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Jahresrückblick 2019 – Bayern Zerstrittene AfD – IB-Rapper im Fokus – Nazis ungestraft mit Fackeln auf NS-Gelände – NSU-Opfer verhöhnt

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Rechtsextreme Gewalt in München

Das wohl schwerwiegendste Einzelereignis 2019 in Bayern war der Überfall auf eine Münchnerin Anfang Dezember. Sie wurde in ihrer Wohnung von zwei Männern angegriffen, gewürgt und gegen den Kopf geschlagen. Die Täter hinterließen an einer Zimmerwand eine politische Botschaft, die als Racheakt gedeutet werden kann. Die Frau engagiert sich herausgehoben gegen Rechtsextremismus. Am Tag nach der Tat hätte sie in Franken als Zeugin gegen einen Rechtsextremisten aussagen sollen, für eine an ihr 2018 begangene Körperverletzung. Ob es eine Verbindung gibt, ist nicht bekannt. Wegen der Brisanz wurde die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) mit den Ermittlungen betraut. Die Behörde koordinierte auch eine Razzia im Oktober, bei denen in vier Bundesländern gegen Personen vorgegangen wurde, die im Verdacht standen, im Sommer Drohschreiben verschickt zu haben. ANKER-Zentren, islamischen Einrichtungen, Moscheen, Parteizentralen und Medien war mit Sprengstoffanschlägen gedroht worden. Unterzeichnet waren die Botschaften mit „Combat 18“ und „Blood and Honour“.

AfD-Fraktion fällt vor allem mit Selbstbeschäftigung und internem Streit auf

Wichtigste Organisation bleibt die AfD Bayern, auch wenn es ein durchgängig von internen Zerwürfnissen geprägtes Jahr war. Ende März trat Raimund Swoboda, aus der Landtagsfraktion aus. Ihm folgte wenige Tage später der Co-Fraktionsvorsitzende Markus Plenk. In dem Zeitraum kolportierte die Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner mit Plänen, den Rosenheimer Abgeordneten Franz Bergmüller aus der Fraktion ausschließen zu lassen. Zur entscheidenden Sitzung stellte sich laut Berichten niemand hinter den Antrag, womit er vom Tisch war.

Offiziell wurde als Grund für den möglichen Rauswurf Bergmüllers angegeben, er hätte die von Swoboda geäußerte Kritik gestützt. Tatsächlich tobt schon einige Zeit ein Kleinkrieg in der AfD um die Personen Ebner-Steiner und Bergmüller. Letzterer ist immer noch nicht offizielles AfD-Mitglied. Landesverband und Bundesverband sind der Meinung, Bergmüller sei nach Stationen bei CSU und Freien Wählern nicht formal korrekt beigetreten. Vor Abschluss dieser juristischen Auseinandersetzung ist ein Austritt Bergmüllers aus der Fraktion eher unwahrscheinlich.

Immer wieder werden zu Lasten der AfD-Fraktionsspitze Interna an Medien durchgestochen. So etwa die Beschäftigung von zwei Personen in der Fraktion, denen eine Nähe zur NPD nachgesagt wurde. Sie mussten ebenso gehen wie der erste Fraktionsgeschäftsführer Ralf Özkara. Der frühere Landesvorsitzende der AfD Baden-Württemberg gehörte zu dem Personenkreis, der im von Netzpolitik veröffentlichten Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur AfD, hinter Höcke mit am häufigsten mit belasteten Aussagen erwähnt wurde. An die Öffentlichkeit gelangten auch Klagen über das Finanzgebaren etwa unter dem Stichwort „Luxuscouchen“- Ausgaben für teure Büromöbel.

Im Juli gingen Ebner-Steiners Kritiker mit der Nachricht an die Medien, ihre „Chefin“ angezeigt zu haben. In Rede steht, dass Ebener-Steiner E-Mails ihrer fraktionsinternen Gegner in einer internen AfD-Gruppe verbreitet haben soll.

