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Tom Neubert Kampfsportler, Kriegstourist, Pädophilenjäger

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Im Vorspann zum Interview mit „26mintv“ übt der Kampfsportler Tom Neubert seine Polizeifoto-Pose
Im Vorspann zum Interview mit „26mintv“ übt der Kampfsportler Tom Neubert seine Polizeifoto-Pose (Quelle: Screenshot)

Tom Neuberts angebliche Kriegstour in der Ukraine fiel am Ende erstaunlich kurz aus. Auf Telegram geben zurzeit viele Neonazis an, an die Front reisen zu wollen – und zu kämpfen. Oft bleibt es bei Maulheldentum, wie Belltower.News bereits berichtete. Nicht beim Kampfsportler Tom Neubert, er will nach eigenen Angaben tatsächlich hingefahren sein. Nach ein paar Insta-Stories, in denen Neubert bewaffnet in militärischer Uniform posiert, war es allerdings schnell wieder Schluss mit dem Kriegstourismus. „Ich bin zurück in Deutschland“, schrieb Neubert kurz darauf auf Instagram. „Ich musste mich schweren Herzens schneller für die Rückreise entscheiden“. Dabei sollen „ganz persönliche Hintergründe“ eine Rolle spielen, die er aktuell nicht erläuterten könne.

Die Gründe für diese schnelle Rückreise nach Deutschland sind womöglich rund 1.500 Kilometer von Kyjiw (Kiew) entfernt im niedersächsischen Bothel zu finden, einer 2000-Seelen-Gemeinde zwischen Hamburg und Bremen, wo Neubert lebt. Dort vermeldete die Lokalzeitung Weser Kurier am 9. Februar 2022, dass ein 24-jähriger Kampfsportler für sieben Jahre und zwei Monate in Haft muss. Ein brutales „Räuberpärchen“ hat im Internet Freiern Sex gegen Geld versprochen. Doch stattdessen wurden sie geschlagen und ausgeraubt.

In Instagram-Stories tritt der rechtsextreme Kampfsportler Tom Neubert mit Armee-Ausrüstung auf und gibt an, in der Ukraine gewesen zu sein (Quelle: Instagram-Screenshot/Belltower.News-Collage)

Dass Neubert der Beschuldigte ist, gibt er in einem Interview mit dem YouTube-Format „26mintv“ („Der Talk mit Ex-Häftlingen“) Mitte Februar stolz zu. Kaum war das Urteil gefallen, packte er aus: Er und seine damalige Freundin haben im November 2020 „Pädophile angelockt und abgezogen“. „Wir haben im Internet Anzeigen gestellt und uns als Prostituierte ausgeben und mit den Leuten halt gechattet“, so Neubert. Er wollte aber nicht „irgendwelche Leute abziehen“, die es „nicht verdient hätten“ – wie beispielsweise einen „klassischen Familienvater“.

Die Mittäterin war Neuberts damalige Freundin. Frisch zusammengezogen wollte das Paar „ein bisschen Geld machen“, erklärt er – wegen finanzieller Probleme. Die beiden gaben sich als 16-jähriges Mädchen aus. Treffpunkt war ein Friedhof, „ein sehr, sehr abgelegener Ort“, beschreibt er. Die 23-jährige Freundin spielte den freundlichen Lockvogel, bevor Neubert vermummt mit Teleskopschlagstock auf die insgesamt drei Opfer losrannte und sie ausraubte. 1000 Euro sollen sie damit erbeutet haben.

Vorbild: „Pedo Hunters“

Die Inspiration kam von YouTube: „Wir haben uns gedacht, dass wir so was Ähnliches wie ‚Pedo Hunters‘ machen“, sagt Neubert in Bezug auf die YouTube-Serie des Ex-Bundespolizisten Nick Hein, ebenfalls Kampfsportler, der sich online als 13- bis 16-jährige Mädchen ausgibt, um sich mit erwachsenen Männern zu Sexdates zu verabreden und sie zu konfrontieren. Eine Selbstjustiz, die sich laut Rechtsanwälten in einer rechtlichen Grauzone bewegt. Für Neubert aber eine Selbstjustiz, die auch als lukrative Business Opportunity vielversprechend aussah. „Wenn du einen Drogendealer abziehst, der ruft auch nicht die Bullen“, so Neuberts Logik.

Ein Trugschluss, denn seine Opfer meldeten sich nach den brutalen Überfällen tatsächlich bei der Polizei. „Die Leute haben sich nicht geschämt, die Bullen zu rufen“, sagt er mit Empörung. Mit einer Verhaftung habe er nicht gerechnet: „Wer denkt denn, dass irgendein Pädo zur Polizei geht und sagt, ja ich wollte mich mit einer Minderjährigen treffen und ich wurde überfallen“. Auch Neuberts Freundin hat ihn inzwischen angezeigt, die Beziehung sei vorbei: Er soll auch ihr gegenüber häufig gewalttätig gewesen sein. Und sie wirft ihm häusliche Gewalt, Nötigung und Freiheitsberaubung vor –  was Neubert bestreitet.

