Weiter zum Inhalt

#SchauHin Ein Aufschrei gegen Alltagsrassismus

Ein neuer Aufschrei geht durch die Netzgemeinde: Seit Freitag twittern die Nutzerinnen und Nutzer unter dem Hashtag #SchauHin ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Ob die Resonanz so groß wird wie bei der #Aufschrei-Debatte? Die Chancen stehen gut.

 
(Quelle: ngn/al)

„Auf Ämtern geduzt zu werden, nur weil man einen türkischen Namen hat“. „Job: Ich rufe mit meinen Namen an, Job leider vergeben. Deutscher Freund ruft an, Job noch frei, Termin auch.“ „Wenn die Oma den Enkel in der Wanne schrubbt, damit er bisschen heller wird“. „Wenn die Hausverwaltung sagt: Klar können sie selber Nachmieter suchen – diese dann aber ablehnt, sobald sie Ausländer sind“.

All das sind Twitter-Postings. All diese Postings beschreiben Alltagsrassismus. Und sie alle sind mit dem Hashtag #SchauHin versehen. Seit Freitag Nachmittag werden darunter Postings gesammelt, die sich mit dem Thema Rassismus beschäftigen – innerhalb kürzester Zeit gab es eine Fülle neuer Tweets, #SchauHin liegt bei den deutschen Twitter-Trends ganz weit vorne.

Die beschriebenen Erfahrungen sind erschreckend. Sie machen nicht nur in ihrer Gesamtheit betroffen, sondern auch jede für sich. Dabei ist eigentlich jedem und jeder klar, dass in Deutschland Tag für Tag Erfahrungen mit Rassismus gemacht werden. Diese Erfahrungen werden jedoch ohne konkreten Anlass kaum jemals gesammelt thematisiert. Eine Beobachtung, die auch Kübra Gümü?ay macht. Sie hat den Hashtag mitinitiiert, auf ihrem Blog schreibt sie darüber. Und sie berichtet von der Erleichterung, als #SchauHin an Fahrt aufnahm: „Das Teilen der Erlebnisse macht nicht schwächer oder gar erneut zum Opfer. Ganz im Gegenteil, das Teilen nimmt die Last von den Schultern, es macht öffentlich, was oft verborgen blieb. Es problematisiert, prangert an, verurteilt und schafft Raum für die Zukunft.“

#Aufschrei als Vorbild

Welche Resonanz solch eine Hashtag-Sammlung erfahren kann, ist spätestens seit der #Aufschrei-Debatte klar: Anfang des Jahres wurde eine bundesweite Sexismus-Debatte geführt, in Gang gesetzt durch die Schilderungen entsprechender Erfahrungen bei Twitter. Hinzu kam ein Artikel der Journalistin Laura Himmelreich, die im „Stern“ über anzügliche Bemerkungen von Rainer Brüderle, Spitzenkandidat der FDP, geschrieben hatte. Hunderte Frauen twitterten in der Folge von ihren alltäglichen Erlebnissen mit Sexismus und sexuellen Übergriffen, insgesamt kamen so zehntausende Tweets zusammen.

Das gewaltige Echo auf #Aufschrei machte auch die traditionellen Massenmedien hellhörig – in Talkshows und Zeitungen wurde plötzlich über das Thema diskutiert. Im Juni dann bekam der Hashtag gar den Grimme Online Award.

Unterschied zwischen Sozialen Netzwerken und klassischen Massenmedien

Zur gleichen Zeit wie die #Aufschrei-Diskussion bestimmte eine weitere Debatte die Schlagzeilen: Wie sollte mit rassistischen Begriffen in Kinderbüchern umgegangen werden?

