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Ukraine-Krieg Russische Rechtsextreme, die hinter einer Briefbombenserie stehen sollen

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Eine der Briefbomben explodierte in der ukrainischen Botschaft in Madrid
Eine der Briefbomben explodierte in der ukrainischen Botschaft in Madrid

Die sechs Briefbomben wurden an Botschaften, Politiker und ein Rüstungskonzern in Spanien geschickt. Einer der Sprengkörper explodierte in der ukrainischen Botschaft in Madrid, als ein Wachmann ihn am 30. November 2022 öffnete. Er wurde dabei leicht verletzt. Ein weiterer war an den spanischen Premierminister Pedro Sánchez adressiert. Auch das spanische Verteidigungsministerium, ein Militärflugplatz und die US-Botschaft waren Ziele. Die Bomben waren offenbar eine Botschaft: gegen Spaniens Unterstützung der Ukraine seit Russlands brutalem Überfall im Februar 2022.

Seit der Briefbombenserie Ende November und Anfang Dezember 2022 ermitteln spanische und ausländische Behörden. Nun steht offenbar die „Russische Reichsbewegung“, auch „Russian Imperial Movement“ (RIM) genannt, im Fokus der Ermittelnden. Das berichtet die New York Times unter Berufung auf anonyme US-Beamt*innen.

Die rechtsextreme Gruppe wurde 2002 in Sankt Petersburg gegründet. Seit 2020 gilt sie in den USA als Terrororganisation: Anführer Stanislav Vorobyov und Denis Gariev (auch als Gariejew oder Gariyev transliteriert) wurden als „Specially Designated Global Terrorists“ eingestuft. Mit guten Gründen: In Sankt Petersburg betreibt die „Russian Imperial Legion“, der paramilitärische Arm der Bewegung, das Trainingslager „Partizan“.

Zum Programm im „Partizan“ gehören Schießübungen, Kriegstaktiken, „Artillerie-Aufklärung“ und tödliche Nahkampftechniken – militärisches Knowhow für Kriegsbegeisterte am rechten Rand. Dort sind bereits auch europäische Neonazis an der Waffe ausgebildet worden. Aus Deutschland sollen Kader der Neonazi-Partei „Der III. Weg“ und der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ an Kursen teilgenommen haben, wie Belltower.News berichtete.

Das theoretische Wissen haben manche Teilnehmer schon in praktische Gewalt umgesetzt: Nachdem Viktor Melin und Anton Thulin, zwei Neonazis der schwedischen „Nordic Resistance Movement“, 2016 eine elftägige Ausbildung im „Partizan“ absolviert hatten, verübten sie Bombenanschläge auf ein Asylzentrum und einen linken Buchladen in Göteborg. Drei Wochen später platzierten sie eine weitere Bombe vor einem Zeltlager für Geflüchtete, die aber nicht detonierte.

Oder es gibt die russischen Neonazis Alexey Milchakov und Yan Petrovsky: Nach ihrem Besuch im Trainingslager der RIM 2014 gründeten sie die inzwischen berüchtigte „Taskforce Rusich“, eine neonazistische Söldnergruppe, die für Moskau gegen die Ukraine kämpft – mit brutalsten Foltermethoden, wie Belltower.News bereits berichtete.

Auch die RIM kämpft gegen die Ukraine. Bereits 2014 und 2015 hatte das rechtsextreme Paramilitär in die Kämpfe im Osten des Landes eingegriffen. Und seit Putins brutalem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 ist die RIM wieder an der Front: In Videos auf der russischen Plattform VK berichtet Denis Gariev von Einsätzen seines Paramilitärs im Donbas. Er selbst sei an der Front verletzt und wieder nach Russland ausgeflogen worden, wo er nun offenbar Kämpfer rekrutiert und ausbildet. Ein im Mai 2022 geleakter Bericht des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND), über den der Spiegel berichtete, bestätigt das. Laut dem siebenseitigen internen Dokument wirbt die RIM „vor allem Personen mit Militärerfahrung“ und Absolventen des Trainingslagers „Partizan“ für den Kampf.

