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Rechtsextremismus in Weimar Geschändete Gedenkorte, beschmierte Stolpersteine und ein vertriebenes Café

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In der Nähe der Gedenkstätte Buchenwald wurden mehrere Gedenkbäume für KZ-Opfer geschändet. (Quelle: picture alliance/dpa | Bodo Schackow)

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage wurden bei Weimar Gedenkbäume zerstört, die an die Opfer des größten Konzentrationslagers auf deutschem Boden erinnern sollen. In der Stadt kommt es immer wieder zu Übergriffen aus der rechtsextremen Szene. Auch gegen die Betreiberinnen eines alternativen Cafés, die ihren Laden jetzt schließen werden und resigniert feststellen: „Diese Stadt hat ein echtes Naziproblem“.

Erst vor wenigen Tagen, wahrscheinlich am 19. Juli, wurden von bisher Unbekannten sieben Gedenkbäume aus dem Projekt „1000 Buchen“ abgesägt, die an die Opfer des KZ Buchenwald in der Nähe von Weimar erinnern sollten. Einer der Bäume war den getöteten Kindern von Buchenwald gewidmet, die sechs anderen Bäume ehemaligen Häftlingen. Sie sollten an Emil Carlebach, Otto Kipp, Reinhold Lochmann, August Stözel und Marc Dassault erinnern. Auf einem Wegweiser in der Gedenkstätte wurden außerdem Hinweise auf Aschgräber zerkratzt, in denen die NS-Täter die verbrannten Überreste der Toten aus dem Krematorium verscharrten.

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Am 22. Juli wurde entdeckt, dass weitere Gedenkbäume beschädigt oder zerstört wurden. An drei Kastanien wurde ein Teil der Rinde entfernt, zwei Bäume wurden abgesägt. Das Landeskriminalamt ermittelt wegen politisch motivierter Sachbeschädigung. Die Bäume hatten den Status öffentlicher Denkmäler, so die Staatsanwaltschaft: „Wer öffentliche Denkmäler rechtswidrig zerstört, macht sich wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung strafbar“, sagte ein Sprecher dem mdr. Mittlerweile hat die Stadt eine Belohnung über 10.000 Euro für Hinweise zu den Tätern ausgesetzt.

Abgeschreckt wirken die möglichen Täter zur Zeit allerdings nicht. Denn schon am 25. Juli berichtet die Thüringer Allgemeine über den nächsten Fall. Diesmal wurde mitten in Weimar ein weiterer Baum geschändet. Er gehörte ebenfalls zum Projekt „1000 Buchen“ und war den Opfern der Todesmärsche im April 1945 gewidmet.

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Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) will jetzt seinen Urlaub unterbrechen, um am 31. Juli an einem Gedenktag für deportierte jüdische Jugendliche in Weimar teilzunehmen. Gegen rechtsextreme Taten wie die in Weimar helfe nur „entschiedenes Handeln“. Ramelow rief via Twitter zu Spenden auf: „Auf jeden geschändeten Baum einfach zwei oder drei neue“.

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Und tatsächlich hat das Lebenshilfe-Werk, von dem die Aktion der „1000 Buchen“ initiiert wurde, viel Unterstützung erhalten. Dem mdr sagte die Geschäftsführerin, dass für jeden beschädigten Baum vier neue gepflanzt werden könnten, statt wie bisher zwei.

Doch die Worte aus der Politik und das Entsetzen in der Zivilgesellschaft können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Weimar immer wieder zu ähnlichen Vorfällen kommt. Immer wieder greifen Unbekannte die Erinnerung an den Holocaust an und schänden Gedenkorte. Im Herbst 2020 wurden Fotos von ehemaligen KZ-Häftlingen in einer Freiluftsausstellung beschädigt. Das Porträt des 94-jährigen polnischen Überlebenden Tadeusz Kowalski wurde so stark beschädigt, dass es ersetzt werden musste. Im Vorjahr hatte ein betrunkener Mann das Porträt des 93-jährigen Überlebenden Andrej Moisenjenko bespuckt, dagegen uriniert und getreten. Die Ausstellung war auch das Ziel für Maßnahmenkritiker*innen aus dem „Querdenken“-Umfeld. Die Organisator*innen der Ausstellung mussten Aufkleber mit der Aufschrift „Risikogruppe“ von den ausgestellten Fotos entfernen. Später beklebten Unbekannt die Fotos mit Flyern zur Pandemie.

Am 21. Januar 2021 wurden Stolpersteine mit grauer Farbe übermalt, das Gleiche geschah nochmals im März desselben Jahres. Im selben Monat wurden Plakate, die an die Opfer des rechtsterroristischen Attentats von Hanau erinnern, mit Farbe übermalt. Eine Ausstellung des „Netzwerks Antirassismus Weimar“ über Menschen, die in der Stadt leben, arbeiten oder studieren und über ihre Rassismuserfahrungen berichten, wurde ebenfalls im März 2021 zerstört.

2020 eröffnete in Weimar das Café Spunk, ein „antirassistisches, antifaschistisches und queerfeministisches“ Café. „Seit eineinhalb Jahren wird das Café wiederholt zum Ziel von rechten Angriffen“, berichtet einer der Betreiberinnen, Alessa Dresel, dem mdr. Der letzte Angriff, Anfang Juni, zeigt auch, wie sicher sich die Täter in der Stadt fühlen. Mitten am Tag versuchte eine Gruppe Jugendlicher Gäste und einen Mitarbeiter des Cafés anzugreifen. Nachdem das nicht gelungen war, flüchteten sie und rissen eine Regenbogenfahne ab. Die Betreiberinnen versuchten schon länger, etwas gegen die Stimmung in der Stadt zu unternehmen. Sie gehören zu den mehr als 50 Unterzeichner*innen eines offenen Briefes an Weimars Oberbürgermeister Peter Kleine, der fordert, entschlossener gegen rechte Gewalt vorzugehen und rassistische Straftaten konsequent zu verfolgen.

Der Fall Café Spunk macht deutlich, wie groß die Gefahr ist, die von rechtsextremer Gewalt ausgeht, für die sich niemand zuständig fühlt. Denn Rechtsextreme wollen Angsträume schaffen und damit progressive und demokratische Stimmen zum Schweigen bringen. Ohne Hilfe aus den Behörden und der Zivilgesellschaft kann das gelingen – leider. Das Café Spunk wird schließen. Die Betreiberinnen haben kein Vertrauen mehr in Polizei und Kommunalpolitik. Weimar wird einen weiteren progressiven Ort verlieren. „Diese Stadt hat ein echtes Naziproblem“, sagen die beiden Betreiberinnen.

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