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Verschwörungsideologie Der Great Reset und seine Gläubigen

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(Quelle: Pexels)

Dieser Text entstand im Rahmen des Projektes „Get The Trolls Out”.

Schuld am „Great Reset” (Der große Neustart/Umbruch) sollen viele haben: Geheime Eliten, die versuchen, Weltpolitik und Wirtschaft in einen Öko-Faschismus zu lenken oder totalitäre Regierungen, die durch Grundrechtseinschränkungen und Lockdowns eine neue Art von Gesellschaft formen wollen oder Linke, die sich gegen Rassismus und für nachhaltige Umweltpolitik einsetzen. Egal wie und wer, die neue sozialistische Weltordnung ist in vollem Gange, glaubt man den Verschwörungserzähler:innen.

Gemeinsam haben sie ein Feindbild: Das Weltwirtschaftsforum, das eine digitale, umweltfreundliche und gerechte Wende fordert — in allen Bereichen der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. So beschreiben zumindest Klaus Schwab, Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums und Wirtschaftswissenschaftler Thierry Malleret ihre Visionen für mögliche Veränderungen nach Corona in ihrem Buch „Covid-19: The Great Reset”, erschienen im Sommer 2020. Das Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum, WEF) arbeitet schon mehrere Jahre an Ideen, wie die vierte industrielle Revolution aussehen könnte und fordert eine radikale Wende in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Durch die Folgen der Pandemie für die gesamte Menschheit, wurden diese Ideen als gebündeltes Konzept letztendlich als Buch veröffentlicht. Die zum Teil sehr utopischen Ideen von Superreichen für die Zukunft der Menschheit werden zu Recht von Expert:innen kritisiert und diskutiert. Jedoch gilt das Buch in bestimmten Kreisen rund ein Jahr später als das neue Manifest geheimer Eliten und Globalist:innen sowie einer „woken“ Linken, die bereits für die neuen Werte und Ziele indoktriniert wurde. Und genau hier beginnen Sorgen und Ängste derjenigen, die diese Art von Politik ablehnen und versuchen mit aller Kraft, die Menschheit „aufzuwecken”.

Investigative Meisterwerke

Den „Great Reset” haben bis jetzt vor allem „alternative Medien” und rechtspopulistische Formate angeblich durchschaut. Solche, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die vermeintlichen Lügen der Mainstream-Medien zu entlarven und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Klickt man sich beispielsweise durch COMPACT-Online gibt es kaum eine Seite, auf welcher der „Great Reset” nicht thematisiert wird. Für jedes Ereignis und jede Misslage wird ein etabliertes Feindbild herangezogen, welches keiner Erklärung mehr bedarf: Globalist:innen seien der Grund, wieso sich Ungarn nichts mehr von der EU gefallen lassen und austreten sollte, denn „[…] Katarina Barley, sagte (natürlich an der Seite von George Soros und seinen Anhängern), nämlich, dass abtrünnige Länder wie Ungarn und Polen ausgehungert werden sollten, indem man ihnen die finanzielle Unterstützung entzieht”, wettert die COMPACT. Linke würden außerdem die Hochwasserkatastrophe von Ahrweiler instrumentalisieren, um ihren „Great Reset” durchsetzen zu können; die Rockefeller Foundation sah die Pandemie schon 2010 kommen und eigentlich sei ein Freimaurer an allem Schuld: „Satans Logenbruder: Der Freimaurer, der den Great Reset erfand”, betitelt die COMPACT einen Artikel auf der Webseite. In den Artikeln werden immer wieder antisemitische Dog Whistles eingebaut: Von den Rothschilds und Bilderbergern über George Soros zu Globalisten und Freimaurern. Strukturen von antisemitischen Verschwörungserzählungen werden so stetig reproduziert.

Neben den altbekannten Feindbildern soll aber auch China eine wesentliche Rolle spielen: „Die Wuhan-Verschwörung: Bio-Waffen für den Great Reset”, schreibt Chefredakteur Jürgen Elsässer. Genauer gesagt sollen reiche Chines:innen die Corona-Krise inszeniert haben, um die Wirtschaft des Westens zu zerstören. Investitionen in die industrielle Produktion würden nun von Investitionen in die Pharma-Branche und Genetik ersetzt. Diese Biowaffen wiederum sollen dann dem „Great Reset” dienen, um die Entwicklung eines sozialistischen Systems leichter kontrollieren zu können.

