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Alte Argumente im neuen Gewand Eine kurze Geschichte der Impfkritik

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Eine impfgegnerische Karikatur aus dem Jahr 1802: Nach einer Pockenimpfung werden Menschen zu Kuhen
Eine impfgegnerische Karikatur aus dem Jahr 1802: Nach einer Pockenimpfung werden Menschen zu Kühen (Quelle: lizenzfrei)

1721 wurden während der Pockenepidemie in Boston zum ersten Mal in Nordamerika Impfungen eingesetzt. Der berühmte puritanische Geistliche Cotton Mather spricht sich dafür aus. Impfgegner*innen verüben einen Attentat auf Mather, das scheitert, weil die Bombe nicht explodiert. Zusammen mit der Bombe erhielt er die Botschaft: „Cotton Mather, verdammt seist Du, Du Hund; ich inokuliere Dich hiermit, mit einer Pocke für Dich.“

Bei den Impfgegner*innen aus Boston herrschen unterschiedliche Meinungen, einige glauben entweder erst gar nicht an die Impfung, darunter viele Ärzte, wie Mathers Widersacher Dr. William Douglas, oder wollen nicht in die göttliche Fügung eingreifen, indem jemand vor dem Tod bewahrt wird, der ohne Impfung an den Pocken gestorben wäre (vgl. Harvard University).

Anti-Impf-Promis

Damals wie heute: Impfgegner*innen erhalten immer wieder Unterstützung von Prominenten. In Deutschland sind aktuell die bekanntesten Beispiele dafür ohnehin bereits Teil des radikalisierten „Querdenken“-Milieus: die Sänger Xavier Naidoo und Michael Wendler oder der Vegankoch Attila Hildmann. In den USA sprechen sich die Schauspieler*innen Jenny McCarthy, Jim Carrey und Robert DeNiro gegen Impfungen aus. Auch das ist nicht neu. Praktisch seit es Impfungen gibt, gibt es auch prominente Gegner*innen — fast alle von ihnen medizinische Laien.

Immanuel Kant, zum Beispiel, immerhin einer der Väter der Aufklärung, bezweifelte 1796 die Ungefährlichkeit des Pockenimpfstoffs, später bemüht auch er die Vorsehung, denn die habe „Krieg und Kinderpocken (und zwar absichtlich) gewollt“, um eine Überbevölkerung zu vermeiden. Im Lauf seines Lebens änderte Kant allerdings seine Meinung und unterstützte Impfkampagnen.

In Großbritannien war der Literaturnobelpreisträger George Bernhard Shaw ein lauter Kritiker, der Impfungen als „Hexenwerk“ bezeichnete und nicht an ihre Wirkung glaubte. In Indien galt die Pockenimpfung zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Versuch der britischen Kolonialherren, die indische Bevölkerung zu vergiften. Mahatma Gandhi nannte 1921 Impfungen „barbarisch“ und glaubte vielmehr, dass die Pocken, „genau wie andere Krankheiten“, durch verunreinigtes Blut durch Verdauungsstörungen enständen.

Alte Argumente im neuen Gewand

Ein zentrales Argument von Impfgegner*innen ist, dass durch Impfungen andere Krankheiten, manchmal viel schlimmere als die, die durch die Impfung verhindert werden, auftreten. Laut der Legende der Impfgegner*innen wird durch die kombinierte Masern-Mumps-Röteln-Impfung (MMR) Autismus bei Kindern ausgelöst. Beweise dafür gibt es nicht, die Erzählung hält sich aber weiterhin. Auch dabei handelt es sich um ein Argument, das es schon seit Anbeginn der Impfungen gibt. Der Pockenimpfung wurde nachgesagt, sie löse die Geschlechtskrankheit Syphilis aus. Womöglich ist ein Grund dafür, dass Syphilis im Volksmund oft als „Pocken“ bezeichnet wurde (vgl. Robert Koch Institut).

