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Täter von Dallas Rechtsextrem und Incel

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Ausschnitt aus seinem Tagebucheintrag (Quelle: Pictue Alliance, Belltower)

Am 7. Mai 2023 tötete ein 33-jähriger Mann acht Menschen in einem Einkaufszentrum in Allen, in der Nähe von Dallas, Texas, bevor er von einem Polizisten erschossen wurde. Mehrere Menschen wurden verletzt. Vier der Opfer des Anschlages hatten asiatischen Migrationshintergrund, eine koreanische Familie und eine Frau aus der indisch-amerikanischen Community. Eines der Opfer war gerade erst drei Jahre alt. Allen ist bekannt für seine große asiatische Community. Inzwischen hat sich bestätigt, dass es sich bei dem 33 Jahre alten Mann, um einen Rechtsextremen handelt. Seine Tattoos und Social Media-Postings sprechen eine eindeutige Sprache. Zusätzlich zu seiner rechtsextremen Einstellung lässt sich der Täter jedoch auch dem Incel-Spektrum zuordnen. Der 33-jährige Attentäter von Dallas hat Nazi-Symbole wie ein Hakenkreuz und das SS-Logo tätowiert, trägt einen Patch mit dem Akronym für „Right Wing Death Squad“ und teilt auf seinem Social Media-Account das A und O rechtsradikaler Influencer wie den Comiczeichner Stonetoss oder den Streamer Tim Pool. Er publizierte seine Tagebücher, in denen er akribisch beschreibt, wie sich sein Hass gegen nichtweiße Menschen und Frauen entwickelt hat, auf seinem Social Media-Profil. Er ermordete anscheinend gezielt Menschen mit asiatischem Migrationshintergrund. Und trotzdem verbreiten Prominente aus dem Rechtsaußen-Spektrum wie Marjorie Taylor Greene oder Elon Musk, als auch Trolle auf 4chan die Behauptung, dass es sich bei dem Täter wahlweise um ein Kartell-Mitglied oder eine Operation des FBI gehandelt hätte, um White Supremacists zu diskreditieren.

Die Incel-Ideologie des Täters

Dabei ist seine Ideologie mehr als offensichtlich, wie inzwischen schon von Bellingcat oder der Anti Defamation League anhand des Social Media-Profils des Täters wurde. Auf seinem inzwischen gelöschten Profil auf der russischen Social-Media-Plattform „OK“ hatte der Täter Scans seiner Tagebücher veröffentlicht. Eines davon nennt er recht treffend „Diary of a psychopatic manchild“ – also „Tagebuch eines psychopatischen Mannkinds“. Neben seinem Hass auf nichtweiße Menschen, inklusive einer intensiven Auseinandersetzung mit internalisiertem Rassismus aufgrund seines hispanischen Hintergrundes, Hass auf Kommunist*innen und „Social Justice Warriors“ und antisemitischen Narrativen ist besonders ein wiederkehrendes Moment auffällig: sein Frauenhass. Aus den Postings und Tagebuch-Einträgen lässt sich eindeutig ableiten, dass der Anschlag nicht nur rechtsextrem, sondern auch aus der Incel-Ideologie motiviert war. An einigen Stellen bezeichnet er sich auch selbst als Incel, also „Involuntary Celibate“  (unfreiwilliger Zölibatärer). Dies zeigt sich bereits an der Art, wie er über Frauen schreibt: Er benutzt aus der Incel-Szene stammende Begriffe wie „Stacy“ oder „Femoid“. Frauen sind bei ihm „Babyfabriken“, „Sandwich-Macherinnen“, „Löcher“, „Axtwunden“. Er reduziert sie auf ihr Aussehen, bezeichnet sie als „drei Löcher und zwei Titten“. Neben Incel-Begriffen bedient er in seinen Posts außerdem klassische Incel-Narrative, wie dass Frauen nur attraktive Männer, „Chads“ begehren würden, sich aber ein paar weniger attraktive und verunsicherte „Beta“-Männer an der Angel halten würden, um sich finanziell abzusichern. Er attestiert Frauen, geldgierig und nur auf sozialen Status fokussiert zu sein, keinen vernünftigen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung beigetragen zu haben, und generell verkommene Wesen zu sein. An anderen Stellen legitimiert er körperliche und sexuelle Gewalt: „Frauen sind wie Verkaufsautomaten: wenn du Geld hineinsteckst, kommt was raus, aber wenn du richtig drauf haust, kriegst du manchmal etwas gratis“. An anderen Stellen bezeichnet er, wie es alle Rechtsextreme tun, den Feminismus als Ursache der „Perversion von Kultur und der allgemeinen Degeneration des Westens“ und beklagt die „Entmännlichung Amerikas“. Außerdem teilte er Listen mit Artikeln und Büchern, die innerhalb der Manosphere rezipiert werden und Männern lehren sollen, Frauen zu manipulieren, oder die antifeministische Thesen verbreiten. Der Täter hatte zudem einige Beiträge aus Incel-Foren in sein OK-Profil kopiert, was von den Usern auf der Plattform begeistert aufgenommen wurde. „Based: Der Texas-Shooter war ein Incel!“ lautet zum Beispiel ein Thread aus dem Forum.

