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[tacheles] Antisemitismus und Tiervergleiche — Das (ewige) Tier

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„Jüdischer Parasit“, „Judensau“, „Satansschlange Juda“: In der Geschichte des Antisemitismus sind Tiermetaphern und Tiervergleiche seit Jahrhunderten elementare Stilmittel, um Juden*Jüdinnen zu entmenschlichen. Die Soziologin Monika Urban befasste sich im Rahmen ihrer Dissertation mit antisemitischen Tiermetaphern in der alten und mittleren Geschichte, in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts und in der deutschen Gesellschaft nach Ende des NS-Regimes. Im Buch Von Ratten, Schmeißfliegen und Heuschrecken. Judenfeindliche Tiersymbolisierungen und die postfaschistischen Grenzen des Sagbaren (2014) unterteilte Urban die Tiere in drei Kategorien: „Uneigentliche“ (z.B. Teufel), „höhere“ (z.B. Sau/ Schwein) und „niedere“ Tiere (z.B. Heuschrecken, Ratten und Schlangen). Die Unterscheidung zwischen „höheren“ und „niederen“ Tieren ist keine biologische, sondern eine triviale. Sie stellt lediglich die Nähe zum Menschen zur Schau.

Die Tiermetaphern, die Urban untersuchte, eint ihre negative Konnotation. Die Merkmale, die den Tieren zugeschrieben werden, stimmen mit den antisemitischen, negativ konnotierten Stereotypen der Falschheit, Hab-/Machtgier und Verschlagenheit überein. Zwei Liedtexte aus dem Rechtsrock sollen illustrieren, in welcher Form die Dehumanisierung und der strukturelle Antisemitismus in Erscheinung treten. Gerade die extrem rechte Musikszene bietet eine Vielzahl eindrücklicher Beispiele antisemitischer Sprache. Denn in den meisten Fällen schmähen die Musiker*innen nicht „die Juden“, sondern „die Hochfinanz“, „die Ostküste“ und „die Plutokraten“. Sie nutzen sprachliche Codes, um das antisemitische Stereotyp vom mächtigen, reichen Juden („Weltjudentum“) zu vermitteln. Die Codierung antisemitischer Botschaften ist ein Instrument, um Indizierungen durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) und Strafanzeigen (z.B. §130 StGB, Volksverhetzung) zu vermeiden. In aller Regel lassen Musiker*innen ihre Tonträger (Booklets und Liedtexte) durch extrem rechte Anwält*innen prüfen.

„Das Tier“

Der strukturelle Antisemitismus erzählt die Geschichte von der mächtigen, raffgierigen Elite, die im Geheimen agiere und das Weltgeschehen lenke. Ein eindrückliches Beispiel liefert das Lied „Mahnmal der Geschichte“ (2014) der deutsch-österreichischen Rechtsrock-Band „Terrorsphära“. Die Erzählung des Liedes verdeutlicht die verschwörungsideologische Komponente des strukturellen Antisemitismus. Weder blutrünstige Feldherren noch imperialistische Diktatoren hätten Kriege zwischen Ländereien und Kontinenten verursacht, sondern der „Welt- und Völkerfeind“. Es heißt:

„Schau ich auf die Geschichte dieser Welt | Zeigt sich meinem Blick ein Bild, das mir von Völkern erzählt | Die sich in Freundschaft und Verbundenheit, in Achtung und Respekt | Gegenübertraten einst, doch oftmals wurden aufgehetzt, auf dem Schlachtfeld anzutreten voller Hass, der wurde geschürt | Von dem einen Welt- und Völkerfeind, der einzig danach giert | Alle Völker zu versklaven und sie auf die Schlachtbank führt | Damit sein Monopol regiert und diese Welt ins Chaos stürzt!“

Die Behauptung, die Welt sei per se friedlich, aber ein gieriger „Welt- und Völkerfeind“ trachte seit Jahrtausenden danach, Hass, Krieg und globales Chaos zu schüren und eine Weltregierung zu errichten („damit sein Monopol regiert“), ist – mit Blick auf die Geschichte des Judenhasses – strukturell antisemitisch. Schließlich wird Juden*Jüdinnen über Epochen hinweg das Streben nach Chaos und Weltherrschaft unterstellt. Am Ende des Liedes wird der „Welt- und Völkerfeind“ entmenschlicht. Es heißt: „So lasset unsere Waffen schweigen, wenn das Tier das Messer wetzt | Doch vereint die Schwerter kreuzen, wenn der Kampf uns ruft zur Pflicht“. Die Dehumanisierung macht das Feindbild zum minderwertigen Tier. Es wird die Assoziation geweckt, das Tier sei wild und müsse gejagt werden. Das ist ein Enthemmungs- und Legitimationsprozess. Am Ende dieses Prozesses steht der Wille, das Tier zu bekämpfen und zu töten.