Die Spaltung der Fraktion setzte sich nach der Sommerpause fort. Der üblichen Klausur zur Vorbereitung der parlamentarischen Arbeit blieben einige Abgeordnete offenbar bewusst fern. Bei der kurz darauf angesetzten Neuwahl der Fraktionsspitze, bei der Ingo Hahn zum neuen Co-Vorsitzenden gewählt wurde, ergingen zwar alle Wahlen laut Mitteilung der Fraktion einstimmig, allerdings waren nur 12 der verbliebenen 20 Abgeordneten zu den Wahlen anwesend.

Schablone einiger Medien „Gemäßigte vs. Flügel“ passt nicht

Die von einigen Medien gewählte Schablone, der Streit würde zwischen radikalen Flügel-Anhängern und „Gemäßigten“ ausgetragen, geht am eigentlichen Kern vorbei. Auch wenn an der Spitze der Fraktion mit Ebner-Steiner eine Höcke-Vertraute steht, finden sich auch unter ihren Kritikern Personen, die sich zum Flügel rechnen. Bergmüller ist alles andere als „Gemäßigter“ und brachte z.B. über eine Anfrage eine Strafverschärfung für Geflüchtete ins Spiel unter dem Schlagwort eines „Missbrauch des Gastrechts“. Etliche seiner Anfragen zielen alleine auf Herkunft und Glaubensausrichtung von Straftätern.

Im Landtag fielen die Abgeordneten der AfD eher mit Rügen auf, die erstmalige wieder in größerer Zahl im Maximilianeum ausgesprochen werden muss. Der Abgeordnete Ralf Müller blieb während einer Gedenkminute für den ermordeten Walter Lübcke als einziger sitzen. Er will laut Eigenaussage an einer Rede gearbeitet haben. Nach einer Bildmanipulation hin zu einer vermeintlichen AfD-Werbung erstattet Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) Anzeige gegen den Abgeordneten Stadler. Der erste Gesetzesentwurf der Fraktion forderte ein bayerisches Minarettverbot. Außerdem brachten die Abgeordneten Anträge ein, die von den demokratischen Fraktionen als Angriff auf das Bayerische Rote Kreuz gesehen wurden. Seit geraumer Zeit tourt die Fraktion mit einer gegen Geflüchtete gerichteten Kampagne durch Städte, die sich mit Blick auf die Seenotrettung im Mittelmeer zu „sicheren Häfen“ erklärt hatten.

Landesvorsitzender Sichert poltert umsonst – krachend abgewählt

Auch im Landesverband traten unübersehbare Differenzen zu Tage. Beim Wahlparteitag war von angeblichen 20 Ordnungsmaßnahmen die Rede, mit denen sich der Landesvorstand um den Bundestagsabgeordneten Martin Sichert befasst hatte. Mit dem Burschenschafter Benjamin Nolte wurde ein Beisitzer aus dem „Lavo“ seines Amtes enthoben. Auch Ebner-Steiner war Ziel einer Rüge. Am Wahlparteitag wurde eine vorläufige Ämtersperre gegen den Parlamentarischen Geschäftsführer der Landtagsfraktion, Christoph Maier, bekannt.

Bei der Kampfkandidatur um den Vorsitz setzte sich die Bundestagsabgeordnete Corinna Miazga, die vor allem mit Social Media Auftritten auffällt, gegen Ebner-Steiner durch. Martin Sichert, dessen polternde Eröffnungsrede live vom Bayerischen Rundfunk übertragen wurde, schaffte es nicht in die Stichwahl. In den neuen Landesvorstand wurden auch Landtagsabgeordnete gewählt, die Ebner-Steiner in der Fraktion die Treue halten. Mit dem Regensburger Erhard Brucker wurde ein Pegida-Redner Beisitzer, der zusammen mit dem Islamhasser Michael Stürzenberger auftrittt.