Quelle: Screenshot Webseite

Gekränkte Männlichkeit und Antifeminismus sind integraler Bestandteil der Radikalisierung junger Männer nach Rechtsaußen. Gerade bei Incels ist gekränktes patriarchales Anspruchsdenken immer wiederkehrender Punkt, mit dem sie ihre Gewalt legitimieren. Sie glauben, dass ihnen als Mann eine Partnerin und das Recht auf Sex zustünde. Der Feminismus und mit ihm die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen würden diese jedoch dazu verleiten, sich die Partner*innen ihrer Wahl auszusuchen. Und da Frauen, so die ausgesprochen sexistische Incel-Ideologie, aufgrund ihrer oberflächlichen und verkommenen Natur nur attraktive Männer begehren würden, blieben die unattraktiven Incels leer aus. Incels tragen dieses Anspruchsdenken an den Großteil der ihnen bekannten Frauen heran und begreifen die banale Tatsache, dass diese Frauen nicht mit Incels schlafen, als narzisstische Kränkung und Ablehnung ihrer kompletten Person. Der Attentäter von Dallas beschreibt in seinen Tagebüchern übrigens zahlreiche Verliebtheiten, aber er bringt diese selten zum Ausdruck. Stattdessen ist er frustriert, dass Frauen sich ihm nicht von selbst heraus an die Brust werfen.

Quelle: OK-Profil des Täters

Ähnlich verhielt es sich übrigens mit dem Incel-Attenäter, der 2014 in Santa Barbara auf dem Campus seiner Universität sieben Menschen ermordete: Er lamentierte darüber, keine Partnerin zu haben; seine Bemühungen, ein Date zu finden beliefen sich auf „auf dem Campus auf- und ablaufen und Kommilitoninnen im Seminar anstarren“. Incels projizieren also ihre eigene Frustration und Unsicherheit auf Frauen, machen diese für ihre selbst auferlegte Misere verantwortlich und begründen so misogyne Gewalt.

Gewalt als Rache an Frauen

An einer Stelle schreibt der Täter aus Dallas mehrere Seiten über eine Krankenschwester, die ihn behandelt hatte und der er gegenüber eine romantische Obsession entwickelte. Als sie ihn ablehnt, lamentiert er eine ganze Seite darüber, wie sie ihm diese Grausamkeit antun könnte. Er endet mit: „So long. You shouldn’t be walking“ – was durchaus als Drohung verstanden werden kann. Gekränktes männliches Anspruchsdenken ist regelmäßig Ursache für misogyne Gewalt. Studien haben ergeben, dass zudem eine erschütternde Anzahl an Mass Shootern bereits durch Stalking, Belästigung von Frauen oder sexuelle und häusliche Gewalt auffällig waren. Dass in einem Land mit derart liberalen Waffengesetzen wie den USA trotzdem viele dieser Männer Zugang zu Schusswaffen haben, ist eine grobe Fahrlässigkeit – und zeigt auf, dass Gewalt gegen Frauen nach wie vor nicht ernst genommen wird. „Das einzigen Gefühle, dass ich inzwischen Foids [Incel-Begriff für Frauen] gegenüber aufgbringen kann, ist purer, unverfrorener Hass […]“, schreibt der Mörder auf Social Media. „Jahre der Ablehnung, und das Gefühl, in den Augen von Foids nicht zu existieren, haben mich ihnen gegenüber zutiefst wütend, frustriert und kalt gemacht. Hypothetisch, wenn ich eine Stacy [Incel-Begriff für eine attraktive Frau] bekäme, die in allen Aspekten perfekt wäre, ich hätte nicht die Fähigkeit, sie zu lieben. Selbst wenn sie mich lieben würde, ich würde ihr so viel Leid zufügen wie nur möglich, ich würde sie als finalen Akt vergewaltigen, als Rache gegen all diese Huren. Einige Typen hier sagen: ‚Ich will doch nur geliebt werden‘, ich glaube, ich bin keiner von ihnen. Für mich gibt es definitiv kein zurück mehr.“

