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Christchurch „Der große Austausch“ und die Legende vom „Ökofaschisten“

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Die Masjid-al-Noor-Moschee in Christchurch. 50 Menschen wurden bei dem Terroranschlag am 15. März 2019 ermordet. (Quelle: picture alliance / AP Photo)

Die Geschichten vom „Großen Austausch“, der „Umvolkung“ oder dem „Bevölkerungsaustausch“ sind zentrale Ideologieelemente der sogenannten „neuen“ Rechten und damit auch der AfD. Wichtigster Stichwortgeber ist dabei der französische Autor Renaud Camus, der mit seinem Essay „Der große Austausch“, die Marschrichtung vorgibt. Demzufolge arbeiten unbenannt bleibende Eliten hinter den Kulissen daran die „angestammte“ Bevölkerung zu verdrängen, dazu nutzen sie Migrant*innen, durch die – laut „neuer“ Rechter – eine Art „Mischbevölkerung“ entstehe, die sich leicht manipulieren ließe. Diese Erzählung findet sich bei allen Vertreter*innen der „neuen“ Rechten in der ein oder anderen Form wieder, sei es bei der sich intellektuell gebenden Szene um den neurechten Antaios-Verlag oder bei der rechtsextremen „Identitären Bewegung“. Auch für die AfD ist die Erzählung zentral.

Im April 2017 veröffentlicht der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland eine Presseerklärung und schreibt: „Der Bevölkerungsaustausch in Deutschland läuft auf Hochtouren.“ Im Mai 2016 schreibt Beatrix von Storch (AfD) auf Twitter: „Die Pläne für einen Massenaustausch der Bevölkerung sind längst geschrieben.“ Der AfD-Bundestagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider teilt im September 2018 mit, dass alle Parteien außer der AfD „Bevölkerungsaustausch, Rechtsbruch und den Verrat am Interesse des eigenen Volkes gutheißen“. Dennis Augustin, Landessprecher der AfD in Mecklenburg-Vorpommern, sagt in einer Rede im September 2017, der „große Austausch ist in vollem Gange“. Petr Bystron, AfD-Bundestagsabgeordneter, bezeichnet im Dezember 2018 den UN-Migrationspakt als „Abkommen zur systematischen Umvolkung“.

Glaubt man der Erzählungvom „großen Austausch“ glaubt man auch an „Völker“ und Ethnien, die einen „angestammten“ Platz besitzen und die wenig bis keinen Kontakt miteinander haben (sollten). Das heißt, man stellt sich einen historischen Nullpunkt vor,  an dem keine Person „mit Migrationshintergrund“ in einem Land existiert und will wieder an diesen zurück. Historische und politische Entwicklungen, die schon seit Jahren oder Jahrhunderten passieren, werden dabei ignoriert. Die Erzählung vom „großen Austausch“ ist also nicht nur völkisch und rassistisch, sondern auch schlicht realitätsfern.

Unter anderem wegen der Benutzung dieser Begriffe geriet die AfD ins Visier des Verfassungsschutzes. „Begrifflichkeiten und Argumentationsweisen [finden] Verwendung, die in rechtsextremistischen Diskursen weit verbreitet sind und denen ein völkisch-nationalistisches Denken zugrunde liegt. Hierbei handelt es sich vor allem um Schlagwörter wie ‚Bevölkerungsaustausch‘ und ‚Umvolkung‘“, schreibt die Behörde in Ihrem Gutachten zur Partei.

Der Terrorist, der im neuseeländischen Christchurch 50 Menschen ermordet hat, hat sein Manifest ebenfalls mit „The Great Replacement“ – „Der große Austausch“ – betitelt. Auch hier ist der Rassismus ideologisch zentral. Immer wieder beschreibt der Autor dieses „Replacement“ als größte anzunehmende Gefahr und benutzt die Erzählung als Rechtfertigung für seinen Terrorismus.

Für die sogenannte „neue“ Rechte, inklusive der AfD, ist das problematisch, ist doch ein zentraler Baustein der eigenen Ideologie plötzlich weit mehr als Rhetorik, sondern vielmehr eine Rechtfertigung für menschenverachtendes Morden.

