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Verschwörungsideologien Die antisemitische Tradition der Impfgegnerschaft

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Die „neuen Juden“: Teilnehmer einer „Hygiene-Demo“ in Berlin trägt einen gelben „Judenstern“
Die „neuen Juden“: Teilnehmer einer „Hygiene-Demo“ in Berlin trägt einen gelben „Judenstern“ (Quelle: Kira Ayyadi)

In der Covid-19-Pandemie haben antisemitische Verschwörungserzählungen Konjunktur: „Plandemie“, „Zwangsimpfung“, „Weltkontrolle“ – so lautet ungefähr das übliche Narrativ, nach dem „die Juden“ mit dem Virus die Weltherrschaft erlangen und/oder sich am Impfstoff bereichern wollen würden. Gleichzeitig wird auf Demonstrationen gegen die Hygienemaßnahmen der Regierung ein „Impfholocaust“ imaginiert, die Protestler*innen tragen gelbe Sterne mit dem Schriftzug „ungeimpft“ und inszenieren sich als die „neuen Juden“. Angela Merkel sei Hitler, der Virologe Drosten sei wie der KZ-Arzt Mengele: so wird der Nationalsozialismus verharmlost. Hinter Impfgegnerschaft stecken nicht selten antisemitische Ressentiments – und das hat eine lange Tradition.

Seit dem Start der Impfkampagne gegen Sars-CoV-2 Ende Dezember 2020 ist in Deutschland die Impfbereitschaft der Bevölkerung leicht gestiegen: Laut einer Umfrage im Auftrag der dpa gaben 67 Prozent der Befragten an, dass sie sich impfen lassen wollen – 40 Prozent sogar so schnell wie möglich. Im Dezember 2020 wollten nur 32 Prozent der Befragten sich sofort impfen, weitere 33 Prozent erst später, weil sie noch mögliche Folgen der Impfung abwarten wollen. Auch eine Umfrage des ARD-DeutschlandTrends im Januar 2021 zeigt einen Anstieg: Ende Januar sagten 54 Prozent, dass sie sich auf jeden Fall gegen das Coronavirus impfen wollen, 17 Prozentpunkte mehr als im November 2020.

Doch Impfgegnerschaft bleibt hartnäckig: Zwischen zwölf und 20 Prozent der Bevölkerung lehnen unterschiedlichen Studien zufolge eine Impfung weiterhin ab. In esoterischen und anthroposophischen Kreisen ist eine Impfskepsis häufig anzutreffen, denn viele Krankheiten seien „entwicklungsfördend“ und Impfstoffe „unnatürlich“. In verschwörungsideologischen Kreisen wird das Impfen vehement abgelehnt: Stattdessen wird von dunklen Mächten, geheimen Plänen und Herrschaftsambitionen schwadroniert – der übliche Kanon antisemitischer Mythen.

Mehr als 200 Jahre Impfgegnertum

Seit es Impfungen gibt, gibt es auch Impfgegner*innen. Das ist einer der Gründe, warum es fast 200 Jahre von der Erfindung der ersten Pockenimpfung 1796 bis zur Eliminierung der Krankheit 1980 dauerte. Die erste Impfpflicht in Deutschland wurde 1874 zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs mit dem Reichsimpfgesetz eingeführt. Während der Pocken-Epidemie von 1870 bis 1873 starben mehr als ein Drittel der 400.000 Erkrankten. Viele Überlebenden wurden blind oder taub, litten an Hirnschäden oder Lähmungen, oder mussten mit vielen Narben leben von den blutgefüllten und eiternden Pusteln, die die Krankheit auslöst. Die autoritäre Lösung damals: Zwangsimpfung aller Kinder. Mit drei Tagen Gefängnis oder bis zu 50 Mark Geldstrafe mussten Impfgegner*innen damals rechnen. Bis 1897 wurden fast 90 Prozent aller Kinder gegen die Pocken geimpft. Da ist es nicht ohne Ironie, dass heute viele Reichsbürger*innen und Rechtsextreme, die sich gegen das Impfen positionieren, im Januar 2021 150 Jahre Reichsgründung eifrig feierten.

