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10 Days of Darkness QAnon sieht im Facebook-Ausfall den „Tag X“

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Komplettausfall: Für sechs Stunden waren Facebook, WhatsApp und Instagram nicht erreichbar.
Komplettausfall: Für sechs Stunden waren Facebook, WhatsApp und Instagram nicht erreichbar. (Quelle: Brett Jordan/Unsplash)

Nach dem globalen Facebook-Ausfall am gestrigen Abend brach in der Verschwörungsblase eine regelrechte Massenhysterie aus: Auf Twitter trendete der Hashtag #GreatReset – eine Verschwörungserzählung, die behauptet, „Eliten“ hätten die Covid-Pandemie geplant, um eine Gesundheitsdiktatur mit neuer Weltordnung zu errichten. Verschwörungsgläubige sahen in der technischen Panne des Social-Media-Riesens den Beginn dieses diabolischen Plans. In der QAnon-Szene wurde gejubelt, weil die langersehnten „10 Days of Darkness“ endlich loszugehen schienen: Diese Zeit soll laut Q-Anhänger:innen zwar mit Bürgerkrieg, Stromausfällen, inländischen Militäreinsätzen und vielen Toten beginnen, danach komme aber eine goldene Zeit, die sie als „Great Awakening“ bezeichnen.

Wie so oft war die Realität erheblich unspektakulärer: Statt zehn Tagen Dunkelheit waren Facebook, Instagram und WhatsApp lediglich für sechs Stunden nicht erreichbar, offenbar aufgrund eines Fehlers bei den Netzwerk-Einstellungen. Mehrere Medien berichten, dass der Fehler auf Probleme mit DNS-Routing und dem sogenannten „Border Gateway Protocol“ (BGP) zurückzuführen sei. Einfach formuliert: Internetdienstleister konnten nicht mehr sehen, welche IP-Adressen hinter Facebooks Domänennamen-Server (auch DNS genannt) stehen, weil die DNS-Einträge verschwunden waren. Konkret bedeutet das, dass Computer nicht wussten, welche Server sie zum Beispiel mit facebook.com oder instagram.com abrufen sollen. Der bisher größte Ausfall des Unternehmens kostete Facebook laut Marktforschungsinstituten rund 60 Millionen US-Dollar. Milliarden Nutzer:innen waren vom Komplettausfall betroffen – und viele loggten sich auf Twitter ein oder öffnete Telegram, um wilde Verschwörungserzählungen um den Ausfall zu streuen.

In der QAnon-Blase herrschte Endzeitstimmung. Nichts Geringeres als der ultimative Kampf zwischen Gut und Böse stünde bevor, wo „Eliten“ in Tribunalen endlich zur Rechenschaft gezogen würden. „Q“, ein vermeintlicher Regierungsinsider in den USA, der seit 2017 in kryptischen Imageboard-Posts „Enthüllungen“ unter anderem über einen satanischen Pädophilenring veröffentlicht und den Endsieg Donald Trumps gegen den ominösen „Deep State“ prophezeit, schrieb bereits 2017 von „zehn Tagen der Dunkelheit“. Oder, genauer gesagt, von „Darnkess“ – mit Tippfehler. 2018 warnte Q vor einem kommenden „Red October“. Dass bislang in keinem Oktober etwas Bedeutendes passierte, was Qs wirren Vorhersagen entsprach, war zweitrangig: Jedes kleinste Ereignis wurde als Indiz genommen, dass der Showdown endlich anfangen würde. Ebenfalls 2018 schrieb das Verschwörungsorakel Q: „Boom. Boom. Boom. Boom. A week to remember. Dark to light. Blackout necessary.“ Vier Jahre später werden solche Hinweise von der Q-Community neu interpretiert: Er habe damit eigentlich Facebook gemeint – und der große Umsturz, in der Szene „Storm“ genannt, stehe endlich an.

„Dann ist heute tatsächlich der Tag X“, schreibt etwa Ludwig in der knapp 25.000 Mitglieder starken Telegram-Gruppe „Q-ANONS“. „Endlich“, fügt er hinzu. Der Telegram-Kanal „Das Große Erwachen 2020“ mit rund 30.000 Abonnent:innen jubelte, dass Facebook, Instagram und WhatsApp, allesamt „Deep State“, offline sind. „Glaubt ihr an Zufälle“, ergänzte der Große-Erwachen-Admin. Denn der Facebook-Ausfall bedeute: „10 Tage Dunkelheit und Übernahme vom Militär in Deutschland“ – dazu vier Party-Emojis. Auch der Telegram-Kanal „TOPNEWS AUSTRIA“ proklamierte etwas aufgeregt: „DIE BEFREIUNG STARTET!! TOTALAUSFALL DER DEEEPSTAATE“ (Fehler im Original). Der „Blackout“ soll dem Kanal zufolge mindestens 10 Tage dauern. Auch die „Querdenken“-Influencerin Eva Rosen teilte den Beitrag.

