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Berlin 2017 Altbekannte Akteure und neue Auseinandersetzungen

Graffiti in Berlin-Neukölln: Hier gibt es eine massive Anschlags- und Bedrohungsserie von Rechtsextremen gegen Engagierte - bisher unaufgeklärt. (Quelle: mbr Berlin)

 

Für den Belltower.News-Jahresrückblick befragen wir zivilgesellschaftlichen Initiativen und Akteur_innen über die Situation in ihrem Bundesland. Den Jahresrückblick für Berlin schreibt die MBR – Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin.

 

Anfang des Jahres setzte sich die bereits seit Mitte 2016 andauernde rechtsextreme Anschlagsserie fort, vor allem in Neukölln. Die von den Rechtsextremen verfolgte Strategie der Einschüchterung äußerte sich erneut in Sprühereien an privaten Wohnorten, erstmals auch im Wedding. In unregelmäßigen Abständen dauerten diese Attacken, zu denen auch Brandanschläge auf PKWs von antifaschistisch/zivilgesellschaftlich Engagierten in Südneukölln zählten, bis in den Mai an. Die Berliner Polizei bemühte sich mit einer besonderen Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamtes „Rechte Straftaten in Neukölln“ (EG RESIN) und der Wiederbelebung einer „Operativen Gruppe Rechtsextremismus“ (OG Rex) beim lokalen Polizeiabschnitt verstärkt um Aufklärung. Indes sind die von den Betroffenen erhofften Ermittlungserfolge bisher ausgeblieben. Dies gilt auch für eine weitere aufsehenerregende Aktion, die mutmaßlich aktionsorientierten Rechtsextremen aus dem Bezirk zuzurechnen ist. Im Vorfeld des Jahrestages der antisemitischen Novemberpogrome von 1938 wurden in Neukölln koordiniert 16 Stolpersteine zum Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus herausgerissen und teilweise gestohlen.

Im Bereich des neonazistischen Rechtsextremismus konnte die Berliner NPD nicht vom gescheiterten Verbotsverfahren profitieren. Im Januar 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht zwar, dass die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolge, aber zu unbedeutend für ein Verbot sei. Die Einschätzung trifft zumindest den Zustand der Berliner NPD. Ihr gelang es unter der Führung von Uwe Meenen nicht einmal, ihre Landesliste zur Bundestagswahl formal korrekt aufzustellen. Daran dürfte auch der im November neugewählte Berliner Landesvorstand nichts ändern, da lediglich die Posten wechselten, aber nicht das Personal. Andreas Käfer löste Meenen als Landesvorsitzenden ab.

2017 trat zudem erstmals Der III. Weg im April mit einer eigenen Kundgebung in Berlin auf. Die neonazistische Kaderpartei versucht, sich in der Hauptstadt als neuer Anziehungspunkt für ansonsten kaum mehr öffentlich in Erscheinung tretende aktionsorientierte Rechtsextreme zu etablieren.

Als einer der größten Events der Szene muss der Rudolf-Heß-Aufmarsch am 19. August bewertet werden. Zum dreißigsten Todestag des Hitler-Stellvertreters hatten Neonazis nach jahrelanger Pause wieder einen Gedenkmarsch angemeldet. Als Aufmarschort wurde bewusst der Bezirk Spandau gewählt, wo der verurteilte Kriegsverbrecher im Jahre 1987 Suizid beging. Bundesweit wurde zu dem Aufmarsch mobilisiert. Im Vorfeld kam es auch in Berlin zu einer verstärkten Verbreitung von Propaganda bis hin zu Sachbeschädigungen an Parteibüros und Kirchengebäuden. Die Berliner Versammlungsbehörde sah sich nicht in der Lage, den Aufzug im Vorfeld zu untersagen. So erschienen rund 1.000 Rechtsextreme aus dem gesamten Bundesgebiet und zum Teil auch aus dem näheren europäischen Ausland, z.B. aus Ungarn und Tschechien. Allerdings verhinderten Blockaden der Zivilgesellschaft einen reibungslosen Verlauf der Versammlung. Die Rechtsextremen marschierten hinter einem Banner mit dem aus dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess bekannten Heß-Zitat „Ich bereue nichts“. Der Tag endete für die Aufzugsteilnehmer_innen mit einer stark verkürzten Route und mehreren Festnahmen, u.a. nach Gewalttätigkeiten gegen Passant_innen (vgl. BTN)

Das Aufgreifen eines klassischen rechtsextremen Kernthemas: die Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus, ist wohl ein Indiz für eine strategische Rückbesinnung, erfuhren doch die im Rahmen der rassistischen Mobilisierung der letzten Jahre entstandenen Demonstrationsformate im Jahr 2017 sinkende Resonanz. So erschienen zum „Merkel muss Weg“-Aufmarsch der rechtsextremen Gruppe „Wir für Deutschland“ (WfD) am 9. September mit rund 450 Besuchern nur noch ein Bruchteil der anfänglich über 2.500 Teilnehmer_innen. Ähnlich verhält es sich mit der allwöchentlichen „Bärgida“-Versammlung, an der zuletzt weniger als 40 Personen teilnahmen.

