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AfD Für Homogenität in Volk und Klassenzimmer

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Symbolbild (Quelle: Flickr / vfutscher / CC BY-NC 2.0)

Das Potsdamer Geheimtreffen hat es einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht: Die AfD will ein Deutschland mit einer weitestgehend ethnisch homogenen Bevölkerung. Die Vorstellung von Homogenität verfolgt die AfD auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen – so auch im Schulbetrieb und ihrer Behindertenpolitik. Sie strebt in ihrer Bildungspolitik Schulklassen an, in denen diejenigen ausgesondert werden, die diese Homogenität stören: Schüler*innen mit familiären Migrationsbezügen, aber auch Menschen mit Behinderungen. In einem AfD nahen Think Tank wird ganz offen über Absonderung und Eliminierung in Bezug auf Menschen mit „körperlicher oder seelischer Abweichung“ gesprochen. Anhand der über 40 Wahl-und Parteiprogrammen, die die AfD in den letzten zehn Jahren auf Landes- und Bundesebene verabschiedet hat, lässt sich ein Bild einer Behindertenpolitik nachzeichnen, dass auf Ausgrenzung, Diskriminierung und Instrumentalisierung setzt – eingebettet in eine rechtsextreme Weltanschauung. Eine Analyse.

Das MDR-Sommerinterview

Rückblende: Im August 2023 löste ein Interview des MDR mit Björn Höcke eine Debatte über Behindertenfeindlichkeit der AfD aus. In dem Interview sagte der thüringische AfD-Chef, Inklusion sei eines von den „Ideologieprojekten“, von denen man das Bildungssystem „befreien“ müsse. Diese Projekte brächten Schüler*innen nicht weiter und machten sie nicht leistungsfähiger. Sie führten nicht dazu, „dass wir aus unseren Kindern und Jugendlichen die Fach­kräfte der Zukunft machen“, so Höcke. Eingeleitet hatte der Thüringer AfD-Vorsitzende seine Äußerungen zur Bildungspolitik mit den Sätzen: „Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass es eine kluge Einordnung gibt, die lautet: Gesunde Gesellschaften haben gesunde Schulen“.

Demnach ist für Björn Höcke eine Schule, in der Menschen mit und ohne Behinderung zusammen beschult werden, keine „gesunde“ Schule und eine Gesellschaft in der Inklusion stattfindet, keine „gesunde“ Gesellschaft. Diese Äußerungen des Thüringer AfD-Vorsitzenden lösten breite Empörung aus, aber auch Zustimmung aus den eigenen Reihen. Höcke gab sich in weiteren Äußerungen entsetzt über die Kritik an seinen Thesen zur Inklusion. Er gebe doch nur die Positionen der Gesamtpartei wieder.

Der „Inklusionswahn“ der anderen

Das Thema Inklusion taucht nahezu von Beginn an in der Programmatik der AfD auf. Lediglich im Programm zur Bundestagswahl 2013 spielt das Thema keine und die Thematisierung von Menschen mit Behinderungen nur eine sehr kleine Rolle. In allen anderen verabschiedeten Wahlprogrammen positioniert sich die AfD zur Inklusion – von tendenziell negativ bis strikt ablehnend.

Während die weitgehende Ablehnung der Inklusion selbstgerecht als „im Interesse der Kinder“ dargestellt wird, wird Inklusion dämonisiert und als inhuman und ideologiegeleitet benannt. So ist in den Programmen zu lesen, die „Altparteien“ strebten eine „pauschale“, eine „totale“ oder gar eine „Radikalinklusion“ an und seien von einem „Inklusionswahn“ getrieben. Schule könne und dürfe „insbesondere nicht der Ort sein, weltfremde Blütenträume selbsternannter gesellschaftlicher ‚Eliten‘ zu erproben“, so die AfD. Dem entgegengesetzt verharmlose man selber „die Folgen einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung nicht als „Teil einer begrüßenswerten Vielfalt“. Mit solchen Aussagen wird suggeriert, die demokratischen Parteien betrieben eine Ideologie auf Kosten der Menschen, während die AfD im Interesse aller (behinderter wie nicht-behinderter) Schüler*innen, aber auch Eltern, Lehrer*innen und der gesamten Gesellschaft agiere. Behinderung wird bei der AfD als etwas grundsätzlich Negatives dargestellt.