Rassismus und Misogynie

Besonderen Hass hatte der Täter auf asiatische Frauen. Obwohl diese in der Incel-Community oft als ideale unterwürfige Partnerin exotisiert werden, erfahren sie gleichermaßen misogyne Abwertung, wenn sie es wagen, sich diesen kolonialrassistischen Stereotypen zu verweigern. Er schreibt in einem seiner Tagebücher wütend darüber, dass asiatische Frauen nur attraktive weiße Männer begehren würden; ein Vorwurf, der regelmäßig aus der Incel-Szene, vor allem von sogenannten „MRAsians“, asiatischstämmigen Männerrechtlern, kommt. Er äußert sich konkret abwertend über chinesische und indische Menschen. Vier der Opfer des Anschlages hatten einen asiatischen Migrationshintergrund, ein getötetes Kind war gerade erst drei Jahre alt. Allen ist außerdem bekannt für seine große asiatische Community.

Faschismus und Männlichkeit

Ein weiteres auffälliges Element in den Tagebucheinträgen des Täters sind akribische Beschreibungen persönlicher Kränkungen nicht nur durch Frauen, sondern auch durch Arbeitskollegen, seinen Chef und Bekannte. Er fühlt sich unzureichend geschätzt und unfair behandelt. Doch anstatt beispielsweise Demütigungen im Berufsleben durch Klassenbewusstsein und Solidarität mit anderen Arbeiter*innen zu kompensieren, entwickelt er Gewaltfantasien. Er freut sich darüber, wenn jene, von denen ihm (vermeintlich) Unrecht zugefügt wurde, Leid erfahren. Er will, ganz im Sinne der autoritären Persönlichkeit, Leid nicht abschaffen, sondern derjenige sein, der es zufügt.

Der Soziologe Michael Kimmel argumentiert, dass Demütigung für viele Männer eine Form der Entmännlichung darstellt. Gewalt ist etwas ausgesprochen männlich konnotiertes, und das Ausüben von Gewalt dient wiederum der Rückeroberung von Männlichkeit. Faschismus profitiert immens von dem Gefühl männlicher Kränkung: er suggeriert, die (jüdisch und feministisch konnotierte) Moderne würde den Mann verweichlichen und degenerieren, als auch Frauen zur Emanzipation verführen und ihnen somit die Entscheidungsgewalt geben, Männer abzuweisen. Somit findet die Kränkung in der Männlichkeit auf persönlicher, als auch politischer Ebene statt. Die Lösung erscheint simpel: zum gewalttätigen Alpha-Mann werden und sich an all jenen rächen, von denen diese vermeintliche Kränkung ausgeht, und im besten Falle dafür zum Helden der Community aufsteigen. Deswegen publizieren so viele Rechtsterroristen oder Incels auch ihre Tagebücher und Manifeste: um die Hintergründe ihrer Taten zu erklären, und im besten Falle andere Männer zu motivieren, ebenfalls zur Waffe zu greifen – auch wenn sie danach von anderen Rechten zu Agenten von FBI und Antifa deklariert werden.

Dieser Artikel ist den Opfern des Anschlags und ihren Angehörigen gewidmet.

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