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Jahresrückblick 2022 Niedersachsen – Extreme Rechte zwischen Nordsee und Harz

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Wintersonnwendfeier auf dem NPD-"HeimatHof" bei Eschede. (Quelle: Screenshot Instagram)

 

Organisierter Neonazismus

Eine zentrale Rolle für den organisierten Neonazismus in Niedersachsen spielt eine außerhalb des Dorf Eschede (LK Celle) gelegene Immobilie, die im Besitz der NPD ist. Diese wird seit dem Ausbau der letzten Jahre dauerhaft als Vernetzungs- und Schulungszentrum genutzt. In diesem Zusammenhang kam es immer wieder zu Einschüchterungsversuchen gegenüber Engagierten, die kontinuierlich auf die Gefahren dieses Szenetreffs hinweisen. Die Aktivitäten auf dem NPD-Hof bestärken laut Beobachter*innen die gesamte rechtsextreme Szene.

Dass die Bemühungen erhöht werden müssen, diesen Ort als rechtsextremes Zentrum zu verhindern, fordert die aktive Zivilgesellschaft vor Ort schon lange. Sie hat auch 2022 wieder eindrucksvoll ihren Widerstand gegen die rechte Raumnahme demonstriert.

Der Süden Niedersachsens hat in den letzten Jahren die Schwerpunktregion der neonazistischen Szene in Niedersachsen gebildet. Zahlreiche Versammlungen seitens der Kleinstpartei „Die Rechte“ forderten vor allem die Braunschweiger Zivilgesellschaft heraus. Nachdem es zu Jahresbeginn noch verstörende und absurde Versammlungen wie die „erste nationale Karnevalsdemo“ gab, folgte im Juli die Auflösung des bis dahin umtriebigen Kreisverbands „Die Rechte Hildesheim/Braunschweig“, mutmaßlich aus Angst vor Repression und sinkendem Mobilisierungserfolg.

Seitdem ist es um die Szene ruhiger geworden. Entwarnung gibt es jedoch nicht – die neonazistischen Akteur*innen sind weiterhin aktiv, wie auch das Beispiel eines neonazistischen Konzertes in einem Braunschweiger Kleingarten zeigte. Auch in der Landeshauptstadt Hannover kam es vor allem im Stadtteil Ahlem zu extrem rechten Angriffen.

 Das verschwörungsideologische Spektrum

Im Vergleich zum Vorjahr sind die Teilnehmendenzahlen an verschwörungsideologischen Protesten im Verlauf des Jahres gesunken. Zu Jahresbeginn gab es in Niedersachsen noch größere Demonstrationen, Kundgebungen und Autokorsos. So gab es in Gifhorn eine Veranstaltung mit bundesweiter Mobilisierung, an der ca. 2500 Personen teilnahmen. Auch in Hannover und Delmenhorst fanden größere Veranstaltungen dieses Milieus statt.

Dabei wurde offensichtlich, was seit 2020 bereits der Fall war: verschwörungsideologische und antisemitische Positionen werden weit über die Corona-Pandemie hinweg vertreten. So wurden zunehmend offen auch andere an Verschwörungsideologien anschlussfähige Themen besetzt, wie etwa prorussische Positionen nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine oder antidemokratischen Reichsbürger-Positionen.

Auch die ökonomischen Krisen von Inflation und Gas- sowie Benzinpreisen wurden zum Teil der Proteste. Wiederholt kam es im Umfeld dieser Demonstrationen zu Bedrohungen und körperlichen Übergriffen auf Journalist*innen. Der prognostizierte „Heiße Herbst“ war in Niedersachsen jedoch eher lauwarm und es gelang nicht, außerhalb des eigenen gefestigten Milieukerns eine große Deutungsmacht zu entfalten.

Vielmehr lässt sich sagen, dass vielerorts ein radikalisierter „harter Kern“ nach wie vor regelmäßig mit verschwörungsideologischen Themen im öffentlichen Raum Präsenz zeigt, flächendeckend die Teilnehmendenzahlen abgenommen haben. Das Netzwerk jedoch, welches in der Pandemie verschiedene Milieus der extremen Rechten unter dem gemeinsamen Nenner von Antisemitismus und Verschwörungsideologien vereint hat, existiert auch in Niedersachsen weiter und führt zu neuen Herausforderungen. So entstanden vermehrt sog. „Freilernergruppen“, in denen Kinder dem Schulsystem entzogen werden. In Lüsche im Landkreis Gifhorn hat sich ein der „Anastasia-Bewegung“ nahestehendes „Institut“ gegründet, das bundesweite Relevanz für die verschwörungsideologische und völkische Szene entfaltet.