Inklusion als Ideologie

Der Begriff Ideologie im Kontext von Inklusion, den auch Höcke in seinem Interview gebrauchte, nutzt die AfD seit 2016 in Parteiprogrammen. Sowohl in den Wahlprogrammen für die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt als auch für Baden-Württemberg wird Inklusion als Ideologie bezeichnet. Maßgeblich für die weitere Positionierung der AfD zum Thema ist jedoch das am 1. Mai 2016 beschlossene Grundsatzprogramm der Bundespartei. Dieses gibt die Grundlinien der Partei, auch zum Thema Inklusion, bis heute vor.

Im Grundsatzprogramm stellt die AfD fest, dass es keiner Inklusion bedarf und kommt mit Blick auf die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) zum Schluss: „Die Forderung, behinderten Kindern Teilhabe am Bildungssystem zu garantieren, ist bereits umfassend und erfolgreich erfüllt“. Dies Argument taucht fortan in vielen Programmen und Äußerungen der AfD auf – es entspricht jedoch nicht der Wahrheit, wie beispielsweise die scharfe Kritik der UN-CRPD (Committee on the Rights of Persons with Disabilities) aus dem September 2023 an der mangelnden Umsetzung der Inklusion im deutschen Bildungssystem belegt.

Das Kosten-Argument

Eines der Hauptargumente der AfD sind Kosten-Argumente. Das Grundsatzprogramm, kritisiert „erhebliche Kosten“ der Inklusion. Die Landesverbände Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern bemängeln exorbitante Kosten für Kommunen und Landkreise.

Andere Landesverbände argumentieren auch mit Kosten – aber gegenteilig: „Inklusion darf nicht als Alibi dafür herhalten, die Kosten im sozialen Bereich etwa durch Schulschließungen senken zu wollen“ heißt es 2017 im Wahlprogramm der AfD Schleswig-Holstein. Die AfD Niedersachsen formuliert es 2022 drastischer: „Finanzpolitiker erhoffen sich von der Abwicklung der Förderschule Einsparungen, die auf Kosten der Schwächsten in unserer Gesellschaft vollzogen werden. Insbesondere die Lernbehinderten sollen in den Regelschulen preiswert untergemischt werden“. Beim vorherigen Wahlprogramm hatte die AfD Niedersachsen noch anders argumentiert: „Die Inklusion Behinderter und die Integration von Migranten birgt ungleich höhere und zudem nicht gegenfinanzierte Kosten“. Die AfD Hessen scheut sich nicht davor, in ihrem Wahlprogramm von 2018 gleich beide Kost-Argumentationsstränge (zu teuer vs. Einsparung auf Kosten der Bildung) zu bedienen.

Wenn Argumentationen, warum die Inklusion abgelehnt wird mit diametral entgegengesetzten Argumenten, teils sogar in einem Wahlprogramm daherkommen, zeigt dies eines sehr deutlich: Die Begründung der AfD, warum sie gegen Inklusion ist, ist völlig sekundär für sie – Hauptsache Menschen mit Behinderung werden aus den Regelschulen weitestgehend rausgehalten.

Leistung und Förderung

Durch alle Programme zieht sich das Argument, dass behinderten Menschen mit einem erhöhten Förderbedarf an Förderschulen besser aufgehoben seien, denn nur dort wäre eine solche Förderung möglich. Argumentiert wird vielfach mit bestehenden Problemen im Bildungssystem wie zu große Klassen, Lehrer*innenmangel oder fehlende Finanzmittel für Schulen.