Doch nicht alle im Q-Universum waren in Partystimmung. So schrieb der Kanal „fuf media – Freiheit denken“ an seine mehr als 100.000 Abonnent:innen: „Bitte bleibt ruhig. Wir wussten, dass der Tag kommen wird…Seid ab jetzt für diejenigen da, die es schwer haben werden“. Wer diese Menschen genau sind, erwähnte er nicht. Sollte auch Telegram offline gehen, wollte der Admin gegenüber seiner Anhängerschaft betonen: „Es war mir eine Ehre mit euch und wir sehen uns auf der anderen Seite wieder…“ Der Telegram-Kanal „Coldwellian Times“ warnte seine knapp 12.000 Follower:innen: „Achtung: Löscht sofort Facebook Instagram und WhatsApp“. Wie das erfolgen soll, wenn die Dienste offline sind, verriet der selbsternannte Wunderheiler Coldwell nicht. Der Ausfall sei eine „getäuschte Taktik, damit Facebook in jeder Applikation einen speziellen Code einbaut der dafür sorgt, dass alle Daten die mit Impfungen und mit Corona zu tun haben gelöscht werden.“ Ein neuer „SCHUFA-Wert“ werde eingetragen, so Coldwell, der sich danach richte, ob Nutzer:innen geimpft seien oder nicht. Nicht-Geimpfte würden dann ihre Häuser nicht mehr verlassen oder ein Bankkonto eröffnen können.

Ein weiteres Verschwörungsnarrativ um die Facebook-Panne lautet, dass hinter dem Ausfall eigentlich Hacker:innen stünden, die die Daten von über 1,5 Milliarden Nutzer:innen erbeutet hätten und nun verkaufen wollten. Auch der russische Desinformationssender RT verbreitete gestern die Meldung, allerdings ohne konkreten Bezug auf den Facebook-Ausfall. Das rechtsextreme Compact-Magazin um Jürgen Elsässer teilte auf Telegram ein Meme mit der Aufschrift: „Die Pandemie funktioniert nicht mehr, beginnt mit den Cyber-Attacken“. Einen externen Angriff hat Facebook bereits ausgeschlossen. Ähnlich sieht es Cyber-Expert:innen: „Nichts, was wir in Bezug auf den Ausfall von Facebook-Diensten gesehen haben, deutet auf einen Angriff hin“, sagte etwa Matthew Prince, CEO des Internet-Infrastruktur-Dienstleisters „Cloudflare“. Im Darknet behaupten zwar Verkäufer:innen, die Daten von 1,5 Milliarden Facebook-User:innen zu besitzen, die Daten stehen aber in keiner Verbindung mit dem Ausfall von Facebook-Diensten und es gibt große Zweifel an der Echtheit des Angebots (siehe Der Standard).

Zum gestrigen Facebook-Ausfall lieferte auch Donald Trump Jr. seine eigene steile These. Auf Twitter schrieb der Sohn des Ex-Präsidenten: Es sei seltsam, dass Facebook und seine anderen Unternehmen völlig außer Betrieb seien, nur Stunden, nachdem eine Whistleblowerin den Tech-Riesen als „Verrat an der Demokratie“ bezeichnet habe, so Trump Jr. „Ich bin sicher, das ist nur ein Zufall“. Am Vortag hatte Frances Haugen, eine ehemalige Facebook-Mitarbeiterin und Whistleblowerin, in einem ausführlichen Interview mit CBS über das Unternehmen ausgepackt (siehe Spiegel). Haugen steht hinter den „Facebook Files“-Leaks, die die schädliche Wirkung von Facebook auf die Gesellschaft enthüllten – vom psychologischen Einfluss von Instagram auf vor allem junge Nutzerinnen bis hin zur Rolle der Plattform im sogenannten „Sturm auf das Kapitol“ im Januar 2021 (siehe Belltower.News).

Nur sechs Stunden waren Facebook und Co. offline. Ein kleines Zeitfenster, das allerdings in der aufgeheizten Verschwörungsblase für laute „Tag X“-Träume und Bürgerkriegsfantasien vollkommen ausreichte. Der Ausfall zeigt: Viele Gläubige warten weiterhin auf den kommenden „Sturm“. Und wenn er nicht wie erwartet eintritt, könnten sie es selbst in die Hand nehmen.

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