Bei der Europawahl gelang es der AfD Bayern durch die guten Listenplätze, mit drei Angeordneten ins Europaparlament einzuziehen. Spitzenkandidat war der Oberstleutnant a.D. Bernhard Zimniok aus München, der in der Vergangenheit vor allem mit islamfeindlichen Thesen aufgefallen war. Auch wollte er von Brüssel aus „die Antifa“ zur Terrororganisation erklären lassen. Er nahm in der Vergangenheit an mindestens einer Demonstration von Pegida München (Meyer-Fraktion) teil, auch nachdem die Gruppe schon Erwähnung im Verfassungsschutzbericht fand.

Islamfeind auch in Bayern auf Tour – Orthodoxe Juden als Verbrecher und Nazis diffamiert

Der Autor des Hetzblogs PI-NEWS, Michael Stürzenberger, der weiterhin seine eigene Kategorie im Bayerischen Verfassungsschutzbericht inne hat, führte unter den Label „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) auch in Bayern mehrere Kundgebungen durch. Zwei Mal zog es ihn dabei nach Rosenheim. Einer seiner Mitstreiter, Engelbert S., verunglimpfte dabei orthodoxe Juden als „Verbrecher“ und die „Nazis im Judentum“. Der Organisator der Gegendemonstration erhielt, nachdem Stürzenberger ihn vor Ort und später im Bericht herausgehoben hatte, Morddrohungen. Bei einer Kundgebung am Marienplatz wurde eine Anscheinswaffe im Kundgebungsfahrzeug gefunden, zu der sich vor Ort niemand bekannte. Die Polizei stellte die waffenrechtlich verbotene Attrappe sicher, ließ die Kundgebung aber fortsetzen.

Identitäre Bewegung

Von den drei Gruppen der Identitären in Bayern ist die schwäbische Sektion die aktivste. Sie beteiligte sich im Januar an der bundesweiten Aktion gegen Parteibüros und Medienhäuser. Später folgte noch eine separate Aktion gegen ein Bürgerbüro einer grünen Landtagsabgeordneten, eine Intervention bei einer Bürgerversammlung zu einem geplanten ANKER-Zentrum und einige kleinere Aktionen. Bei der führenden Aktivistin und einer zweiten Person kam es im Juni zu Hausdurchsuchungen. Ansonsten beteiligten sich die Gruppen aus Bayern an der gescheiterten Demonstration in Halle und führten als „Identitäre Zonen“ deklarierte Infostände durch.

Laut zahlreichen angeschrieben Kommunen sei aus den Anmeldungen von Privatpersonen nicht hervorgegangen, dass es sich dabei um IB-Aktionen handelte. Warnungen vom Verfassungsschutz an die Gemeinde gab es wohl auch nicht. Gegenprotest wie in München war damit eher selten. Mindestens vier Aktivistinnen und Aktivsten nahmen am Flügel-Treffen in Greding teil, am tags darauf folgenden Frühschoppen der Junge Alternative mit Björn Höcke fanden sich nach unserer Zählung mindestens sechs Personen ein, die in der Vergangenheit an IB-Aktionen teilgenommen hatten.

Bei einem Schulungs-Wochenende inklusive Kampfsportübungen nahm die IB Bayern offiziell auch eine Clique aus dem Raum Amberg auf. Recherchen des aida-Archivs zeigten, dass die Personen dahinter schön länger Kontakt zur IB suchten und sich ein Teil früher in anderen Kreisen engagiert hatte, z.B. beim III. Weg. Nach den Veröffentlichungen von aida schloss der örtliche MMA-Verein zwei Identitäre aus, die bis dahin in dem Verein trainiert hatten, ein Fußballverein zog wenig später nach.