Angst vor totalitärer Weltgesellschaft mit grünem Antlitz

Andere „alternative Medien” springen auf den Verschwörungszug mit auf und erklären die bereits etablierte Politik des „Great Resets” anhand eindrücklicher Beispiele. Das vom Verfassungsschutz beobachtete Hetz-Portal PI News warnt vor Wohlstandsschwund und einem „Gesundheitstotalitarismus”, den die Menschen nicht wahrhaben wollten: Wer glaube, es bräuchte in den nächsten Jahren Energie-, Mobilitäts-, oder Verkehrswenden sei auf die Lügen der Politiker:innen reingefallen und Opfer des „Great Resets”.

Bemühungen, den menschgemachten Klimawandel zu verlangsamen, werden als völliger Irrsinn wahrgenommen. Preissteigerungen von Benzin und Gas, der Ausbau von erneuerbaren Energien usw. seien klare Indizien: Der „Öko-Faschismus” sei angekommen, so PI News.

Großes Thema sind auch Meinungsfreiheit und Grundrechte bzw. deren Abschaffung und Bedrohung. Auf dem muslimfeindlichen Blog Philosophia Perennis liest man in apokalyptischen Sprache Artikel über den Totalitarismus, welcher Deutschland bald mitsamt Zensur, Kontrolle und Sklaverei erwarten würde. Fundament für ein solches System sollen bereits die Maßnahmen der Corona-Politik gewesen sein, behauptet der Autor. Die Maßnahmen der deutschen Regierung zur Eindämmung der Pandemie hätten gezeigt, wie leicht sich ein diktatorisches System mit Rechtseinschränkungen einführen ließe und wie leicht Menschen jetzt schon bereit wären, ihre Freiheiten aufzugeben und sogar hinter einem solchen System zu stehen. Die Sprache und Argumente gleichen denen, die auch auf Querdenken-Demonstrationen monatelang verwendet wurden. Aber was ist noch schlimmer als ein totalitäres System? Ein totalitäres System, das auch noch grüne Politik durchsetzen möchte, findet die rechte Szene.

Ein klares Indiz für den Erfolg des „Great Resets” in Deutschland soll nämlich die steigende Beliebtheit der Grünen sein. Dass Öko-Lobbyist:innen in Deutschland bereits alles im Griff hätten, davon ist auch der rechtspopulistische Blog Achse des Guten längst überzeugt.

Das Weltwirtschaftsforum und seine eingesetzten Politiker:innen würden versuchen einen neuen Menschen zu kreieren, der gehorchen solle, dessen Meinungsfreiheit ihm nichts wert sei und der eine grüne Doktrin befolge. Die einzige Möglichkeit, einem Sozialismus, wie er von Stalin gelebt wurde, zu entgehen, sei das Erwachen der Gesellschaft. Alles in allem befürchtet die Szene der alternativen Medien also eine sozialistische Weltgesellschaft, der grüne Antlitz dieser scheint ihnen dabei besonders viel Angst und Schrecken auszulösen.

„Great Reset” im Bundestag

Man könnte meinen, die Erzählung spiele immerhin in Parlamenten oder der Realpolitik keine Rolle, aber das tut sie. Zum Beispiel im Programm der AfD zur Bundestagswahl 2021. Die Partei warnt vor einem grünen Staatssozialismus und einer substantiellen Beeinträchtigung der Umwelt. Marc Bernhard, Abgeordneter der AfD, warnt in seiner Rede im Bundestag vor dem „Great Reset” und davor, dass westliche Werte wie Freiheit, Eigentum, Grundrechte bald ausgedient haben könnten. Der mit den Rechten liebäugelnde CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen hat bei einer Diskussionsveranstaltung der Werteunion Ende 2020 davor gewarnt, dass das Befolgen der Prinzipien des „Great Resets” eine Kriegserklärung an die freiheitlich demokratischen Grundordnung bedeuten würde. Sven von Storch, Mann von Beatrix von Storch, ruft bei dem rechten YouTube-Format „Freie Welt TV” auf: „Wer nicht in absehbarer Zeit, nicht erst eines Tages in solch einer Welt unumkehrbar aufwachen will und kein Sklave dieser neuen Normalität, dieser neuen totalitären, neomarxistischen Gesellschaftsordnung sein will, muss dieser Realität bereits heute ins Auge sehen. […] Wir müssen jetzt aufstehen und in unserem Umfeld und überall, wo wir wirken können, für unsere Freiheit, für unsere freie Welt und für unsere Zivilisation, wie wir sie kennen, kämpfen. Jetzt, heute und sofort.” Das sind nur wenige Beispiele von vielen Politiker:innen, die sich vor einem „grünen Linksrutsch” fürchten und den „Great Reset” deshalb für ihre polarisierende Politik instrumentalisieren.