Die MMR-Impfung ruft aber auch wieder religiöse Impfgegner*innen aufs Parkett. Dabei geht es diesmal nicht abstrakt um die Vorsehung, sondern ganz praktisch um die Inhaltsstoffe. Teile des Impfstoffes gehen auf fötales Gewebe zurück, das bei der Entwicklung genutzt wurde und seitdem immer wieder verwendet wird: ein Problem für unterschiedliche religiöse Gruppen (vgl. Cureus Journal of Medical Science).

1874 führte Reichskanzler Otto von Bismarck die Impflicht in Deutschland ein und schaffte es so, Pocken stark zurückzudrängen. Die Krankheit war hochansteckend und galt als extrem gefährlich. Immer wieder kam es zu Epidemien. In Deutschland starb noch im 19. Jahrhundert jedes fünfte Kind an der Krankheit. Diejenigen, die überlebten trugen zum Teil schmerzhafte und entstellende Narben am ganzen Körper davon. Trotzdem wurde die Impflicht in Teilen der Bevölkerung abgelehnt, die Gründe damals ähneln denen heute.

Neben Angst vor anderen Krankheiten oder Religion ging es auch immer wieder um das Recht der körperlichen Unversehrtheit, dass Kritiker*innen durch Zwangsimpfungen oder Impfungen im allgemeinen in Gefahr sahen. Die Ablehnung der Impflicht spiegelt sich auch in Petitionen wieder, die sich gegen das Gesetz richteten. Schon 1872 wurde die erste impfkritische Petition eingereicht, 1877 waren es 21 Petitionen mit 30.000 Unterschriften, 1891 sogar 2951 Petitionen mit 90.661 Unterschriften.

Organisierte Wissenschaftsfeindlichkeit

Die ersten Organisation von Impfgegner*innen gründeten sich in Deutschland 1869 in Leipzig und Stuttgart, 1874 gründete sich in Hamburg ein Anti-Impf-Verein. Vor allem in Deutschland, den USA und Großbritannien hatten Impfgegner*innen Einfluss und sorgten dafür, dass die Ausrottung von Krankheiten behindert wurde. In Großbritannien befasst sich 1854 eine staatliche Enquete-Kommission mit den angeblichen Gefahren der Pockenimpfung und gab dabei sogar ein impfkritisches „Blaubuch der Vakzination“ heraus. 1885 wurde nach einer Großdemonstration in Leicester mit 100.000 Teilnehmenden eine neue Kommission eingesetzt, die sieben Jahre lang Vor- und Nachteile der Pockenimpfung untersuchte und schließlich doch nur zum Schluss kam, dass die Impfung vor der Krankheit schützt.

Auch die Warnungen der Impfgegner*innen vor gefährlichen Inhaltsstoffen in Impfungen, die den Körper verändern, sind keineswegs neu. In Zeiten der Covid-19-Pandemie geht es dabei um mRNA-Impfstoffe, die angeblich die DNA verändern und zu Unfruchtbarkeit oder gleiche Krankheit und Tod führen sollen. Beweise dafür: keine.

Nachdem der englische Landarzt William Jenner 1796 die moderne Pockenimpfung etablierte, hatten Impfgegner*innen Angst vor einer „Vertierung“. Jenner hatte seine Impfungen aus Kuhpocken entwickelt. Zeitgenössische Karikaturen zeigen geimpfte Menschen, denen Hörner oder Euter wachsen. Und auch esoterisch angehauchte Behauptungen gibt es schon lange. Während heute „Querdenker*innen“ und andere Impfkritiker*innen Covid mit Knoblauchtee, „feinstofflichem Dialog“ oder Zucker in Form von Globuli heilen wollen, stand für die Impfgegner*innen des 19. Jahrhunderts genauso realitätsfern fest: „Die Ursache der Erkrankung ist in der persönlichen Erkrankungsfähigkeit oder Anlage jedes Einzelnen zu suchen (vgl. Der Standard)“.

