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Demokratie verteidigen „Die Kunstfreiheit ist bereits bedroht“

Die offene, plurale Gesellschaft ist längst nicht mehr selbstverständlich. Mit der AfD hat sich in allen Landesparlamenten und im Bundestag eine rechtsradikale Partei etabliert, die unsere demokratischen Grundrechte in Frage stellt und angreift. Die Partei hat bundesweit eine Katalysatorfunktion für menschenfeindliche Inhalte, normalisiert diese und legitimiert Gewalt, um diese Vorstellungen durchzusetzen.

 
(Quelle: Unsplash)

Trotz der Beobachtung einiger Teile und mehrerer Landesverbände als Verdachtsfälle durch den Verfassungsschutz bleibt die AfD gefährlich, vor allem dort, wo sie kommunal verankert ist und der extremen Rechten Struktur und Ressourcen bietet. Schon 2019 hat die Amadeu Antonio Stiftung eine Broschüre mit dem Titel Demokratie in Gefahr veröffentlicht, die jetzt überarbeitet neu erscheint: Demokratie verteidigen. In der aktualisierten und erweiterten Auflage geht es in vier neuen Kapiteln schwerpunktmäßig um Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD, Naturschutzpolitik der AfD, die parteinahe Stiftung der AfD und die Partei aus der Perspektive migrantischer Selbstorganisationen. Das folgende Interview mit Kevin Rittberger dreht sich um die Rolle der Rechtsradikalen in Kunst und Kultur.

Kevin Rittberger ist Theaterregisseur und Autor. Mit oft eigenen Texten und Rechercheprojekten arbeitete er unter anderem am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, am Deutschen Theater Berlin und am Staatstheater Stuttgart. Im Rahmen seines künstlerischen Engagements setzt er sich gegen die Normalisierung des Rechtsradikalismus und für Diversität auf der Bühne ein – und wird dafür von der AfD angefeindet.

Herr Rittberger, in Ihrem Stück „Peak White – Wirr sinkt das Volk“ am Theater Heidelberg haben Sie sich kritisch mit den Ängsten und Feindbildern der sogenannten „Neuen“ Rechten auseinandergesetzt. Die AfD forderte daraufhin Kürzungen und sogar die Absetzung des Stückes. Welche Strategie verfolgt die Partei in ihren Angriffen auf Kulturprojekte, die nicht in ihr Weltbild passen?
Nicht nur die Absetzung, auch die sechs mitwirkenden Schauspieler*innen sollten entlassen werden! Es geht um eine permanente Einschüchterung und Zermürbung. Das geht bis zur schleichenden Selbstzensur, wenn Kulturschaffende nun den lästigen Kleinen Anfragen vorbeugen, indem sie ihre Anträge, Projekte und Spielpläne an die verschärfte Lage anpassen und in Form und Inhalt abmildern. Die kurzfristige Strategie ist, die AfD samt „Volk“ als vom Kulturmainstream ausgeschlossen, unterrepräsentiert und angefeindet darzustellen. Der kulturpolitische Sprecher der AfD, Marc Jongen, kapert den linksliberalen Diskurs und behauptet, die AfD trage etwas zur Pluralisierung bei. Diffuse Gewalt- und Zensurvorwürfe in Richtung der Kulturschaffenden, die sich gegen die ausgrenzende Politik der AfD wenden, bilden dann weitere Bestandteile der Opferinszenierung, die auch die gesellschaftliche Mitte aus der Reserve locken soll. Die AfD hat aber kein „Recht“, auf ein Podium eingeladen zu werden. Auch ist ihr Freund-Feind-Schema nicht unterrepräsentiert. Die Meinungsfreiheit gilt nicht absolut, sondern ist der Menschenwürde und den allgemeinen Menschenrechten untergeordnet. Sie ist eben keine spannende Zutat, die auch mal unerträglich ausfallen muss. Das wäre toxischer Liberalismus – und das wird in einem feuilletonistischen Diskurs häufig vergessen.

Und da sind wir schon bei der mittelfristigen Strategie, der Verschiebung der Diskurse nach rechts, wenn sich nun in der Mitte der Gesellschaft Akteure darüber streiten, ob das Reden mit Rechtsradikalen etwas zur demokratischen Kultur beiträgt oder nicht, und ob es denn nicht verständlich sei, eine kulturelle Reinheit schützen zu wollen. Wenn sich viele nun reaktiv der Agenda der sogenannten „Neuen“ Rechten zuwenden, geraten wichtigere Themen ins Hintertreffen: bezahlbarer Wohnraum für alle, Sozialpolitik, Bewegungsfreiheit, Klimagerechtigkeit. Langfristig würde eine regierende AfD eben die Meinungsvielfalt einschränken, von der sie nun zu profitieren sucht. Die Kleinen Anfragen hier und dort machen ja schon klar, welche Schulen, Kulturprojekte, Theater, Verlage, Vereine usw. dicht machen bzw. in ihrer Personalstruktur ausgetauscht werden müssten. Und völkisch „eingehegte“ Theaterspielpläne würden wie in Ungarn Künstler*innen ins Exil treiben. Die Kunstfreiheit ist bereits bedroht – und sie würde langfristig massiv eingeschränkt, behindert oder sogar kriminalisiert werden.

