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Brandanschlag auf Berliner Mahnmal Bekennerschreiben kündigt „richtigen“ Holocaust an

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Antisemitischer Brandanschlag auf Gedenk-Bücherbox im Berliner Grunewald (Quelle: Annika)

CN: Antisemitismus, Vernichtungsfantasien 

Ein unbekannter Mann soll am frühen Samstagmorgen eine zur Bücherbox umgebaute ehemalige Telefonzelle am Holocaust-Mahnmal „Gleis 17“ im Berliner Grunewald angezündet haben. Der Täter hinterließ ein antisemitisches Schreiben, in dem unter anderem die Vernichtung aller Jüdinnen*Juden angekündigt wird.

Zeug*innen berichteten von einem Mann, der gegen 4.50 Uhr eine Kiste in die ehemalige Telefonzelle gestellt und angezündet hatte. Der für politisch motivierte Straftaten zuständige Staatsschutz übernimmt laut Polizei die Ermittlungen. Das Mahnmal „Gleis 17“ am Bahnhof Grunewald erinnert an über 50.000 Jüdinnen*Juden, die von 1941 bis 1945 von dort mit Zügen der Deutschen Reichsbahn in Konzentrationslager deportiert und größtenteils dort ermordet wurden. Die Bücher, die in der Telefonzelle zum Lesen bereitstanden und die allesamt die Zeit des Nationalsozialismus zum Thema haben, wurden fast vollständig zerstört, teilte die Polizei Berlin mit.

Ein unbekannter Mann soll am frühen Samstagmorgen eine zur Bücherbox umgebaute ehemalige Telefonzelle am Mahnmal „Gleis 17“ im Berliner Grunewald angezündet haben. (Quelle: Annika)
Ein unbekannter Mann soll am frühen Samstagmorgen eine zur Bücherbox umgebaute ehemalige Telefonzelle am Mahnmal „Gleis 17“ im Berliner Grunewald angezündet haben. (Quelle: Annika)

Polizei übersieht antisemitisches Bekennerschreiben

Kein Hinweis findet sich jedoch in der Pressemitteilung der Polizei zu einem antisemitischen Bekennerschreiben am Tatort. Das liegt vermutlich daran, dass die Polizeibeamt*innen, die den Tatort am frühen Morgen sicherten, das Schreiben, das etwa zwei Meter von der Bücherbox entfernt war, übersehen haben.

Konrad Kutt, der die Idee dazu hatte, ausgemusterte Telefonzellen mit Büchern auszustatten, sodass sie wie kleine Bibliotheken funktionieren, wohnt in der Nähe des Mahnmals. Als er am Samstagmorgen, nachdem die Feuerwehr den Brand gelöscht hatte und die Beamt*innen abgezogen waren, zufällig an der ausgebrannten Bücherbox vorbeikam, entdeckte er das Schreiben. Es klebte auf einer Holzbank. Konrad Kutt informierte die Polizei, so berichtet er es gegenüber Belltower.News.

Ankündigung eines „richtigen“ Holocaust

Der Text des Bekennerschreibens liegt der Redaktion vor. Er ist abstrus und dennoch bedrohlich. Der oder die Verfasser*innen behaupten, „Adolf“ (Hitler) hätte es nicht geschafft, Jüdinnen*Juden „ihrer gerechten Strafe“ zuzuführen. Es hätte sogar gar keinen Holocaust gegeben, da Hitler daran gescheitert sei, Jüdinnen*Juden komplett auszulöschen. Schließlich wird ein „richtiger“ Holocaust angekündigt, denn ein dritter Weltkrieg stehe kurz bevor.

Am Bahnhof Grunewald im Westen Berlins erinnert das Mahnmal Gleis 17 an die tausenden Juden, die von diesem Gleis mit Zügen der Deutsche Reichsbahn aus Berlin deportiert wurden. (Quelle: Annika)
Am Bahnhof Grunewald im Westen Berlins erinnert das Mahnmal Gleis 17 an die tausenden Juden, die von diesem Gleis mit Zügen der Deutsche Reichsbahn aus Berlin deportiert wurden. (Quelle: Annika)

Auch die Existenz des jüdischen Staates Israel wird geleugnet, Palästina werde durch diesen Holocaust damit von den „Okkupanten“ befreit. „In dem Schreiben wird also nicht nur der Holocaust geleugnet, sondern vielmehr die wirkliche Vernichtung der Juden herbeigesehnt“, analysiert Imke Kummer, Antisemitismus-Expertin bei der Amadeu Antonio Stiftung. „Diesen antisemitischen Hass müssen wir ernst nehmen“, fordert sie. „Er steht für das immense Gewaltpotenzial im Antisemitismus: ‚Die Juden‘ werden als das absolut Böse dargestellt, gegen das es sich zu wehren gelte. Damit ist die Gewalt und der Vernichtungswunsch im antisemitischen Weltbild schon angelegt: Das Böse muss ausgelöscht werden, um die Menschheit von dieser ‚Bedrohung‘ zu befreien“, so Imke Kummer. Im Schreiben werden weitere Anschläge gegen solch „ehrlosen Schandmale“, gemeint sind hier vermutlich Holocaust-Gedenkorte, angekündigt. Diese konkrete Ankündigung weiterer antisemitischer Anschläge fällt in eine Zeit, in der es täglich zu antisemitischen Vorfällen kommt und Beratungsstellen eine Zunahme antisemitischer Gewalttaten verzeichnen.

Im offensichtlich Abstrusen die Gefahr ernst nehmen

Auch wenn der Text an sich schwer verständlich und wirr ist, so zeugt er davon, „wie brandgefährlich solche vermeintlich ‘wirr‘ anmutenden antisemitischen Verschwörungserzählungen sind“, so die Antisemitismus-Expertin. Auch die Amadeu Antonio Stiftung und Belltower.News bekommt in regelmäßigen Abständen E-Mails mit wahnhaftem antisemitischen Gefasel. Hier wird mal behauptet, Zionist*innen seien die eigentlichen Nazis – weil in NAtional ZIonisten das Wort Nazi stecke, das Judentum sei eigentlich eine Partei, und Jüdinnen und Juden würden Politik, Medien und Universitäten kontrollieren. Es sind allesamt alte antisemitische Erzählungen. Wie weit verbreitet dieser wahnhafte Antisemitismus in der Bevölkerung ist, darüber lässt sich nur spekulieren, er dürfte jedoch verbreiteter sein, als so manche*r denkt. Hier scheinen Menschen am Werk, die von einem Aufklärungsgedanken getrieben werden und ihre antisemitischen Wahnvorstellungen in großen Mail-Verteilern an Redaktionen und Organisationen verschicken.

Vielleicht mag man als Leser*in solch wirrer Texte dazu tendieren, die Verfasser zu pathologisieren und sie als Spinnerei abzutun. Doch die antisemitischen Wahnvorstellungen von unter anderem dem Attentätern aus Halle zeigen, wie weit der Hass auf Jüdinnen*Juden führen kann. Der Angriff auf das Mahnmal „Gleis 17“ am Bahnhof Grunewald sollte uns eine Warnung sein.

Bleibt zu hoffen, dass der Täter bald gefasst wird.

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