Aber auch das Impfprogramm des späten 19. Jahrhunderts wurde nicht ohne Gegenwind eingeführt: Aus den Reihen der naturheilkundlichen „Alternativmedizin“ ließen sich damals viele für den Kampf gegen das Impfen rekrutieren. Auch bekennende und organisierte Antisemit*innen waren ein wichtiger Teil der impfkritischen Bewegung. Paul Förster, ab 1899 Vorsitzender des „Deutschen Bundes der Impfgegner“, wirkte an einer „Antisemitenpetition“ mit, um die kurz zuvor gewährte rechtliche Gleichstellung von Jüdinnen und Juden wieder aufzuheben. Förster saß auch für die antisemitische „Deutschsoziale Partei“ im Reichstag. Impfgegnerische Vereinigungen konnten damals viele Mitstreiter*innen mobilisieren: So verzeichnete der „Reichsverband zur Bekämpfung der Impfung“ 1914 rund 300.000 Mitglieder.

Die Vorarbeit der Bewegung leistete unter anderem Eugen Dühring, ein Philosoph, Nationalökonom und einer der einflussreichsten Antisemiten des Wilhelminischen Kaiserreichs, der 1881 die pseudowissenschaftliche Kampfschrift „Die Judenfrage als Racen-, Sitten, und Culturfrage“ veröffentlichte. Das antisemitische Buch kritisierte das Impfen als „Aberglauben“, als eine Erfindung jüdischer Ärzt*innen, die sich mit Impfstoffen nicht nur bereichern, sondern auch das „deutsche Blut“ verunreinigen wollten. Auch die antisemitische Zeitschrift Der Hammer, erschienen im einflussreichen Verlag des völkischen Publizisten und Politikers Theodor Fritsch, behauptete 1911, die Impfung von Nichtjuden diene dazu, „unser Blut zu verderben und unsere Rasse zu vernichten“, während jüdische Mütter angeblich ihre Kinder nicht impfen würden.

Solche Ideen knüpften am damals entstehenden Begriff der „Schulmedizin“ an, der erstmals 1876 vom deutschen Homöopathen Franz Fischer verwendet wurde, um evidenzbasierte Behandlungen zu diskreditieren und stigmatisieren. In den folgenden Jahrzehnten wurde „die Schulmedizin“ – zu der auch das Impfen gehört – häufig als Kampfbegriff für eine vermeintlich „jüdisch-marxistische“ Wissenschaft benutzt, die nur von „Reduktionismus“ und „Technizismus“ geprägt sei – statt sich für „gute alte deutsche“ Volks- und Naturheilverfahren zu interessieren.

Impfen als „verjudete Schulmedizin“

Im Nationalsozialismus wurde die „verjudete Schulmedizin“ zum Modebegriff des Regimes: Der Reichsärzteführer Gerhard Wagner setzte sich 1933 im Deutschen Ärzteblatt für eine „Neue deutsche Heilkunde“ ein, die der „Schulmedizin“ überlegen sei. Auch Rudolf Heß und Heinrich Himmler lehnten Impfungen ab. Im Regimeblatt Der Stürmer wurden antisemitische Karikaturen gedruckt, in denen beispielsweise ein jüdischer Arzt ein blondes, „arisches“ Kind mit Gift impft. Zunächst lockerten die Nationalsozialist*innen in den 1930er-Jahren das Reichsimpfgesetz, bevor es im Zweiten Weltkrieg komplett ausgesetzt wurde. Pharmakonzerne konnten dennoch ein freiwilliges Impfprogramm gegen Diphtherie einführen.

In der Nachkriegszeit verloren Impfgegner*innen an Einfluss: Denn Impfen wirkt und gegen immer mehr tödliche Krankheiten wurden effektive Impfstoffe entwickelt. Menschen sterben in der Regel nicht so gerne. Doch eine gewisse Skepsis ist gesund und manche Kritikpunkte an großen Pharma-Unternehmen sind durchaus berechtigt, wie der Contergan-Skandal Anfang der 1960er Jahre schmerzlich zeigte. Spätestens seit den 1990er-Jahren erlebt die Impfgegnerschaft weltweit einen Boom. Dazu trug ein mehrfach widerlegter und diskreditierter Beitrag des britischen Arztes Andrew Wakefield in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lancet über die vermeintlichen Verbindungen zwischen dem MMR-Impfstoff und Autismus wesentlich bei.

Doch es gibt auch eine Kontinuität: Impfgegnerschaft geht häufig Hand in Hand mit Verschwörungsideologien – und nicht erst seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie. Dass die Impfgegner*innen von heute ihren Antisemitismus so öffentlich und unverschämt zur Schau stellen ist kein Zufall. Er reiht sich in eine lange Tradition der antisemitischen Impfgegnerschaft seit den 1880er-Jahren ein. Und dagegen gibt es noch kein Heilmittel.


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