In einigen Programmen wird implizit oder explizit argumentiert, Schüler*innen mit einem erhöhten Förderbedarf würden insgesamt das Leistungsniveau der ganzen Klasse/Schule drücken, wie es Björn Höcke in seinem Interview auch tat. Zu Leidtragende werden vielfach die nicht-behinderten Schüler*innen stilisiert.

„Leistungsprinzip statt Inklusion und Kuschelunterricht!“

Während in Wahlprogramme Positionen ausformuliert werden, spitzt die AfD ihre Inhalte in Interviews, in Reden oder in Social Media zu. Diese zeigen in manchen Punkten die Kernpositionen und das Weltbild der AfD deutlicher als die Wahlprogramme – so auch zu Inklusion und Leistungsdenken: „Leistungsprinzip statt Inklusion und Kuschelunterricht!“ postete etwa Markus Frohnmaier, Vorsitzender der AfD Baden-Württemberg und Pressesprecher der AfD-Bundesvorsitzenden Alice Weidel, auf Facebook.

Sein Parteifreund Carlo Clemens, der für die AfD im Landtag von Nordrhein-Westfalen sitzt und Mitglied im Bundesvorstand ist, postete auf X: „Die ideologisch motivierte Inklusion“ sei „eine klare Absage an das Leistungsprinzip“. Clemens macht zudem in einer Presseerklärung der Bundes-AfD „linksgrüne Bildungsexperimente, von Einheitsschule bis Inklusion“ für das schlechte Abschneiden deutscher Schüler*innen bei der aktuellen PISA-Studie verantwortlich. Kurz: Menschen mit Behinderung bremsen laut AfD die deutsche Leistungselite aus.

Für Homogenität in Volk und Schulklasse

Ein dritter häufig bedienter Argumentationsstrang in der Positionierung gegen die Inklusion beschäftigt sich mit den Vor- und Nachteilen vom Homo- und Heterogenität. Gesellschaftliche Homogenität ist ein zentraler Bestandteil rechtsextremer Ideologie. Ein wichtiger Theoretiker für diese These ist der Staatsrechtler Carl Schmitt – von Freund und Feind als Kronjurist des Nationalsozialismus betitelt. Seine Definition von „wirklicher Demokratie“ ist bis heute für die gesamte sogenannte „neue“ Rechte, wie große Teile der AfD, wegleitend. Schmidt schreibt: „Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen“.

Das in der AfD einflussreiche neurechte Institut für Staatspolitik (IfS) hat zentrale Leitbegriffe für die eigene Weltanschauung in einem „Staatspolitisches Handbuch“ veröffentlicht. Zu Homogenität heißt es da in sehr enge Anlehnung an Schmitt: „Homogenität wird in erster Linie dadurch erreicht, daß das Andere als anders erkannt und diszipliniert oder ausgeschlossen wird. (…) Grundsätzlich gilt aber, daß man den, der wegen körperlicher oder seelischer Abweichung der Normalität widerspricht, absondert oder eliminiert“.

Mit einer Befürwortung der Homogenität geht eine Ablehnung der Heterogenität einher – auch in Schulklassen: „Heterogenität prägt jede Regelklasse an sich. Die inklusive Beschulung steigert die Heterogenität der Klassen zusätzlich und erschwert den bedürfnisgerechten Unterricht signifikant“ schreibt die AfD Bremen. Förderschulen ständen hingegen für ein System der Homogenität: „Bei Förderschulpädagogen handelt es sich um hochqualifizierte Lehrkräfte, die ihre verantwortungsvollen pädagogischen Aufgaben in spezialisierten Förderschulen weit angemessener erfüllen können als in heterogenen Regelschulklassen“ so die AfD Hessen.

