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Rechtsrock Was Musik und Mordtaten verbindet

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Beim konspirativen „Rocktoberfest“ im Schweizer Kanton St. Gallen wurden die indizierten und strafrechtlich relevanten Tonträger der Rechtsrock-Band „Erschießungskommando“ zum Verkauf angeboten. (Quelle: antifa.ch)

„Taten statt Worte“ – so lautete der mörderische Grundsatz des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU), eines rechtsterroristischen Netzwerkes, das innerhalb von sieben Jahren für zahlreiche Morde, Mordversuche, Sprengstoffanschläge und Raubüberfälle in der Bundesrepublik verantwortlich gewesen ist. Der Grundsatz „Taten statt Worte“ tauchte Ende 2011 im NSU-Bekennervideo auf. In einer ersten, bereits 2001 erstellten Fassung eines Bekennervideos nutzte der NSU zwei Lieder der baden-württembergischen Rechtsrock-Band „Noie Werte“ zur musikalischen Unterlegung. Im Lied „Am Puls der Zeit“ rief der „Noie Werte“-Sänger Steffen Hammer zum „Widerstand“ auf: „Wir sind am Puls der Zeit | Kein Weg führt an uns vorbei | Wir sind am Puls der Zeit | Der Widerstand ist bereit!“ Mit der Ermordung Enver Şimşeks vom 09. September 2000 in Nürnberg, über die sich der NSU im Video amüsierte, setzte das rechtsterroristische Netzwerk die Worte der Band in die Tat um.

Am 02. Juni 2019 erschoss der Neonazi Stephan Ernst, der sich möglicherweise über Jahre hinweg im Umfeld der kürzlich verbotenen Organisation „Combat 18“ („Kampftruppe Adolf Hitler“) bewegte, den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses. Die Rechtsrock-Band „Erschießungskommando“ lieferte eine Art Drehbuch für die Tat: „Wenn es dunkel wird im Land | Bleibt der Killer unerkannt | Er schleicht sich lautlos an das Haus | […] | Bald da wird ein Leben enden | In den eigenen vier Wänden | Das Opfer ahnt nicht sein Bestreben | Es wird keine Rettung geben | Kühl im Kopf, handelt besonnen | Kein Opfer ist ihm je entkommen | Weißer Stolz, weiße Kraft | Ein Mann, der keine Fehler macht | Der Totenkopf am schwarzen Hemd | Schnellfeuerwaffen schallgedämpft | C18! Heil Combat 18!“ Die Musiker verherrlichen den Mörder und verhöhnen das Opfer.

Anfang März nahm die FDP-Bundestagsfraktion die Tat und deren Drehbuch zum Anlass, um sich in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung nach der Band „Erschießungskommando“ und nach dem allgemeinen Zusammenhang zwischen rechtsextremer Musik und der Ausübung von Gewalttaten zu erkundigen. Nun liegt die Antwort der Bundesregierung vor. Man fragt sich bei der Lektüre: Wieso werden Rechtsrock-Bands wie „Erschießungskommando“, die offen zum Mord an Jüdinnen und Juden, Migrant*innen und politisch Andersdenkenden aufrufen und rechtsterroristische Vereinigungen wie „Blood & Honour“ und „Combat 18“ glorifizieren, nicht ausfindig gemacht und für ihre Wortgewalt vor Gericht belangt? Dass das möglich ist, zeigt ein Blick in die Geschichte der bundesdeutschen Justiz: Die beiden Rechtsrock-Bands „Landser“ (Berlin/Brandenburg) und „Race War“ (Baden-Württemberg) wurden Anfang der 2000er Jahre wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ verurteilt – weil sie ihre Musik zum Instrument für strafbare Handlungen machten („Terroristen mit E-Gitarren“). „Landser“ und „Race War“ agierten über Jahre hinweg im Untergrund, um sich vor den deutschen Sicherheitsbehörden zu schützen – wie „Erschießungskommando“. Dennoch war die Band, das ergab die Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion, bisher noch kein Thema im „Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum Rechts“.

„Erschießungskommando“ veröffentlichte bisher vier konspirativ produzierte und vertriebene Tonträger. Sie heißen: „Todesmarsch“ (2013), „Blut und Ehre“ (2016), „Sieg oder Tod“ (2016) und „Henkerszeit“ (2019). Die ersten drei Tonträger wurden durch die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BpjM) indiziert, die Indizierung des vierten Tonträgers befindet sich in Vorbereitung. Insgesamt sind 42 von 50 veröffentlichten Liedern indizierungsrelevant; das entspricht 84%. Darüber hinaus enthalten die Tonträger strafrechtlich relevante Textinhalte. Die Lieder sind antisemitisch (Titel: „An allem sind die Juden schuld“), rassistisch („Ist uns doch egal, ob der N**** verreckt“), geschichtsrevisionistisch („Gaskammerlüge“), NS-verherrlichend („Sieg Heil!“) und rufen unverhohlen zur Gewalt auf („Hängt sie auf!“). Die ausgewählten Liedtitel deuten bereits etliche Verstöße gegen §§ 86a, 111, 130 und 131 des Strafgesetzbuches an. Die Band geriet 2016 in bundesweite Schlagzeilen: Im Netz kursierte ein Lied, das zum Mord an der Thüringer Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss (Die Linke) und deren Vater Lothar König aufrief. Die beiden engagieren sich seit Jahren gegen Neonazis – und sind daher ein zentrales Feindbild der militanten Neonazi-Szene.