Antisemitismus: Damals wie heute

Auf den Demonstrationen der „Querdenken“-Bewegung tragen Teilnehmende nicht selten einen „Judenstern“ mit der Aufschrift „ungeimpft“. Damit relativieren sie nicht nur den Holocaust und den Nationalsozialismus, sondern sie begeben sich in eine Opferrolle und wollen sich selbst als „neue Juden“ darstellen, die von einem angeblich unmenschlichen System unterdrückt werden. Eine Anti-Corona-Demonstrantin in Wien skandierte dann auch „Wir sind die Juden“, „weil man damals auf die losgegangen ist und jetzt geht man auf Bürger los, wie zum Beispiel mich.“

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Daneben herrscht struktureller Antisemitismus: Das bedeutet, dass antisemitische Denkmuster, die sich seit Jahrhunderten in westlichen Gesellschaften tradiert haben, auf die aktuelle Situation angewendet werden. Es müsse einen Schuldigen am eigenen Dilemma geben. Es geht aber auch direkter. Ein Teilnehmer einer „Hygienedemo“ in Berlin erzählte einem Reporter, dass der eigentliche Plan hinter der Corona-Pandemie sei, eine Weltregierung zu etablieren, „zur Unterdrückung aller freien Völker“. Auf die Frage, wer diese „Weltregierung“ plant, antwortet der Mann: „Ja, wer denn? Die Juden! Wer denn sonst? Idiot!“ (vgl. NDR).

Impfen und Nationalsozialismus

Eine ganz ähnliche Erzählung gab es schon mehr als hundert Jahre zuvor. 1891 veröffentlicht Eugen Dühring, einer der einflussreichsten Vordenker des Nationalsozialismus, sein Buch „Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage“. Dühring behauptet, jüdische Ärzte hätten das Impfen erfunden, um sich zu bereichern. Im Nationalsozialismus wird die Impflicht schließlich auch gelockert. Das wird zum Teil auf den Glauben an Naturheilkunde zurückgeführt, dem einige führende Nationalsozialisten wie Rudolf Heß und Heinrich Himmler anhingen, ein bedeutenderer Grund dürfte aber im Antisemitismus liegen.

Der „Deutsche Impfgegner-Ärztebund“ behauptet 1934, Bismarcks Impfgesetz sei vor allem von „jüdischen Abgeordneten“ erarbeitet worden. Ein Aufruf eines Verbandes von Impfgegner*innen aus Wilhelmshaven bezieht sich auf die „Protokolle der Weisen von Zion“, ein antisemitisches Pamphlet von 1903, das bereits 1921 als Fälschung enttarnt wurde und in dem eine angebliche „jüdische Weltverschwörung“ behauptet wird. Die Impfgegner*innen behaupteten, dass die Menschheit durch „Einimpfen von Krankheiten“ der „jüdischen Geldherrschaft unterworfen“ werden solle (vgl. MDR).

Die Legende, dass Impfungen eigentlich schädlich, also Gift für den Körper seien, passt perfekt in die antisemitische NS-Ideologie. Julius Streicher, Gründer und Herausgeber des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer, bezeichnete Impfungen als „Gift für Körper und Rasse“. Juden und Jüd*innen hätten Impfungen erfunden, um das Erbgut der Menschheit zu vergiften (vgl. NS-Archiv).

International gut vernetzt

Impfgegner*innen und ihre Organisationen waren, fast seit es sie gibt, gut international vernetzt. Über Newsletter und Zeitschriften blieb man in Kontakt und auf dem Laufenden der Diskussion in anderen Ländern. Internet und soziale Medien haben diese Vernetzung begünstigt und erweitert. Eine Studie des britischen „Centre for Countering Digital Hate“ belegt, dass die Zahl der englischsprachigen Social-Media-Accounts von Impfgegner*innen 2019 um 7,8 Millionen gestiegen ist. 31 Millionen User*innen folgen Impfgegner-Gruppen auf Facebook, 17 Millionen entsprechenden Kanälen auf YouTube (vgl. Centre for Countering Digital Hate). Auf der Plattform werden Anti-Impf-Filme mit Untertiteln ausgestattet und auf der ganzen Welt von Millionen Menschen gesehen.