Ideologisch der IB zugerechnet wird der Rapper Christoph Zloch, Künstlername Chris Ares. Seine Veröffentlichungen zusammen mit Kai Naggert, IB-Aktivist und Rapper, erzielten kurzzeitig Platz 1-Positionen in den Charts bei iTunes und Amazon. Bekannt sind von ihm vor allem auch die Bilder im Netz, wie er bei einer AfD-Wahlparty 2016 auf Gegendemonstranten und Fotografen losging. Im April bekam er Nachricht, dass die Aktion für ihn strafrechtlich keine Folgen haben wird, weil wegen anderer Verfahren von einer Verfolgung abgesehen wurde (§ 154 StPO). Verurteilt wurde er, allerdings schon im Oktober 2018, für eine Verleumdung. Er hatte auf Facebook ein altes Video der neonazistischen Partei Der Dritte Weg mit pöbelnden Gegendemonstranten hochgeladen und hatte einen nachweislich völlig unbeteiligten Familienvater mit dem Video in Verbindung gebracht.

Dritter Weg verhöhnte NSU-Opfer

Auch wenn viele Aktionen des Dritten Wegs sich nach Sachsen und Thüringen verlagert haben, bleibt Bayern wegen der vielen Kader und Funktionäre Stammland der neonazistischen Kleinstpartei. Enttäuschend verlief sicherlich der Europawahlkampf. Trotz einiger Infostände, Lautsprecherfahrten durch ostbayerische Kommunen und provozierenden Plakaten schnitt die Partei schlechter ab als Die Rechte, die soweit bekannt, überhaupt keinen aktiven Wahlkampf in Bayern führte.

Zum neonazistischen „Heldengedenken“ nach Wunsiedel kamen wieder etwa 200 Anhänger der Partei. Parteichef Klaus Armstroff verhöhnte die Opfer des NSU. Im Oktober marschierte die Partei mit 35 Personen durch Kempten im Allgäu und gaben sich als Kümmerer der Landwirtschaft. Ein gerichtliches Nachspiel hatte eine Aktion am Würzburger Faschingsumzug 2017 zu der sich die Partei bekannte. Ein Gericht verhängte hohe Geldstrafen gegen vier von acht Beteiligten, die in volksverhetzender Weise über Geflüchtete herzogen. In erster Instanz ergingen vor wenigen Wochen noch nicht rechtskräftige Geldstrafen zwischen 2.200 und 8.400 Euro.

Wodans Erben mit Fackeln auf früherem NS-Parteitagsgelände

In Bayern versuchen sich abseits der Parteien und Organisationen auch bürgerwehrähnliche Gruppen mit Aktionen. Für Schlagzeilen sorgte vor allem die Sektion der Wodans Erben Germanien, einer Abspaltung der Soldiers of Odin. Im Januar drang sie während einer Streife auf das Gelände einer Geflüchtetenunterkunft vor. Im Video eines NPD-Aktivisten wurde zudem Hitlers Machtübernahme gedacht. Im Februar zogen 18 Personen, nachdem sie vor einer Geflüchtetenunterkunft in Nürnberg auf die Polizei gestoßen und kontrolliert worden waren, mit entzündeten Fackeln über das ehemalige Reichsparteitagsgelände, ohne dass die Polizei eingriff. Strafrechtliche Konsequenzen hatte es für die Gruppe keine. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth sah in der Aktion keinen Anfangsverdacht für eine Verharmlosung oder Glorifizierung des NS-Regimes und stellte sämtliche Ermittlungen ein. Folgen hatte die Aktion nur für ein junges Mitglied der CSU, der nach Bekanntwerden seiner Mitgliedschaft aus der Partei ausgeschlossen wurde.

Auch die sonst kaum in Erscheinung getretene NPD konnte mit dem Thema Bürgerwehr zumindest einen Mediencoup landen. Nach der Diskussion um von jungen und alkoholisierten Geflüchteten begangene Körperverletzungshandlungen in Amberg, die zur Prügel-Orgie hochgeschrieben worden waren, trafen sich dort eine Handvoll Aktive und stellten ein Video von ihrem Spaziergang ins Netz. Etliche Medien sprangen auf die angebliche Bürgerwehr auf und potenzierten so die eigentlich unbedeutende Aktion.

 

Endstation rechts Bayern:

https://www.endstation-rechts-bayern.de/

 

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