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Siedlungsprojekt in Mecklenburg-Vorpommern Wohnen und Leben in Nazi-Tradition

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Vom eigenen Anbau leben, in der Gemeinschaft kochen, gemeinsame Liederabende ? ein Leben fernab des normalen Mainstreams: So lebt eine Gruppe von ?Artamanen? in der Nähe von Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern. Doch das Zusammenleben geht über einfache Aussteigerromantik weit hinaus. Es ist geprägt von völkischer Ideologie.

Die Grundlagen wurden in den 1920er Jahren gelegt

Die Artamanen, was übrigens ?Hüter der Scholle? bedeutet, sind eine völkische Siedlungsbewegung, deren Geschichte bis ins Jahr 1926 zurückgeht. In dem Jahr wurde der ?Bund Artam e.V.? um Willibald Hentschel gegründet. Ziel war es, ohne Inanspruchnahme fremder Mittel den eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Zudem sollte in den landwirtschaftlichen Produktionsstätten eine neue ?völkische Oberschicht? aufgebaut werden, welche sich gegen polnische Saisonarbeiter richtete. Der ?Bund Artam e.V.? zog im Laufe der folgenden Jahre rund 25.000 Mitglieder an.

Auch Nazigrößen wie der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, der Reichsbauernführer Walther Darré sowie der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß wurden von dem Führerprinzip und der ?Blut-und-Boden-Ideologie? der Siedlung angezogen. Auch in Mecklenburg-Vorpommern gab es Anhänger der Bewegung. So gründete sich Anfang der 1930er Jahre die ?Artamanensiedlung Koppelow e.V.? und siedelte sich mit rund 14 Familien in Koppelow an.
Trotz großer Anhängerschaft ging der ?Bund Artam e.V.? während der 30er Jahre Konkurs. Um trotzdem die eigene Arbeit weiterführen zu können, gliederten sich die Mitglieder unter dem Namen ?Bund der Artamanen ? Nationalsozialistischer freiwilliger Arbeitsdienst auf dem Land? in die Organisation der NSDAP ein. Ihre Aufgabe war nun vor allem die Ausrichtung von Werbeveranstaltungen. Stark eingebunden in die NSDAP-Aktivitäten, wirkten die Artam-Mitglieder in der Nacht des 9. Novembers 1939 in Güstrow massiv beim Niederbrennen der Synagoge mit.

Seit Mitte der 1990er: „Ökosiedlung“ lebt völkische Ideologie

Im Schein einer ?Ökosiedlung? bewohnen seit Anfang/ Mitte der 1990er Jahre wieder neue Siedler den Ort von damals. In mehreren Siedlungswellen kamen die sogenannten Neo-Artamanen, wobei die letzten Zuzüge 2009 verzeichnet werden konnten. Der Verein trägt immer noch den alten Namen aus NS-Zeit, ?Artamanensiedlung Koppelow e.V.?.
Als Landwirte, Schmiede oder Architekten wirken die Siedler in lokalen Öko- und Naturproduktnetzwerken sowie in Anti-Genmais-Bewegungen mit. So war einer der ersten Siedler, der Biobauer Helmut E., gleichzeitig eines der Gründungsmitglieder der 2004 entstandenen Initiative ?Gentechnikfreie Region Nebel/ Krakow am See?.

Neben E. wohnt die Familie F.. Während E. mittlerweile seine Nähe zur NPD einräumt, streitet Familie F. jegliche Nähe zum Rechtsextremismus ab. Gespräche über die Siedlungsvergangenheit oder die Vernetzung zu rechtsgesinnten Parteien oder Initiativen werden nicht gerne geführt, lieber wird über die eigene Buchbinderei, Naturmaterialien und ähnlich unverfängliche Themen gesprochen.

Mitsiedler für Pflege des „Germanentums“ gesucht

Dass es allerdings starke Verbindungen zu Rechtsextremen gibt, geht nicht nur aus der Siedlungsvergangenheit hervor. So schaltete die Familie F. in der Rechtsaußen-Zeitung ?Junge Freiheit? eine Annonce, um Interessierte für die Siedlung zu gewinnen. Familienvater Huwald F., von Beruf Händler von Ökobaustoffen, beschrieb zudem seine Motivation, in der Siedlung zu wohnen, in dem Sammelband ?Opposition für Deutschland?. Dieser wurde von niemand geringerem herausgegeben als dem damaligen NPD-Funktionär Andreas Molau.
Kennengelernt haben sich die beiden Nachbarn E. und F. übrigens in der rechtslastigen ?Bündischen Jugend? – so heißt es in einer Reportage der ?Jungen Freiheit?.

In dem Orts-Dreieck Krakow am See, Koppelow und Klaber haben sich in den letzten 20 Jahren mindestens 12 Familien mit 60 Kindern angesiedelt. Die Zahl kann durchaus höher liegen, schätzt Elisabeth Siebert vom Regionalzentrum der Evangelischen Akademie. Ziel der Siedler ist nicht nur die eigene völkisch geprägte Lebensführung, sondern ?der Gegend soll ein bestimmter, ganz klar rassistischer, Stempel aufgedrückt werden?, der auch einen Einfluss auf die Gesellschaft außerhalb der Siedlung hat, so Elisabeth Siebert.