Als regelmäßiger Akteur des modernisierten Rechtsextremismus trat 2017 mehrfach die „Identitäre Bewegung“ in Erscheinung. Obwohl die Berliner Ortsgruppe nach MBR-Einschätzung personell überschaubar ist, profitiert sie von der Unterstützung aus anderen Bundesländern, die bei fast jeder Aktion in Berlin zu beobachten war. Auch wenn die Gruppierung merklich bemüht war, erneut mit provokanten Aktionen in die Öffentlichkeit zu drängen, ist ihnen das 2017 deutlich seltener gelungen als noch im Vorjahr, als sie beispielsweise das Brandenburger Tor bestieg. Neben diversen kaum beachteten Kleinstaktionen sind in der Jahresrückschau vor allem zwei Aktionen der „Identitären“ in Berlin erwähnenswert:

1. Der bundesweit einzige Aufmarsch der „Identitären“, der am 17. Juni auch in diesem Jahr wieder in Berlin stattfand. Im Gegensatz zum Vorjahr wurde diesmal europaweit mobilisiert, und rund 700 Rechtsextreme unterschiedlichster Couleur erschienen. Gegendemonstranten stellten sich den Rechtsextremen jedoch in den Weg und stoppten den Aufzug nach  wenigen hundert Metern. Aufgrund der Größe der Blockaden sah sich die Polizei nicht in der Lage, die Straße zu räumen, was zu Zusammenstößen mit der Polizei führte, als die Rechtsextremen versuchten, Absperrungen zu durchbrechen. Die „Identitären“ entlarvten in dieser Situation die angebliche Gewaltfreiheit ihrer Aktionen eindrucksvoll als bloße Selbstinszenierung (vgl. BTN I, BTN II)2. Bereits am 19. Mai versuchten rund 50 „Identitäre“ aus dem gesamten Bundesgebiet das Justizministerium aus Protest gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zu „stürmen“, wurden aber von der Polizei daran gehindert. Unter anderem beteiligte sich auch der Berliner AfD-Kandidat und JA-Funktionär Jannik Brämer an der Aktion. Im Nachgang wurde ihm vorgeworfen, einen Polizisten fast überfahren, ihn dabei verletzt und Fahrerflucht begangen zu haben. Vor allem aufgrund des daraufhin erlassenen Haftbefehls wurde die Zusammenarbeit der AfD mit der rechtsextremen Gruppe in der Öffentlichkeit erneut diskutiert. Trotz des initiierten Parteiausschlussverfahrens wählte die Junge Alternative Berlin Brämer erneut in ihren Vorstand, woraufhin der AfD-Landesvorstand den neu gewählten Vorstand der eigenen Jugendorganisation laut Presseberichten zum Rücktritt zwang. Ende des Jahres wurde das Verfahren wegen Körperverletzung und Fahrerflucht gegen Jannik Brämer jedoch überraschend eingestellt.

Im Berliner Abgeordnetenhaus und den zwölf Bezirksverordnetenversammlungen, in denen die AfD mittlerweile seit etwas mehr als einem Jahr in Fraktionsstärke vertreten ist, changiert ihr Auftreten zwischen taktischer Mäßigung, Provokation und Agitation. Die Fraktionen nutzen die Bühne der Gremien, um sich mit Initiativen zu rechten Identitätsthemen bei ihren außerparlamentarischen Anhänger_innen zu inszenieren. Die Thematisierung von Minderheiten als Problemverursacher, als Bedrohung und Belastung sind dabei ein stets wiederkehrendes Motiv. Besonders das Mittel der parlamentarischen Anfragen wird zunehmend systematisch zur Diffamierung der demokratischen Zivilgesellschaft genutzt.

Der Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag wird absehbar zu einer Stärkung und Professionalisierung ihrer Strukturen führen. Es ist zu erwarten, dass Berlin sich nicht zuletzt mit der anstehenden Wohnsitzverlagerung zahlreicher Akteur_innen aus der Partei und ihrem Umfeld zu einem neuen Zentrum des Rechtspopulismus und des nicht offen neonazistischen Rechtsextremismus entwickeln wird, mithin zu einem Schauplatz der europäischen und internationalen Vernetzung und der damit einhergehenden (Groß-)Veranstaltungen.

 

 

 

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