Die öffentlichen Reaktionen der Rechtspopulist*innen auf den Terrorakt sind dabei auch weitaus leiser, als bei islamistischem Terror. Alice Weidel und Jörg Meuthen haben sich Stunden nach der Tat mit Beileidsbekundungen zu Wort gemeldet, auf der Facebookseite der AfD-Bundestagsfraktion äußert sich Armin Hampel, der außenpolitische Sprecher der Partei in einem Video. Statements von anderen – in der Regel eher lautstarken – Stimmen aus der Partei, wie Beatrix von Storch, Alexander Gauland, Stephan Brandner oder Björn Höcke? Bisher keine.

Zu den ideologischen Überschneidungen in Sachen „Großer Austausch“, „Bevölkerungsaustausch“ oder „Umvolkung“ ist von den Rechtspopulist*innen auf Bundeseben nichts zu hören. Die Reaktionen aus der Unterstützer*innenszene hat der Blog „Volksverpetzer“ bereits detailliert zusammengefasst.

Vertreter*innen der AfD-auf Landesebene interpretieren die Terror-Attacke dann gleich ganz ohne Verweis auf die eigene Ideologie. Harald Laatsch, der für die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, schreibt auf Twitter, dass der Täter sich mit „Überbevölkerung und Klimaschutz“ rechtfertigen würde: „Die Klimapanikverbreiter tragen Mitverantwortung für diese Entwicklung“.

Danach benutzt er den Namen der Klimaaktivistin Greta Thunberg als Hashtag. Sein Kollege Frank Hansel antwortet mit einem Sharepic und macht offenbar die Grünen für die schreckliche Tat verantwortlich.

Die AfD-Westerwald bezeichnet den rassistischen Attentäter als „linksextrem“, die „Bundesvereinigung Christen in der AfD“ spricht von einem „linkssozialistischen Weltklimaretter“ und die AfD Solingen nennt den Anschlag „grünfaschistisch und marxistisch.“ Unter anderem bezieht sich die Partei dabei auf einen Artikel auf dem extrem muslimfeindlichen Blog „Politically Incorrect“ mit der Überschrift „Australien: 49 Tote bei Moschee-Angriff durch ‚Umweltaktivist‘“. Die Argumentation des Textes ist dabei recht dünn.

Tatsächlich rechtfertigt der Täter seinen Terror an zwei Stellen des Manifests mit „Überbevölkerung“ und bezeichnet sich (unter anderem) dreimal als „Ökofaschist“. Dem liegt aber immer Rassismus zu Grunde, seine Einstellung zu Klima- oder Umweltschutz ist nur ein Teil dieser Argumentation: Europäer*innen, zu denen er sich zählt, würden nicht zu den Gruppen gehören, die eine Bevölkerungsexplosion verursachen. Die Schuldigen seien die „Invasoren“, also Migrant*innen. Sie müsse man töten und so „die Umwelt retten“. Wenn der Täter von einem „Grünen Nationalismus“ spricht, meint er damit nichts anderes als eine Blut-und-Boden-Ideologie, laut der „Ethnien“ nur an einem angeblichen angestammten Ort überleben könnten und demzufolge ihre Umwelt schützen müssten. Die Bedrohung die er immer wieder ausmacht ergibt sich dabei aus dem „Großen Austausch“. Die wenigen Stellen in seinem Manifest, in denen es um Klima oder Umweltschutz geht, sind dem nur untergeordnet.

Umweltaktivist*innen eine Mitschuld zu geben, ist also höchstens der verzweifelte Versuch von einer Ideologie abzulenken, die zentraler Bestandteil des Rechtspopulismus ist. Die Erzählung vom „Großen Austausch“ – oder analog der „Umvolkung“ oder des „Bevölkerungsaustausches“ – ist nicht nur eine Verschwörungsideologie, die von völlig falschen Voraussetzungen ausgeht, sondern auch gefährlicher Rassismus.
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