„Das ewige Tier“

Gelegentlich wird die Rede vom „Tier“ durch das Adjektiv „ewig“ ergänzt. Beispielsweise singen die Rechtsrock-Bands „D.S.T.“ und „Sturmkommando“ im Lied „Erkenne den Feind!“ ihres Tonträgers „Morituri Vos Salutant“ (2011):

„Das ewige Tier ist aus seinem Schlaf erwacht | Es zwingt die Welt in eine neue Schlacht | Blutige Erde für Öl und Geld | Das Tier will die Macht, das Tier will die Welt | Tod und Versklavung, Folter und Mord | Vertreibung, Vermischung, gebrochenes Wort | So holt das Tier sich seine Beute | Nicht erst morgen, das geschieht schon heute“

Die Erzählung ist ähnlich: „Das Tier“ zwinge die Welt in Kriege, um die Herrschaft zu erringen („das Tier will die Welt“). Die Vernichtung der Völker erfolge durch „Versklavung“, „Vertreibung“ und „Vermischung“. Insofern wird der Verschwörungsmythos um die rassistische Überzeugung ergänzt, die Völker würden durch Immigration zerstört. In der Strophe wird das Triebhafte der Dehumanisierung deutlich („so holt das Tier sich seine Beute“). Die Botschaft: Der Feind ist kein rationales, vernunftbasiertes Wesen. In der Auseinandersetzung helfen keine Argumente, sondern nur Taten.

„Der Ewige Jude“

Das Adjektiv „ewig“ macht die antisemitische Intention deutlich: Das „ewige Tier“ spielt offensichtlich auf den Mythos vom „Ewigen Juden“ an. Der Mythos stammt in seiner antijudaistischen Form aus dem Mittelalter und handelt von der jüdischen Figur Ahasver. Er habe, so der Mythos, Jesus Christus verspottet und sei verflucht worden, in ewiger Wanderschaft durch die Welt umherzuirren. Im Nationalsozialismus wurde der Mythos aufgegriffen: Der antisemitische NS-Propagandafilm „Der ewige Jude“ (1940) macht Juden*Jüdinnen zu gefährlichen „Untermenschen“. Beispielsweise wurde die Wanderung der Juden*Jüdinnen aus Osteuropa mit den Verhaltensweisen der Ratten verglichen:

„Wo Ratten auch auftauchen, tragen sie Vernichtung ins Land, zerstören sie menschliche Güter und Nahrungsmittel. […] Sie sind hinterlistig, feige und grausam und treten meist in großen Scharen auf. Sie stellen unter den Tieren das Element der heimtückischen, unterirdischen Zerstörung dar – nicht anders als die Juden unter den Menschen.“

Die negativ konnotierten Merkmale, die Juden*Jüdinnen und Ratten zugeschrieben werden, sind identisch: Sie seien „heimtückisch“, „hinterlistig“ und wollten die Menschheit zerstören. Dass im Refrain des Rechtsrock-Liedes die Ratte genannt wird, ist in Anbetracht der historischen Verwendung derartiger Tiermetaphern keine Überraschung. Der Refrain lautet: „Erkenne den Feind! Die Schlange | Erkenne den Feind! Den Schakal | Erkenne den Feind! Die Ratte | Erkenne den Feind! Das ewige Tier“. Die Tiermetaphern – Schlange, Schakal, Ratte – haben nicht nur negativ konnotierte Merkmale, sondern auch eine antisemitische Historie gemein. Am bekanntesten dürften wohl die Schlangenkarikaturen in der NS-Propagandazeitung „Der Stürmer“ sein.
Die antisemitische Dehumanisierung erfüllt mehrere Funktionen: Indem Juden*Jüdinnen entmenschlicht werden, wird die Hierarchisierung zwischen Mensch und Jude bzw. Tier deutlich. Während der Mensch rational denken, entscheiden und handeln kann, wird „das Tier“ getrieben. In der Behauptung, Juden*Jüdinnen seien keine Menschen, sondern wilde Tiere, steckt der Vernichtungswille: Die einzige Möglichkeit, um sich vor den wilden Tieren zu schützen, ist die Jagd. Juden*Jüdinnen werden zum Freiwild erklärt.

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