Rechte wollen Gegentheorie entwickeln

Die Angst vor dem „Great Reset” hat es aber auch in rechtsextreme Podcasts und auf Podien geschafft, wo identitärer und rassistischer Austausch stattfindet. Weniger apokalyptisch und konspirativ als COMPACT & Co., sondern nüchterner und rationaler. Es macht den Eindruck, als wären Rechtsalternative genervt von dem ständigen „Aufdecken von Lügen”. Das genüge ihnen nicht, sie fordern deswegen eine gemeinsame Gegentheorie der Rechten. „Geist als Mittel” steht im Vordergrund, wenn Neonazi Frank Kraemer (Mitglied der Band „Stahlgewitter”) in seinem Podcast mit verschiedenen Gästen darüber spricht, eine besser organisierte ideologische Arbeit zu brauchen. Weniger scheinen sie das Neudenken der Wirtschaft zu stören, umso mehr aber das angebliche Neudenken der Gesellschaft. Sie sprechen davon, wie ein „Schwarzer Rassismus” gegen Weiße gefördert würde, Rassismus durch Weiße aber gäbe es nur als Propaganda. Sie befürchten den Verlust ihrer nationalen Identität durch die „globalistische Institution EU”. Diese solle ihnen angeblich das letzte nehmen, was sie als Franzosen oder Deutsche noch ausmachen würde – ihr Nationalbewusstsein, so behaupten es beispielsweise Frank Kraemer und sein Gast Peter Steinborn in einer Folge des Podcasts.

Der rechtsalternative Publizist und YouTuber Gunnar Kaiser vergleicht in seinem Podcast das Weltwirtschaftsforum mit den Bilderberger-Treffen: Bei ihnen wäre damals auch angenommen worden, man hätte nichts Schlimmes zu befürchten. Welche negativen Folgen sich aus diesen Treffen ergeben hätten führt er nicht aus. aber es genügt scheinbar, „Bilderberger” auch ohne Erklärung fallen zu lassen, um anzudeuten, dass hier etwas Böses im Schilde geführt wird Der Grund, wieso Menschen ihre Freiheiten und Grundrechte abgeben würden, seien neben der Verfassung von Staat und Technik vor allem die angeblich gleichgeschalteten Medien, wo Berichterstattung nach Wunsch der Mächtigen stattfinden würde.

Bei der Sommerakademie des kürzlich als rechtsextrem eingestuften „Instituts für Staatspolitik” (IfS) meldete sich der neurechte Politikwissenschaftler Benedikt Kaiser zu Wort und referierte über den Great Reset. Besser gesagt über die „Woke-Kultur als neue herrschende Ideologie”. Klares Feindbild ist hier „die Linke”, die „das schmutzige Geschäft der Herrschenden” übernehmen soll. Deutlich wird das für ihn im digitalen wie auch analogen „Kampf gegen Rechts”, wo die Werte und Prinzipien des „Great Resets” umgesetzt würden. Denn nur die Rechten seien erwacht und kritisierten dieses Ideen. Das Gender-Sternchen und der Kampf gegen Rassismus seien dementsprechend erste Erfolge des „Great Resets”, denn die „Verschmelzung postmoderner linker Identitätspolitik mit den zeitgeistigen Interessen kapitalistischer Spieler wurde vollzogen”, sagt Kaiser hochtrabend. Deshalb fordert Kaiser auch die Entwicklung eines „Blocks der alternativen Rechten” und die Ermächtigung des Nationalen durch eine anti-globalistische Theorie und Praxis.

Die einen warnen vor einer „Abschaffung des Menschen”, vor Transhumanismus, vor einer neuen sozialistischen Weltpolitik und davor, dass Menschen bald nichts mehr besitzen dürften. Andere nutzen diese Stimmung, um organisierte Zusammenarbeit mit Rechtsextremen  zu legitimieren. Auch wenn die Argumente und Erklärungen absurd erscheinen, ist der „Great Reset” in den Medien, bei Rechtsextremen und Politiker:innen im Bundestag angekommen und wird benutzt, um gezielt gegen demokratische Parteien eine demokratische Zivilgesellschaft zu hetzen.

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