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Studie Demokratie in der Krise?

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(Quelle: Unsplash)

51,3 Prozent der Befragten, die weniger oder überhaupt nicht zufrieden damit sind, „wie die Demokratie in Deutschland funktioniert“. Auf den ersten Blick ist besonders diese Zahl besorgniserregend, doch die Forscher*innen um den Bonner Politologen Frank Decker zeigen sich trotzdem vorsichtig optimistisch. Tatsächlich ist im Vergleich zur Vorgängerstudie von 2019 die Zufriedenheit mit der Funktion der Demokratie um zwei Prozent gestiegen. Schließlich sind es auch Zahlen, die nicht im luftleeren Raum entstanden sind, sondern vielmehr innerhalb einer Zeit der „Polykrise“, also während Corona, Klimakrise und Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine. Und doch zeigen sich schon bei dieser grundsätzlichen Frage starke Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. „Zeigte sich 2022 eine Mehrheit von 52 Prozent der Westdeutschen mit der Demokratie zufrieden (+2,5 Prozentpunkte), sackte die Zufriedenheit im Osten weiter ab (um zwei Prozentpunkte auf 34 Prozent)“, heißt es in der Studie. „Auch nach über 30 Jahren deutscher Einheit sind wir noch nicht wirklich ein Land“, fasst Decker die Zahlen zusammen.

Dabei ist der Unterschied zwischen Ost und West nicht der einzige Faktor, der Einfluss auf die Demokratiezufriedenheit hat. Auch die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen sozialen Schichten und das Bildungsniveau machen einen Unterschied. Befragte aus der „oberen Mittelschicht“ bzw. der „Oberschicht“ sind zu 64 Prozent zufrieden, während Befragte aus der „Unterschicht“ und Arbeiter*innen nur zu 33 Prozent zufrieden mit der Demokratie sind. Ähnlich ist die Aufteilung nach Bildungsgrad. Befragte mit hoher Bildung sind zu 48 Prozent zufrieden, solche mit niedriger Bildung lediglich zu 36 Prozent. Insgesamt haben über 50 Prozent das Gefühl, dass sich „der Zustand der Demokratie in Deutschland“ entweder deutlich oder eher verschlechtert hat.

Dabei wird auch – vermutlich auch mit Blick auf die permanenten Krisen – Überforderung deutlich. „Krisenereignisse haben dramatisch zugenommen und damit auch die Verunsicherung der Bevölkerung“, konstatiert Decker. Über 70 Prozent der Befragten stimmen dem folgenden Statement eher oder voll und ganz zu: „Die politischen Probleme sind heute so kompliziert geworden, dass sie nur sehr schwer zu durchschauen sind.“ Fast genauso viele sagen: „Jenseits von Wahlen gibt es für die Bürger nicht genügend Beteiligungsmöglichkeiten.“ Erschwerend dürfte auch hinzukommen, dass selbst wenn andere Beteiligungsmöglichkeiten genutzt werden, wie etwa der Berliner Volksentscheid zur Enteignung von Immobilienkonzernen, diese von der Politik schlicht ignoriert werden.

Trotzdem ist für die sehr große Mehrheit der Befragten, selbst wenn sie unzufrieden mit ihren Funktionsweisen haben, das Vertrauen in die Demokratie als solche groß. Denn auch wenn sie sich für mehr Volksentscheide, oder eine „Expertokratie“ aussprechen, so wollen nur sehr kleine Anteile der Befragten „eine einzelne Führungspersönlichkeit mit umfassender Entscheidungsmacht“. Insgesamt nur ein Prozent der Befragten (2,8 Prozent im Osten) sprechen sich für eine autokratische Regierung aus, das gilt selbst für Anhänger*innen der AfD, von denen 1,5 Prozent eine autoritäre Führung wollen.

Die Studie fragte auch das Vertrauen in die Medien ab und das führt wiederum zu einem ernüchternden Ergebnis. Nur 42 Prozent der Befragten vertrauen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, 32 Prozent vertrauen privaten Medien und Zeitungen. Doch immerhin ist das Vertrauen in die Wissenschaft hoch, auch wenn „Querdenken“ und andere wissenschaftsfeindliche Gruppierungen ihr Bestes geben, um Wissenschaftsfeindlichkeit zu verbreiten. Über 80 Prozent der Befragten haben großes oder sehr großes Vertrauen in die wissenschaftliche Forschung.