Unter der Covid-19-Pandemie sind nun weltweit Impfgegner*innen vereinigt. In Deutschland sind sie Teil der „Querdenken“-Bewegung und anderer Gruppierungen, die sich gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie richten. Ein zentrales Element ist dabei immer eine angebliche Impflicht. Die „Querdenken“-Bewegung hat die Angst vor dem Impfen schon geschürt, lange bevor ein Impfstoff überhaupt entwickelt war. International zeigt sich dabei auch, dass die extreme und radikale Rechte versucht, diese Proteste für sich zu nutzen. Das ist nicht besonders schwer: Am Beispiel von „Querdenken“ und den Corona-Protesten in Deutschland und Österreich zeigt sich, dass die Bewegung rechtsoffen ist und sich nicht von Antisemitismus und Verschwörungserzählungen distanziert.

Bekannte Vertreter*innen der rechtsextremen Szene, darunter Holocaustleugner*innen und Neonazis, aber auch Kader der rechtsextremen „Identitäten Bewegung“, wie der Österreicher Martin Selber, tingeln zu den unterschiedlichen Veranstaltungen in Deutschland und Österreich. Sellner beschreibt die Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen als potentiell offen für rechtsradikale Politik.

Ein anderes Beispiel für gute internationale Zusammenarbeit ist das „Netzwerk Impfentscheid Deutschland“, dass sich gegen die Corona-Impfungen ausspricht. Dabei handelt es sich um den Ableger eines Schweizer Netzwerks gleichen Namens, das laut Recherchen der taz von der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) unterstützt wird. Die Partei unterstützt auch eine „Stopp Impfpflicht“-Volksinitiative, die verhindern soll, dass Nicht-Geimpfte Nachteile in Kauf nehmen müssen. Im Komitee der Initiative sitzt Daniel Trappitsch vom „Netzwerk Impfentscheid“. Auf ihrer Website mobilisiert die Initiative auch für Veranstaltungen und Demonstrationen aus dem „Querdenken“-Milieu.

Von „Querdenken“ zu „Q“

Auch „Q“ hat inzwischen viel Verbreitung in Deutschland gefunden. „Q“ oder „QAnon“, angeblich ein Vertrauter des damaligen US-Präsidenten Trump, bekämpfe den „tiefen Staat“, so die Q-Gläubigen, die die mysteriösen Botschaften, die „Q“ auf Imageboards hinterlässt, wie religiöse Texte lesen. Teil der großen Verschwörung sind Politiker*innen, Hollywood-Schauspieler*innen und vermeintliche „Eliten“, die sich mit Hilfe der Hormone entführter Kinder, „Adrenochrom“, ewig jung halten – eine Geschichte, die sehr stark an antisemitische Erzählungen erinnert.

Die „QAnon“-Verschwörung mag absurd klingen, aber sie hat in den letzten Jahren hunderttausende Anhänger*innen gefunden, auch in Deutschland. Die britische NGO „Hope not Hate“ beschreibt in einem Report, wie sich die Abonnent*innenzahl einer deutschsprachigen „Q“-Gruppe auf dem Messengerdienst Telegram innerhalb von zehn Monaten im Jahr 2020 vervierfacht hat (vg. Hope not Hate). „QAnon“ ist flexibel und passt zu vielen bereits etablierten Verschwörungserzählungen, die innerhalb der „Querdenken“-Bewegung und der anderen verwandten Protestgruppen kursieren. Es wundert also kaum, dass auch „QAnon“ und seine Jünger*innen vor angeblich bevorstehenden Zwangsimpfungen oder Impfungen generell warnen.


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Im April 2021 beschäfigt sich Belltower.News vertieft mit dem Thema Impflügen. Im Schwerpunkt sind erschienen:

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