Reichsbürger*innen und Völkische

Auch die sogenannte „Reichsbürgerbewegung“, die auch ideologisch unter dem verbindenden Element des Antisemitismus eng mit den verschwörungsideologischen Protesten verwoben ist, war 2022 in Niedersachsen in Form von unterschiedlichen Gruppen aktiv. So zum Beispiel die „Reichsbürger“-Gruppierung „Indigenes Volk Germaniten“, die vor allem in Norddeutschland versucht, neue Mitglieder anzuwerben und im Sommer in einem Theater in Hannover sowie in einem Kulturzentrum in Leer Werbeveranstaltungen durchführte. 

Darüber hinaus konnten Aktivitäten weiterer Reichsbürger-Gruppierung im Landkreis Goslar sowie im Landkreis Hameln-Pyrmont beobachtet werden.  Im Dezember wurden zudem im Rahmen bundesweiter Razzien Mitglieder eines rechtsterroristischen Zusammenschlusses des „Reichsbürger“-Milieus festgenommen. Auch in Niedersachsen fanden diese Hausdurchsuchungen statt. So befanden sich unter den Beschuldigten ein ehemaliger Hannoveraner Polizist, eine Ärztin aus Peine, ein Rechtsanwalt aus Hannover sowie ein inzwischen freigestellter Beamter des LKA Niedersachsen.  Die Gefahr, die von diesem Milieu für die Demokratie auch in Niedersachsen ausgeht, wurde hier noch einmal offensichtlich.

Die Landtagswahl 2022

Das Jahr war in Niedersachsen geprägt durch die Landtagswahl im Oktober. Die neonazistischen Parteien NPD und „Die Rechte“ traten nicht zur Landtagswahl an. Die Nicht-Teilnahme dieser Parteien verdeutlichte den parlamentarischen Bedeutungsverlust neonazistischer Parteien in Niedersachsen. Bei der AfD Niedersachsen hingegen war die Vorbereitungen auf die Landtagswahl geprägt von internen Streitigkeiten und Zerwürfnissen. Diese führten in der letzten Legislatur bereits zu einem Verlust des Fraktionsstatus und waren auch im Vorwahlkampf omnipräsent.

Darüber hinaus trat auch die verschwörungsideologische Partei „Die Basis“ erstmalig in Niedersachsen zur Landtagswahl an. Thematisch wurden neben rassistischen und antifeministischen Themensetzungen, die Energie und Gaspreiskrise sowie auch ein Anti-Grünen Wahlkampf forciert. Welche Auswirkungen diese rechten Feindmarkierungen haben können, zeigte auch ein Drohbrief, der bei den Grünen in Göttingen einging sowie zahlreiche Störungen aus dem Spektrum der extremen Rechten und Verschwörungsgläubigen von Wahlveranstaltungen der Grünen und der SPD. In Stadt und Landkreis Osnabrück erhielten Mitglieder des Stadtrats und des Kreistags Drohbriefe vom Kreisverband von Die Basis, nachdem bereits im letzten Jahr einige Ärzt*innen im Landkreis ähnliche Briefe erhielten.

Nach zunächst sinkenden Umfragewerten konnte die AfD bei der Landtagswahl überraschend mit 11,0 Prozent ein neues Rekordergebnis in Niedersachsen erzielen. In einigen Wahlkreisen wie Salzgitter, Gifhorn-Nord/ Wolfsburg und Aurich lagen die Zweitstimmenanteile bei über 15 Prozent. Hier bleibt abzuwarten, wie die mit Ressourcen und Mitarbeitenden gestärkte Landtagsfraktion der AfD in der nächsten Legislatur agiert und wie die demokratischen Parteien im Landtag und eine engagierte Zivilgesellschaft mit diesen Herausforderungen umgehen wird.  Die verschwörungsideologische Partei „Die Basis“ konnte hingegen bei der Wahl keine nennenswerten Erfolge erzielen.

 Die aktive Zivilgesellschaft

Auch in diesem Jahr fanden zahlreiche und vielfältige zivilgesellschaftlichen Aktivitäten statt, die rechten Narrativen vielerorts mit menschenrechtsorientierten und solidarischen Positionen etwas entgegengesetzt haben. Diese wichtige antifaschistische Arbeit leistet in Städten wie ländlichen Räumen in Niedersachsen einen stetigen Beitrag für die Stärkung demokratischer Kultur.

Hervorzuheben ist hierbei insbesondere die landesweite Arbeit von „Bündnissen gegen rechts“ die einen unverzichtbaren Beitrag leisten, extrem rechten Normalisierungsprozessen entgegenzuwirken. Beispielsweise ist mit dem Bündnis „Brettorf bleibt bunt“ im Landkreis Oldenburg ein parteiübergreifendes Bündnis von CDU bis LINKE und antifaschistischen Gruppen entstanden, um gegen die AfD-Delegiertenversammlung zur Aufstellung der Landesliste für die Landtagswahl zu protestieren.

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