Das Verhältnis zwischen der RIM und Moskau ist aber ein kompliziertes. Die monarchistische, ultranationalistische Bewegung strebt eigentlich die Wiederherstellung des russischen Zarenreiches an. Sie kritisiert die korrupten Eliten und Oligarchen, die Putin zur Macht verhalfen. Ein Freund des Kremls ist sie nicht. Die russische Kommunikationsbehörde „Roskomnadzor“ blockte die Webseite der RIM, weil ihre Texte „extremistisch“ seien. Die russischen Bankkonten der Bewegung wurden von den Behörden gesperrt.

Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten: eine Abneigung gegen den liberalen Westen, den Glauben an ein starkes Großrussland nach russisch-orthodoxen Werten – und die Bereitschaft, die Ukraine für diese imperialistische Fantasie zu vernichten. Und die Praxis zeigt: Auf VK, eine russische Plattform, ist die RIM weiterhin aktiv, mit rund 20.000 Followern. Auch die Webseite des Trainingslagers „Partizan“ ist bis heute online: Die RIM darf direkt unter den Augen des russischen Militärnachrichtendienstes GRU paramilitärische Ausbildungen durchführen. Sie darf Soldaten für den Krieg in der Ukraine rekrutieren, wo sie Seite an Seite mit russischen Streitkräften kämpft. Und bei der Briefbombenserie in Spanien sollen laut US-Quellen, die die New York Times zitiert, GRU-Offiziere die russischen Rechtsextreme dirigiert haben.

Nathan Sales, Koordinator für Terrorismusbekämpfung im Außenministerium unter der Trump-Regierung, als die RIM als Terrororganisation eingestuft wurde, spricht gegenüber der New York Times von einem „Warnschuss“: „Russland sendet damit ein Signal, dass es bereit ist, terroristische Stellvertreter für Angriffe in den hinteren Gebieten des Westens einzusetzen.“

Es wäre nicht das erste Mal, dass Russland solche Anschläge im Ausland verübt. 2018 wurden der Ex-Militär-Geheimdienstler Sergei Skripal und seine Tochter Yulia im britischen Salisbury von russischen Agenten mit Nowitschok vergiftet: Sie überlebten nur knapp, eine britische Frau starb. Dabei will der Kreml auf plausible deniability oder „glaubhafte Abstreitbarkeit“ setzen – und verwendet dafür oft Gruppen, die zumindest offiziell nichts mit Moskau zu tun haben sollen. „Die meisten dieser Organisationen sind natürlich mit dem russischen Geheimdienst verbunden, entweder mit der GRU oder mit der FSB“, sagt Fiona Hill, Senior Director für Europa und Russland im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses in der Trump-Administration, gegenüber der New York Times.

So soll der britischen Times zufolge die rechtsextreme Söldnertruppe „Wagner“ zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 damit beauftragt gewesen sein, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und 23 weitere Regierungsvertreter*innen zu ermorden, wie auch Belltower.News berichtete. Auch die damit verbundene „Taskforce Rusich“ fungiert in der Ukraine als lange Hand des Kremls.

Offiziell verurteilt Moskau die Briefbomben in Spanien: Die Botschaft in Madrid veröffentlichte ein Statement dazu auf Spanisch. Aber genau das ist offenbar Teil der zynischen Strategie: plausible deniability. Besonders gefährlich bleibt die Rolle von rechtsextremen Paramilitärs aus Russland: Denn es ist bloß eine taktische Allianz.

Die „Taskforce Rusich“ folgt schon jetzt teilweise einer eigenen Agenda: Im Dezember 2022 rief das neonazistische Paramilitär seine Follower auf Telegram dazu auf, detaillierte Informationen über Militärposten in den Grenzgebieten im Baltikum weiterzuleiten. Informationen, über die russischen Nachrichtendienste vermutlich schon verfügen. Ein Alleingang von „Rusich“ könnte eine Eskalation des Krieges bedeuten. Aber mit der Briefbombenserie in Spanien, offenbar von der GRU orchestriert, sucht womöglich auch der Kreml eine indirekte Konfrontation mit Nato. Mithilfe von russischen Rechtsextremen.

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