden Menschen zum Beispiel mit Messern oder auch Autos gezielt angegriffen und getötet.
Wir sprechen in dem Fall von „Lone Wolf Attacks“. Und auch hier fängt es mit der Familie an: Eltern, Onkel oder Tanten haben womöglich eine Verbindung zu einem Konflikt und geben dadurch Hass und Vorurteile weiter. Dabei kommt es sehr auf die Umgebung an. Eine gute Schule, gute Bildung können so etwas auffangen, wenn es das aber nicht gibt, wird die Person aufwachsen und eventuell ihrem Hass Taten folgen lassen.

Was kann man dagegen unternehmen?
Dagegen präventiv vorzugehen ist fast unmöglich. Natürlich können Antiterrorismuseinheiten versuchen Facebook-Profile oder andere soziale Medien zu beobachten oder die Computer von Leuten überwachen, von denen angenommen wird, dass sie solche Attacken planen. Aber die Art und Weise, wie in Israel mit Terrorismus umgegangen wird, wäre in Frankreich oder Deutschland nur schwer vorstellbar. In einigen Fällen von islamischem Terrorismus in Europa – sei es beim Weihnachtsmarkt-Attentat in Berlin oder dem Attentat im Bataclan in Paris – wussten die Behörden, dass die späteren Attentäter Gefährder waren, aber der Rechtsstaat hat oft nicht die Möglichkeit darauf so zu reagieren, dass Attentate verhindert werden, weil es unter Umständen ein Angriff auf die Menschenrechte wäre.

Wie hat der Terror in den vergangenen Jahrzehnten die Gesellschaft und den Blick auf die Täter*innen verändert?
Israelis sind keine geschlossene, homogene Gruppe. 20 Prozent der Israelis sind Araber, es gibt eine große Gruppe sehr religiöser Menschen, es gibt noch mehr säkulare Israelis. Man kann das nur schwer verallgemeinern. Muster kann man in der Politik allerdings schon erkennen. Einmal ist das die Dämonisierung des „Anderen“, in dem Fall der Terroristen. Mit ihnen ist nicht zu reden, ihre Positionen können nicht Teil der Diskussion oder der Politik sein. Damit wiederum kann man praktisch jede Form von Anti-Terror-Politik rechtfertigen, um potentielle Opfer zu schützen.

Was heißt das in der Praxis?
Wenn jemand zum Terrorist wird, hat er praktisch keine Menschenrechte mehr. Er muss nicht verhaftet oder vor Gericht gestellt werden, man muss sich nicht seine Geschichte anhören. Eine ähnliche Tendenz kann man mittlerweile in Frankreich erkennen. In vielen Fällen in den letzten Jahren hat man sich dafür entschieden, die Täter mehr oder weniger schnell zu erschießen. Man will nicht mehr verstehen, was die Terroristen wollen, sondern macht kurzen Prozess. Obwohl es sich bei den meisten um französische Staatsbürger handelt, haben sie de fakto nicht mehr die entsprechenden Rechte.

Gibt es eine Möglichkeit für demokratische Gesellschaften, Terrorismus grundsätzlich zu verhindern?
Ehrlich gesagt: Nein. Terrorismus ist historisch betrachtet ein Kampf zwischen Besetzer und Besetzten, zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten. Zum ersten Mal in der Geschichte fand Terror während der französischen Revolution statt. Es war ein Aufstand gegen den König und die absolute Macht, die er ausübte. Die Menschen entschieden sich, nicht mehr zu gehorchen und das mit Gewalt durchzusetzen. Dieser Terrorismus-Begriff hat sich über die Jahre immer wieder geändert. Eine neue Qualität hat das ganze erlangt, als sich die europäischen Länder in den 1960er Jahren aus ihren Kolonien zurückzogen. Terrorismus tritt auf, wenn es einen Machtkampf in Sachen Werte und Identität gibt. Das alle zu überkommen ist sehr schwierig. In Irland hat es überwiegend funktioniert. Hier muss man aber sehen, dass das Narrativ sich verändert hat. So etwas kann nur aus der Perspektive des Landes oder der Gruppe passieren, die angegriffen wird.

Die Ideologien dahinter sind unterschiedlich, aber kann man Terror allgemein definieren?
Wenn man linksextremen Terror anschaut, rechtsextremen Terror in Israel oder auch islamischen Terror, dann sind die Täter sehr oft Menschen, die sich nicht gehört fühlen und die ein sehr anderes Bild von der Gesellschaft haben, als die Gesellschaft selbst. Das heißt es gibt zwei Szenarien: entweder wollen sie eine Veränderung in der Gesellschaft oder sie wollen eine Abtrennung von der Gesellschaft.

Ich definiere Terrorismus als den Versuch, ein Ziel schneller zu erreichen, als es in der Realität möglich ist. Terrorismus bedeutet ohne Geduld zu handeln und ohne Kooperation mit dem „Gegner“, bzw. der Institution, die verändert werden soll. Es ist ein sehr antisoziales Verhalten. Um es polemisch auszudrücken, ist ein Terrorist ein Dreijähriger im Körper eines Erwachsenen: „Ich will das und zwar genau jetzt!“ Terror benutzt dafür Angst, dadurch soll das politische Ziel schneller erreicht werden. Dabei alles zu zerstören, was einem im Weg steht, wird in Kauf genommen.
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