Die Siedler wollen in ihre Umgebung wirken

Innerhalb der Siedlungsgesellschaft folgt das Leben klaren völkischen Mustern. Neben den alltäglichen Aufgaben wie Brot backen aus eigenem Getreide, der Herstellung von Kleidung aus eigener Wolle und Reparaturen durch die eigenen Hände, gibt es auch andere, deutlich rechtsextrem geprägten Aufgaben. Zum Beispiel werden ?Sonnenwendfeiern? zur Ehrung des ?Germanentums? veranstaltet. Zudem finden regelmäßige Sommerlager statt, um die zentrale Rolle der eigenen ?Sippe? zu festigen. Die ?Sippe? ist dabei geprägt durch ein klares Familien- und Rollenmodell: Der Mann als Ernährer und die Frau als Mutter. So beschreibt Vater F. in der ?Jungen Freiheit?, dass besonders die Frauen für den Erfolg des Projekts verantwortlichen sind: ?Ohne die Frauen geht es nicht. [?] unsere Frauen müssen mitmachen und dabei mehr Verzicht üben als die Männer?, denn während diese durch die täglichen Berufe oft noch Kontakt zur ?Außenwelt? haben, so sind die Frauen ?mit Sack und Kindern? an den Hof gebunden.

Kinder wachsen in „völkischer Parallelwelt“ auf

Besonders gefährlich ist dabei der Einfluss der Siedler auf die Erziehung ihrer Kinder. Diese wachsen in einer völkischen Parallelwelt auf. Genauer in einem Umfeld, welches die Werte der modernen Gesellschaft ablehnt, so die Opferberatung LOBBI. Der eigene Nachwuchs muss sich einem völkischen Erziehungsstil mit klaren Geschlechterrollen unterziehen: ?Wer in diesen Kreisen sozialisiert wurde, hat verinnerlicht, dass die Erhaltung der eigenen ?Art? oberstes Gebot ist und die Gemeinschaft mehr zählt als der Einzelne?, so LOBBI.

In der Kita oder der Schule fallen die Kinder oft auf. Neben Äußerungen rechtsextremer Meinungen sticht besonders die Sozialisation klarer Geschlechterrollen hervor, bemerkte Elisabeth Siebert. ?Die Mädchen sind dabei ?überangepasst?, das heißt sie sind sehr zurückhaltend und können ihren eigenen Standpunkt in der Klasse nur schwer vertreten. Die Jungs hingegen sind oft sehr aggressiv und dominant. Die Integration in den Klassenverband fällt ihnen schwer.?
Die Artamanen beschränken sich bei der Kindererziehung leider nicht nur auf die Eigenen. So wurden, laut LOBBI, bereits mehrmals Versuche unternommen, einen eigenen Kindergarten und eine Waldorfschule zu errichten. Glücklicherweise war diese Vorhaben allerdings nicht erfolgreich.

Nachbarn werden sensibler

Um trotzdem Einfluss auf die übrigen Bewohner der Region auszuüben, versuchen die Siedler, durch ein vermeintlich unpolitisches Auftreten Sympathien zu erwecken. Neben der Mitarbeit in Öko-Projekten singen die Siedler im Kirchenchor mit, engagieren sich im Elterndienst der Schule oder bieten Fahrgemeinschaften an, so Elisabeth Siebert. Schrittweise kommt dabei dann die eigentliche Ideologie der vermeintlich netten Nachbarn zu Tage.

Besonders an diesem Punkt greifen die lokalen Beratungsteams an. Es ist wichtig, die Bewohner der Region zu sensibilisieren. Oftmals ist ihnen gar nicht bewusst, wer genau der Nachbar ist, der so freundlich den Sohn zur Schule fährt oder auch mal bei der Reparatur des Hauses hilft.

Glücklicherweise scheint die Aufklärungsarbeit durch die Beratungsstellen immer mehr Früchte zu tragen. ?Die Akzeptanz gegenüber den Siedlern durch die Bevölkerung nimmt immer mehr ab?, so Elisabeth Siebert. Sie betont weiter, dass es wichtig ist, die Artamanen zu boykottieren und nicht mit ihnen zusammen zu arbeiten. ?Sie sind auf Jobs außerhalb der Siedlung angewiesen, daher kann ein Protest vor allem aus dem Alltagsleben heraus entstehen. Wir versuchen ihnen zu zeigen, dass sie hier nicht erwünscht sind.? ?Wir?, das sind mittlerweile neben den Regionalzentren, auch viele Kitas, Schulen, Landwirte sowie die Kirche. Elisabeth Siebert fasst die Motivation von vielen Gegnern der Artamanensiedlung zusammen: ?Es ist uns wichtig zu zeigen, dass dies Nazis sind und bei einer solchen ekligen Ideologie hört die Toleranz auf.?

Kein Ort für Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern

Die Kampagne „Kein Ort für Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern“ der Amadeu Antonio Stiftung startet heute, ein Jahr vor den Landtagswahlen 2011 in Mecklenburg-Vorpommern, und wendet sich gegen alle Formen von Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommmern. Sie möchte Initiativen und interessierte Menschen vor Ort motivieren, aktiv zu werden, damit die NPD nicht wieder in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einziehen kann. Dafür fördert die Amadeu Antonio Stiftung Aktionen aus einem speziellen Kampagnentopf.

Mehr Informationen:
| www.kein-ort-fuer-neonazis.de

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