„Eine homogene Zusammensetzung [der Schulklassen J.R.) ermöglicht […] eine effektivere Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten sowie eine höhere Vertiefung der Lerninhalte. Dies liegt letztlich im Interesse aller, der Leistungsstarken wie der Leistungsschwachen“ meint die AfD Hamburg. „Leistungshomogenität“ ist daher auch ein zentraler Schlüsselbegriff in vielen AfD-Bildungsprogrammen. Inklusion und Heterogenität sei hingegen für viele Probleme im deutschen Schulsystem verantwortlich: So haben Überlastung und Stress von Lehrer*innen laut der AfD Thüringen „ihre Ursache unter anderem in der Heterogenität der Schulklassen, die verstärkt wird insbesondere durch die Inklusion von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und einer hohen Anzahl von Kindern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind“. Die Erwähnung von Inklusion in einem Atemzug mit migrationsfeindlicher Rhetorik ist häufiger bei der AfD zu finden und offenbart eine teils ähnliche Feindbildkonstuktion in Bezug auf Migration und Inklusion.

Instrumentalisierung

Die AfD bringt immer wieder, wenn auch sehr selten, Anträge in Parlamente ein, die vermeintlich die Situation von Menschen mit Behinderungen verbessern soll. So werden beispielsweise Anträge zu Erhöhung des Blindengeldes eingebracht, die Wortgleich schon von der CDU oder SPD eingebracht wurden. Vordergründiges Ziel scheint weniger die Erhöhung des Blindengeldes zu sein, sondern SPD oder CDU vorzuführen, wenn sie dagegen stimmen, wenn ein Antrag, den sie selbst schon eingebracht haben, nun von einer rechtsextremen Partei stammt.

Insbesondere während der Pandemie wurde in Kleinen Anfragen oder Reden der AfD die Situation von Menschen mit Behinderungen vorgeschoben, um Covid-Schutzmaßnahmen, wie die allgemeine Maskenpflicht, zu kippen. Dabei hatten vor allem Selbstorganisationen von Behinderten immer wieder beklagt, dass es zu schnelle Maßnahmenerleichterungen gegeben habe und Chronisch Kranke bis heute beim Schutz völlig auf sich alleine gestellt sind.

Fazit

Die Sprache und die damit einhergehende intendierte Praxis der AfD in Sachen Inklusion ist zumindest in Teilen von massiver Menschenverachtung geprägt. Die Wahlprogramme benennen Schüler*innen mit Behinderungen als Belastung der Gesellschaft und des Bildungssystems. Teilhabe in Form von Inklusion wird für Kostenexplosionen, wie für schlechte Schulleistungen deutscher Schüler*innen verantwortlich gemacht. Für die AfD ist Inklusion Teil eines Kulturkampfes. Den Befürworter*innen wird unterstellt, sich mit Absicht gegen das Wohl von Schüler*innen mit und ohne Behinderung und deren Lehrer*innen und Eltern zu stellen. Angetrieben seien sie von einer gegen „das Volk“ gerichteten Ideologie.

Ihr Politikansatz, auch bei der Inklusion, ist nicht in demokratischen Maßstäben messbar, da sich die Partei nicht in einem demokratischen Wettbewerb um die besten politischen Konzepte verortet, sondern in einem weltanschaulichen Kampf „Gut gegen Böse“. Durch den in der deutschen Gesellschaft weit verbreiteten Ableismus sind aber auch im Politikfeld der Inklusion Politikansätze der AfD durchaus anschlussfähig – das macht diese um einiges gefährlicher. Eine Auseinandersetzung mit dem strukturell und gesellschaftlich verankerten Ableismus ist unabdingbar, auch unabhängig von den Positionierungen der AfD. Diese notwendige Auseinandersetzung kann aber im Nebeneffekt der Rechtsaußen-Partei wichtige Andockungspunkte an breitere gesellschaftliche Diskurse nehmen, wenn in diesen der Ableismus abnimmt.

Eine Langfassung dieser Analyse der Positionen der AfD zu Inklusion erscheint im Juni 2024 in „Behindernde Gesellschaft“, Band 15 der Schriftenreihe Wissen schafft Demokratie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft.

Foto: Flickr / vfutscher / CC BY-NC 2.0

 

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