Wie so oft in großen Umfragen gibt es auch diesmal wieder eine Gruppe, die im mehr oder weniger diametralen Gegensatz zum Rest der Bevölkerung steht: AfD-Wähler*innen. Die Unterstützer*innen der Rechtsaußen-Partei haben generell wenig Vertrauen in Institutionen des Staates oder in die Medien. Auch bei der Frage nach Vertrauen gegenüber den eigenen Mitmenschen bilden AfD-Wähler*innen das Schlusslicht. Bemerkenswert ist das gerade mit Blick auf das Bundesverfassungsgericht, dem zum Beispiel 85 Prozent der Befragten SPD-Wähler*innen vertrauen (CDU:74,2 Prozent, Grüne: 93,1 Prozent). Hier schafft es die AfD auf knapp 25 Prozent. Das Vertrauen zur Bundesregierung (5 Prozent) oder Bundestag (5 Prozent) ist bei den Rechtsaußen-Wähler*innen mit Abstand am niedrigsten.

Über 75 Prozent der Befragten beklagen einen „Rückgang des gesellschaftlichen Zusammenhalts“. Als Grund dafür wird besonders Egoismus ausgemacht (88 Prozent, die sozialen Medien (80 Prozent). 74 Prozent machen Rechtsextremismus dafür verantwortlich, allerdings über 50 Prozent der dazu Befragten auch Migration.

Besorgniserregend sind die Zustimmungsraten zu Verschwörungserzählungen. Hier bemerken die Forscher*innen auch: „Der Glaube an verschiedene, sich sogar widersprechende Verschwörungserzählungen ist teilweise stark miteinander korreliert“, wer also an eine Verschwörungserzählung glaubt, wird auch die nächste nicht ablehnen. Die Studie stellt auch fest: „Verschwörungsdenken ist umso stärker verbreitet, je weiter sich die Befragten am rechten Rand des politischen Spektrums verorten.“ Besonders durchgesetzt haben sich bei einem signifikanten Teil der Bevölkerung Verschwörungserzählungen zur Corona-Pandemie, mehr im Osten als im Westen: 26 Prozent der Befragten glauben, „dass die Bevölkerung in der Coronakrise gezielt in Angst versetzt [wurde], um massive Grundrechtseinschränkungen durchzusetzen.“ Fast 20 Prozent sind der Ansicht, das Coronavirus sei „eine Biowaffe, die absichtlich entwickelt wurde, um Menschen zu schaden“. Immerhin die Mehrheit positioniert sich klar: 60,4 Prozent stimmen dieser Aussage „überhaupt nicht zu“, fast 22 Prozent stimmen eher nicht zu.

Auch bei diesen Fragen stechen besonders AfD-Wählerinnen ins Auge: „Bis auf die Anhänger_innenschaft der AfD lehnen die Wähler_innen aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien die Aussage ‚Die Regierung hat die Bevölkerung in der Coronakrise gezielt in Angst versetzt, um massive Grundrechtseinschränkungen durchzusetzen‘ mehrheitlich ab. Beinahe drei Viertel (73 Prozent) der AfD-Anhänger_innen stimmen ihr jedoch zu“ stellen die Forscher*innen fest. 48 Prozent der AfD-Anhänger*innen glauben, das Virus sei eine Biowaffe.

Die Resultate der Studie sind grundsätzlich nicht überraschend: Sie belegen, wie schon andere Studien zuvor, dass ein nicht zu vernachlässigender Teil der Bevölkerung demokratiefeindlichen Meinungen zugeneigt ist. Die Forscher*innen sehen in genau dieser Gruppe das Wählerpotential der AfD. Dabei handelt es sich zum Teil um Personen mit gefestigtem rechtsextremen Weltbild, die nicht mehr durch politische Bildung oder andere Bemühungen erreichbar sind. Um diejenigen zu erreichen, deren Weltbild noch offener ist – genauso wie alle anderen, die das Vertrauen in die Demokratie verloren haben und nicht am rechten Rand gelandet sind – setzt die Friedrich-Ebert-Stiftung auf politische Bildung. Auch aufsuchend und vor Ort, also nicht nur Veranstaltungen, für die sich Interessierte anmelden müssen, sondern auf Wochenmärkten, in Fußgängerzonen und überall dort, wo Menschen zusammenkommen. Der Demokratie in Deutschland ist zu wünschen, dass diese Strategie Erfolg hat.

Hier ist die Studie als Download verfügbar.

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