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1. Mai in Berlin „Intifada ist unser Klassenkampf“

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Ein Plakat war sichtbar, dass sich gegen Antisemitismus aussprach. (Quelle: KA)

Rund 14.000Teilnehmende besuchten die diesjährige „Revolutionäre 1. Mai Demonstration“ in Berlin. Ab 16:30 Uhr trafen sie sich am Neuköllner Hertzbergplatz. Um 18 Uhr setze sich der Demonstrationszug in Bewegung Richtung Kreuzberg. Es war die friedlichste 1. Mai „seit Jahrzehnten“ twitterte die Polizei noch am späten Abend, obwohl es auf dem Oranienplatz in Kreuzberg noch zu Gewalt kam, wobei ein Journalist durch einen Beamten offenbar schwer verletzt wurde.  

„Intifada ist unser Klassenkampf“

Wie schon im vorigen Jahr sollte es eine revolutionäre 1. Mai-Demonstration geben, die nicht nur im Zeichen der Arbeit steht, sondern auch migrantische Kämpfe abbildet. Eine Entscheidung, die wichtig und gut ist. Denn migrantische Selbstorganisation muss gestärkt und sichtbar gemacht werden. Doch enttäuschenderweise bedeutete das auch, dass wieder einmal offener Antisemitismus und Israelfeindschaft auf einer linken Demonstration Platz bekamen und toleriert wurden. 

Am Sonntag stellte ein Pro-Palästina-Block die Spitze der Demonstration. Mit dabei war auch „Palästina spricht“, ein BDS-naher Verein. Im Vorfeld der 1. Mai-Demonstration veröffentlichte der Verein ein Statement mit dem Aufruf „Intifada ist unser Klassenkampf“. Darin wird der „zionistische Kapitalismus in Palästina“ als Teil „eines globalen Systems von Herrschaft und Unterdrückung“ gedeutet. In dieser Logik wird der zu bekämpfende Kapitalismus antisemitisch mit dem Zionismus verknüpft, erklärt das Jüdische Forum. Hingegen wird der gewaltsame Widerstand gegen das israelische Militär und auch Terror gegen die Zivilbevölkerung – die Intifada – als „linker Klassenkampf“ verklärt. „Palästina spricht“, behauptet wiederum in einem Statement auf Instagram, dies sei eine „böswillige Fehlinterpretation und NS-Relativierung“. 

Während der ersten Intifada (1987-1991) wurden 160 Israelis ermordet, während der zweiten Intifada (2000-2005) mehr als eintausend. Über 20.000 Anschläge, darunter über hundert Selbstmordattentate, zählen hierzu. Wer so etwas skandiert, billigt nicht nur Terror: Auch tausende Palästinenser:innen starben während den Intifadas und den Militäraktionen, mit denen Israel auf die Anschläge reagierte.

Bereits Tage zuvor gab es Kritik an diesem BDS-nahen Bündnispartner der Demonstration, nachdem es nur eine Woche zuvor auf einer von „Palästina spricht“ organisierten Veranstaltung in Berlin zu antisemitischen Angriffen auf Journalist:innen gekommen war. Teilnehmende beleidigten sie unter anderem als „Drecksjuden“ und „Zionisten“.

Gewaltsame Übergriffe und Anfeindungen aus diesem Block gegen Medienvertreter:innen gab es am Sonntag glücklicherweise nicht. Dafür waren aus ihren Reihen antisemitische und israelfeindliche Parolen zu hören. So wurde immer wieder zur „Intifada“ aufgerufen.

In einem weiteren Block der „Revolutionären 1. Mai Demonstration“ wurde eine Fahne der PFLP-nahen Gruppe „Samidoun“ geschwenkt. Bei „Samidoun“ handelt es sich um eine Vorfeldorganisation der von der EU als Terrororganisation geführten PFLP („Volksfront zur Befreiung Palästinas“). Im März 2021 wurde die Gruppe von der israelischen Regierung als Terrororganisation eingestuft. Ein Transparent forderte zudem die Freilassung von George Abdallah, einem kommunistischen Aktivisten, der als Anführer der libanesischen „Revolutionären bewaffneten Fraktion” (LARF) gilt. 1987 wurde er wegen Beihilfe zum Mord an einem israelischen Diplomaten zu lebenslanger Haft verurteilt und sitzt seither in Frankreich im Gefängnis.

Ein konsequenter Antirassismus bedeutet auch gegen jeden Antisemitismus einzustehen

Die Sichtbarmachung migrantischer Communitys in einer sich als links definierenden Szene ist wichtig und überfällig. Dazu gehört natürlich auch die Anerkennung direkter Kriegs- und Fluchterfahrungen in Teilen der palästinensisch-deutschen Bevölkerung, ebenso wie die Anerkennung ihrer Erfahrungen mit strukturellem Rassismus und Muslimfeindlichkeit. Doch wenn es den Bündnispartner:innen der Demonstration in erster Linie nur um die palästinensische Sache geht, und diese mit israelfeindlichen Botschaften gespickt ist, kreiert man einen Raum, der für Jüd:innen nicht sicher ist. Eigentlich ein No-Go auf einer emanzipatorisch ausgerichteten Demonstration.

Antizionistische Jüd:innen sind auf israelfeindlichen Demos gerne gesehen

Wenn  der Kampf einiger Palästinenser:innen mit einem generellen antirassistischen Kampf gleichgesetzt wird und dann noch offene Israel-Feindschaft toleriert wird, während Bekenntnisse, dass man uneingeschränkt für den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland einsteht, fehlen, dann hat man es nicht mit konsequentem Antirassismus zu tun. In dieser Form von Solidarität für Betroffene rechter Gewalt und Diskriminierung werden Jüd:innen einfach nicht mitgedacht. So wird eklatanter Antisemitismus ausgeblendet und Antizionismus als Antirassismus umgedeutet. Ein konsequenter Antirassismus muss aber auch gegen jeden Antisemitismus einstehen.

Solidarität ja, für alle – und auch für Jüd:innen – Antisemitismus, nein. Und eines müsste doch wohl allen klar sein: Die Berliner Linke wird den „Nahostkonflikt“ nicht lösen können. 

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