Diese beiden Debatten sind nicht neu – neu ist allerdings ihr Verlauf: Denn über beide Themen wurde eben nicht nur in der „klassischen“, durch traditionelle Massenmedien bestimmten, Öffentlichkeit diskutiert, sondern auch und vor allem in den sozialen Netzwerken. Anlass genug für eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung, die Anfang vergangener Woche in Berlin stattfand. Unter dem Titel „Rassismus und Sexismus ab_bloggen!“ standen hier die unterschiedlichen Diskussionsverläufe im Mittelpunkt. So hieß es schon in der Einladung zur Veranstaltung: „Auffallend ist der unterschiedliche Verlauf der Berichterstattung: Während die Blogosphäre etwa den Änderungsvorschlägen für Kinderbücher überwiegend zustimmte sprachen die öffentlichen Medien von Zensur bis hin zu einem Angriff auf die literarische Freiheit. Auch die Sexismus-Debatte sorgte für geteilte Meinungen, vor allem in der Blogosphäre selbst.“

Die Idee für #SchauHin

Im Mittelpunkt der „ab_bloggen“-Veranstaltung standen Fragen, wie Rassismus und Sexismus durch Medien sichtbar gemacht werden könnten. Und wer wird eigentlich wie durch welche Medien erreicht? Bei der abschließenden Podiumsdiskussion kam schließlich die Idee auf, einen eigenen Hashtag für Alltagsrassismus aufzusetzen – #SchauHin ist das Ergebnis.

Hinweis: Die gesamte Veranstaltung gibt es als Playlist bei YouTube.

Mit #SchauHin kann sich nun jeder und jede bei Twitter ein Bild davon machen, wie sich Alltagsrassismus in Deutschland anfühlt. Es ist kein schöner Anblick – aber wie es der Hashtag schon sagt: Schau Hin! Vom Ignorieren und Wegsehen wird das Problem nicht kleiner. Und: Beteiligt Euch!

Twitter: Alle #SchauHin-Tweets zum Nachlesen

Mehr Infos im Netz:

#SCHAUHIN – WARUM? (ein fremdwörterbuch)#SchauHin ist der neue #Aufschrei (Frankfurter Rundschau)Echte Hingucker (jetzt.sueddeutsche.de)Rassismus? #Schauhin! (SWR)Kein #Aufschrei auf Papier (taz)Aus dem Netz in die Köpfe (neues deutschland)

Belltower.News macht gemeinnützigen Journalismus, denn wir klären auf und machen das Wissen von Expert*innen zu Antisemitismus, Rassismus und
Rechtsextremismus und allen anderen Themen der Amadeu Antonio Stiftung für ein breites Publikum zugänglich.
Unsere Reportagen, Recherchen und Hintergründe sollen immer frei verfügbar sein und nie hinter einer Paywall verschwinden.
Dafür brauchen wir aber auch Ihre Hilfe.
Bitte unterstützen Sie unseren Journalismus, Sie helfen damit der digitalen Zivilgesellschaft!

Weiterlesen

snowflake-hd-wallpaper-g697d6771b_1920

Presse und Politik Wie rechtsalternative Sprache in die Gesellschaft kommt

Die gesellschaftliche Lage in Deutschland ist angespannt – Presse und Politiker*innen müssten da besonders auf ihre Ausdrucksweise blicken. Aber wir…

Von
2020-01-08-fb-afd-russlandd

Online-Lebenswelten als Orte der Radikalisierung Russischsprachige Diaspora

Die russischsprachige Community in Deutschland ist sehr vielfältig. Sie besteht aus den Menschen, die aus verschiedenen Gründen zu unterschiedlichen Zeiten…

Von
1200px-Opferfonds_Cura_Logo.svg

182 Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt seit 1990

Todesopferliste aktualisiert: Seit 1990 wurden in Deutschland 182 Menschen Opfer rechtsextremer oder rassistischer Gewalt. Die rassistische Mordeserie von 2000 bis 2007 zeigt einen würdelosen Umgang der staatlichen Behörden mit rechtsextremer Gewalt.

Von Aslan Erkol und Nora Winter

Von

Schlagen Sie Wissenswertes in unserem Lexikon nach.