Die Musiker bekennen sich vom ersten Tonträger an zum internationalen Rechtsrock-Netzwerk „Blood & Honour“, dessen deutsche Sektion im Jahr 2000 durch das Bundesministerium des Innern verboten wurde. So singen sie im 2013 erschienenen Lied „Wir sind Blood & Honour“: „Wir sind Blood & Honour, führertreu und militant | Unsere arische Bewegung reicht schon heut’ in jedes Land | So stehen unsere Krieger von Stockholm bis Wien | Kampfgruppe Adolf Hitler – Combat 18“. Nach der Ermordung Lübckes im Juni 2019 zeichnete sich ein Verbot des deutschen „Combat 18“-Ablegers ab, am 23. Januar 2020 passierte es dann. Die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion ergab, dass zwei „Erschießungskommando“-Mitglieder mit „Combat 18 Deutschland“-Mitgliedern „in Verbindung gestanden haben“. Insgesamt bleibt das Innenministerium vage, wer sich hinter der Band versteckt: Es seien „langjährig bekannte und aktive Rechtsextremisten“ aus Thüringen und der Schweiz. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz wurde 2018 deutlicher: Auf eine Kleine Anfrage von Katharina König-Preuss schrieb die Behörde, es handle sich „vermutlich um ein gemeinsames Projekt von Mitgliedern der Thüringer Band ‚SKD‘ [= „Sonderkommando Dirlewanger“] und der Schweizer Band ‚AMOK‘“.

Antifaschistische Recherche-Plattformen wissen das seit Jahren. Am 15. Oktober 2016 fand ein konspiratives Rechtsrock-Konzert mit mehr als 5.000 Neonazis in der Tennis- und Eventhalle Unterwasser (Toggenburg/Kanton St. Gallen) statt. Es spielten „Stahlgewitter“, „Confident of Victory“, „Frontalkraft“, „Exzess“, „MaKss Damage“ – und die Schweizer Band „AMOK“ um den „Blood & Honour“-Aktivisten Kevin Gutmann. Der Recherche-Blog „Thüringen Rechtsaußen“ legte offen, dass die Großveranstaltung, die gegenüber der Gemeinde als Konzert für regionale Schweizer Nachwuchsbands getarnt wurde, von Neonazis aus dem direkten Umfeld von „AMOK“ und „Sonderkommando Dirlewanger“ organisiert wurde. Dass an diesem Abend die neue „Erschießungskommando“-CD exklusiv zum Verkauf angeboten wurde, verwundert nicht.

„Wir töten hier aus Rache | Wir töten, um zu mahnen | Für die gerechte Sache | Für unsere heiligen Fahnen | Wir kennen keine Gnade | Im Kampf für unser Land | Nur eiserne Hingabe | Und eine harte Hand“ – das Intro des dritten „Erschießungskommando“-Tonträgers lässt keinen Zweifel zu: Die Musiker propagieren die Tat, sie propagieren „Taten statt Worte“. Das Lied „Heil Combat 18“, das einem Drehbuch zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten gleicht, „könnte“ nach Ansicht der Sicherheitsbehörden den „Eindruck einer möglichen Bezugnahme“ auf die Ermordung Lübckes erwecken. Allerdings gebe es hierfür keine Belege. Es seien weder Verbindungen zwischen Band und Täter bekannt noch sei klar, aus welcher Zeit die Lieder des 2019 veröffentlichten Tonträgers stammen. Aber prinzipiell ist denkbar, „dass der Konsum rechtsextremistischer Musik mit entsprechenden Gewaltaufrufen bei einzelnen gewaltbereiten Rechtsextremisten einen fördernden Einfluss auf die Begehung von Straftaten haben könnte“.

Die FDP-Bundestagsfraktion veröffentlichte Mitte März – wenige Tage nach der Einreichung ihrer Kleinen Anfrage zum Zusammenhang zwischen Rechtsrock und Gewalttaten – einen „Aktionsplan zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und rechtsextremer Gewalt“. Er enthält 13 Forderungen. Eine Forderung thematisiert die Finanzierung von Neonazi-Strukturen durch rechtsextreme Musikveranstaltungen: Die Bundesregierung solle in Zusammenarbeit mit den Ländern den „Verfolgungsdruck auf die Organisatoren und die Produzenten rechtsextremer Musik“ steigern. Deutschland müsse, so ergänzte der FDP-Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser im „Deutschlandfunk“, seine EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 nutzen, um den Einfluss der europaweit organisierten und vernetzten Rechtsrock-Szene einzudämmen.

„Blood & Honour“, „Combat 18“, das Schweizer „Rocktoberfest“ und die transnational agierende Band „Erschießungskommando“ führen uns vor Augen, welch zentrale Herausforderung die finanzielle Austrocknung und strafrechtliche Verfolgung der Rechtsrock-Szene für die Bekämpfung rechten Terrors ist. Die Textinhalte von „Erschießungskommando“ werfen die Frage auf: Was müssen derartige Bands noch tun, damit sie – beispielsweise wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ – vor Gericht stehen? Müssen sich die Musiker „lautlos an das Haus schleichen“? Müssen aus Worten erst Taten folgen?

Der Tod Walter Lübckes sollte uns eine Mahnung sein.

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