Einen Monat nach den Überfällen wurde Neubert verhaftet. Zur Festnahme, nach Neuberts Schilderung einem dramatischen Sondereinsatz mit einem rasenden Polizei-SUV sowie maskierten, mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten, sagt er: „Ich wusste nicht, worum es ging. Man hat vielleicht nebenbei auch was anderes gemacht, wo man nicht sicher war, geht es darum oder geht es darum.“

Dass Neubert den Überblick verlieren kann, ist verständlich. Denn er ist kein ungeschriebenes Blatt. Als Dortmunder Neonazi war er umtriebig und wohnte in einem Szene-Haus im berühmt-berüchtigten Stadtteil Dorstfeld. In einer Doku von YKollektiv aus dem Jahr 2016 über die dortige Neonazi-Szene taucht auch Neubert auf: Er läuft der Reporterin, die einen Polizisten interviewt, hinterher – scheinbar um Fotos oder Videos von ihr zu machen und sie einzuschüchtern. Seine Personalien werden festgestellt, das kann den penetranten Neubert aber nicht davon abhalten, den beiden weiterhin zu folgen. Neubert besteht schließlich darauf, einen Platzverweis zu bekommen – ansonsten will er nicht weg, sagt er dem Polizisten. Während seiner Dortmund-Zeit stand Neubert der Neonazi-Kleinpartei „Die Rechte“ nahe, er soll auch der inzwischen aufgelösten rechtsextremen Hooligangruppe „Riot 0231“ angehört haben.

„Irgendwelche Ausschreitungen“

Auch um diese Verbindungen ins rechtsextreme Milieu geht es zum Schluss im Interview mit „26mintv“. „Das gehört zu meiner Vergangenheit“, gibt Neubert offen zu. Von 16 bis 19 sei er in der rechtsextremen Szene sehr aktiv gewesen. „Ich habe dem schon lange den Rücken gekehrt, ich habe mich mehrfach davon distanziert“, will er betonen. „Wie ernst willst du einen 16-Jährigen nehmen, der irgendeine politische Meinung äußert? Weil der hat doch ganz andere dann, weißt du“, erklärt er dem schwarzen Moderator. „Und vielleicht in dem Alter [will man] einfach Aktion. Was willst du mehr als Aktion haben? Irgendwo hingehen, Graffiti sprühen, irgendwelche Ausschreitungen, weißt du. Da sind alle Kinder unterschiedlich“.

Schließlich habe Sport ihm aus der Szene geholfen, behauptet er. Was auf der Matte gelte, nämlich dass alle Leute gleich seien, das habe er auch in seinem Leben übernommen, wiederholt Neubert im Gespräch – eine Ausrede, die wie geübt wirkt. Während des Prozesses gegen ihn sollen dem Weser Kurier zufolge Unterlagen präsentiert worden sein, um seinen Ausstieg aus der Neonazi-Szene zu belegen.

Ein klarer Bruch mit der Szene ist allerdings schwer erkennbar, auch wenn Neubert heute auch mal mit dem stalinistischen Schläger „Taktikka“ zusammenarbeitet, einem Rapper aus dem Umfeld der aufgelösten Antiimp-Truppe „Jugendwiderstand“, die vor ihrer Auflösung immer wieder durch antisemitische Hetze auffiel. Und gerade durch Kampfsport pflegt Neubert enge Verbindungen ins rechtsextreme Lager: So kämpfte er 2016 beim eindeutig neonazistischen Fight-Event „Kampf der Nibelungen“ im mittelhessischen Gemünden. Damals war er 19 Jahre alt. Doch drei Jahre später kämpfte er 2019 beim illegalen Straßenkampf „King of the Streets“ in Schweden, einer Veranstaltungsreihe, bei der Rechtsextreme wie der französische Neonazi Thomasz Skatulsky aufgetreten sind, ein Mann mit Hakenkreuz-Tattoo auf seinem Rücken.

Im Mai 2019 kämpfte Neubert auf der Kampfsportgala „F1ght K1ngs“ in Kyjiw, einem Event, das vom russischen Neonazi Denis Nikitin, mit bürgerlichem Namen Kapustin, organisiert wird. Dort trat er nicht nur neben Kämpfern des „Kampf der Nibelungen“ auf, sondern auch von der rechtsextremen „Asow“-Bewegung (siehe Belltower News). Beim schwedischen „King of the Streets“ und in Kyjiw trug Neubert Merchandise der „Hooligans Dortmund“ – der Nachfolgegruppe der aufgelösten „Riot 0231“, die er angehört haben soll.

Womöglich spielten Neuberts dort gewonnene Kontakte in der Ukraine eine Rolle für seine Entscheidung, sich dem Kampf gegen Russland anschließen zu wollen. Doch ob er überhaupt hingereist ist, wie er behauptet, konnte von Belltower.News nicht verifiziert werden. Neuberts Nahaufnahmen, die in der Ukraine entstanden sein sollen, bieten keine eindeutigen Hinweise darauf. Nur ein zerbombtes Wohnhaus, das tatsächlich in Kyjiw liegt, spricht dafür. Zahlreiche Fotos vom Haus kursieren allerdings bereits in den Medien. Das von Neubert geteilte Foto konnten wir zumindest mit einer Reverse-Image-Suche online nicht finden.

Neuberts Ausreise scheint auch fragwürdig im Hinblick auf die Auflagen nach seiner Freilassung aus der Untersuchungshaft: Einen Monat nach seiner Festnahme war er wieder auf freiem Fuß, müsse sich aber zweimal wöchentlich melden und bei seinen Eltern wohnen, sagt er im Interview mit „26mintv“, „wieder im Kinderzimmer“. Doch die Zeit bis zur Haftstrafe wolle er nutzen, er hat inzwischen auch Revision eingelegt. „Und ich hoffe, dass ich in der Zeit noch möglichst viel reisen kann“, so Neubert. Was er mit „reisen“ meine, fragt der Moderator. „Alles Mögliche. Weiter kämpfen. Die Zeit ausnutzen. Nicht viel darüber nachdenken“. Nicht viel Nachdenken – zumindest mit diesem Ziel dürfte Neubert nicht scheitern.

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