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Terror in Hanau Verharmlosung durch Pathologisierung

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Die Spurensicherung der Polizei an einem der Tatorte in Hanau. (Quelle: picture alliance / AP Photo)

In einem Manifest legte der Attentäter seine Motive dar bzw. das, was er der Öffentlichkeit als Motiv präsentieren wollte. Angefangen mit wirren Kindheitserinnerungen gelangt er zu einem Gespräch, dass er 1999 mit einem Kollegen in der Banklehre geführt habe und das im Text eine Art Schlüsselereignis dargestellt: „Ein Thema unseres Gespräches war unter anderem die Kriminalität, oder allgemeiner ausgedrückt, das schlechte Verhalten bestimmter Volksgruppen, nämlich von Türken, Marokkanern, Libanesen, Kurden, etc.“ Es wimmelt nachfolgend von rassistisch-völkischen Bildern und Verfolgungs- und Verschwörungsfantasien. Der „Geheimdienst“ würde ihn ununterbrochen beobachten, weshalb er auch nie eine Freundin gehabt habe, die Fernsehserien Prison Break und Vikings seien auf seine Ideen zurückzuführen, der DFB stehle seine Strategien etc. Der Eindruck, auch durch das kurz vorher publizierte YouTube-Video, es hier mit einem pathologisch psychisch Kranken zu tun zu haben, täuscht vermutlich nicht, löst den Massenmord, aber auch nicht aus dem Zusammenhang mit der rechten Ideologie. Vielmehr ist danach zu fragen, warum sich das Angebot dieser Ideologie so nahtlos in Wahnvorstellungen einfügt.

Rechtsextreme Ideologie beruht auf Projektionen. Innere Vorgänge – verborgene Wünsche, Ängste, Konflikte – werden von sich abgespalten und im Außen, bei anderen Menschen verortet. Dort werden sie als Bedrohung erlebt, was den Angriff auf diese Menschen vermeintlich rechtfertigt. Keine rechte Erzählung kommt aus, ohne sich zunächst zum Opfer dessen zu erklären, was man im nächsten Schritt den anderen anzutun gedenkt. Besonders deutlich wird das etwa in Verschwörungserzählungen, wenn man sich selbst als Opfer dunkler Mächte wähnt und deshalb fordert, die vermeintlich Verantwortlichen anzugreifen. Rolf Pohl prägte hierfür den Begriff der „paranoiden Kampf-Abwehr-Haltung“, die er mit der Lebensphase der Adoleszenz verbunden sieht. Das für diesen Lebensabschnitt typische Schwanken zwischen Kleinheitsangst und Größenphantasien wird in der Verschwörungswahn wieder aufgelebt: Die Angst, von einer angeblich furchtbaren Macht bis ins kleinste Detail des Lebens kontrolliert zu werde, geht mit dem Omnipotenzgefühl einher, sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse durchschaut zu haben, immer zu wissen, wer dahinter steckt und deshalb klüger als alle anderen zu sein.

In Bezug auf Antisemitismus sprachen Vertreter der Kritischen Theorie von pathischen Projektionen. Der Begriff „pathisch“ verweist hier im Unterschied zu „pathologisch“ auf darauf hin, dass Antisemitismus, obwohl er gewisse Strukturähnlichkeiten mit pathologischem Wahn teilt, eben nicht als Pathologie gilt, solange er in sich in einer Gesellschaft äußert, in welcher er als „normal“ angesehen wird. In einer Gesellschaft die frei von Antisemitismus wäre, würde die Unterstellung, Juden und Jüdinnen kontrollierten insgeheim Wirtschaft, Politik und Medien, zurecht als verrückt gelten. Die Grenzlinie zwischen Wahnsinn und Normalität wird also gesellschaftlich gezogen und rechte Strategien versuchen immer wieder diese Grenze zu verschieben. Heute mag der Verschwörungsmythos der „Umvolkung“ vielen als verrückt erscheinen, bei ständiger Wiederholung durch AfD-Abgeordnete und rechte Publizisten, kann sich das aber auch ändern und das rassistische Bild so legitim erscheinen wie „political correctness“, „Genderwahn“, „Hypermoral“ oder andere rechte Kampfbegriffe.

Weder sollte man der küchenpsychologischen Selbstdarstellung, noch den offenkundig wahnhaften Elementen des Manifests des Täters auf den Leim gehen. Durch die Pathologisierung des Täters von Hanau ist nichts gewonnen, sie hilft nicht dabei die Tat zu verstehen, sondern verdeckt wie normal der völkische Wahn bereits geworden ist. Den rechten Hetzern ist zu sagen: Das ist einer von euch!

Tom David Uhlig ist Mitarbeiter der Bildungsstätte Anne Frank und Mitherausgeber der „Freien Assoziation. Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie“.

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