Im März 2017 war der Bundestagsabgeordnete Marc Jongen, der häufig als Vordenker der AfD bezeichnet wird, zu einer Podiumsdiskussion in das Theater Gessnerallee in Zürich eingeladen. Die Veranstaltung wurde nach öffentlichen Protesten abgesagt – Sie selbst hatten einen offenen Brief mit dem Titel „Keine Bühne der AfD und der Neuen Rechten“ initiiert. Die Diskussion darüber, ob man die AfD und Akteure der sogenannten „Neuen“ Rechten zu Veranstaltungen einlädt, kommt gerade im Kulturbereich immer wieder auf. Wie sollten Kulturschaffende damit umgehen?
Ich habe den offenen Brief damals mit vielen anderen politischen Kulturschaffenden verfasst, inzwischen auch weitere Statements, und wir haben danach an einem Glossar mit den wichtigsten Begriffen der derzeitigen Debatte gearbeitet – von A wie „Alerta!“ bis Z wie „Zensur“.

Wir haben eine klare Haltung: keine Bühne der AfD. Und wenn sich die Bühne bereits aufgetan hat, sprich Akteure eingeladen wurden, dann machen wir von unserer Meinungsfreiheit Gebrauch und kritisieren die Einladungen, da wir der Meinung sind, dass nur eine wahre Pluralisierung des Diskurses etwas zur Politisierung der Öffentlichkeit beiträgt. Die AfD schränkt den Diskurs hingegen ein. Das haben wir auch deutlich gemacht, als wir gegen die Einladung Marc Jongens 2017 an die Gessnerallee Zürich protestierten, bei der nämlich keine Migrant*innen, Muslime, Feminist*innen, Linke oder Antifaschist*innen eingeladen waren – ebenjene, über die dann herabwürdigend gesprochen worden wäre.

Es gibt verschiedene Strategien, von offenen Briefen über interne Diskussionen mit Veranstalter*innen bis hin zu strategischem Desinteresse. Das Glossar stellt auch einen Versuch da, Leute zu informieren, die sich dann doch auf ein Streitgespräch mit sogenannten Rechtsintellektuellen einlassen. In der Tradition der Aufklärung stehende Kulturschaffende denken nämlich mitunter, wenn der ideologische Kern im Gespräch erst mal freigelegt würde, könnten die Wechselwähler*innen unter den Zuschauer*innen und am Ende sogar die bekennenden Rechtsradikalen kraft des vernünftigeren Arguments vom Glauben abfallen. Aber die AfD ist gar nicht am Gespräch interessiert, sondern an raunenden Untergangsszenarien, irrationaler Volkstümelei und ihrem Märchen der „Volksgemeinschaft“. Und bisherige Aussteiger*innen aus der AfD hatten ihre Einsichten intern gewonnen, aus der Menschen- und Demokratieverachtung dieser Partei.

Kulturschaffende, die nur spielen wollen, um Aufmerksamkeit zu erheischen, sind derzeit die Gefährlichsten. Nach Brecht könnte man auch von neuen „Tuis“ sprechen, die an derartigen Zündeleien an den Grenzen der Demokratie mitwirken. Die radikale Rechte biegt sich Demokratie so zurecht, dass sie Ungleiche ausmacht und der Herrschaft des „Volkes“ unterwirft. Das ist unmissverständlich. Mit Demokratie, die die Rechte von Minderheiten schützt, hat das nichts zu tun. Es geht aber auch darum, dass die Ziele von Freiheit und Gleichheit nicht am stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse zerschellen, deshalb ist das Freund-Feind-Schema der Rechten zu billig.

Mit ihren Forderungen nach Subventionskürzungen greift die AfD die Kunstfreiheit gezielt an. Das betrifft nicht mehr nur die großen Theater der Metropolen, sondern zunehmend auch kleine Schauspielhäuser im ländlichen Raum, die auf weniger Ressourcen zurückgreifen können. Was raten Sie betroffenen Kulturbetrieben zum Umgang mit solchen Angriffen?
Sich überregional vernetzen und etwa über die Kanäle der „Vielen“ vergewissern, dass man nicht allein dasteht. Sich nicht einschüchtern lassen. Sich nicht zermürben lassen, gerade weil das Problem jahrelang und ausdauernd angegangen werden muss. Die Mittel des Rechtsstaats geltend machen, auch wenn dieser beim NSU oder der jüngsten rechtsextremen Anschlagsserie in Berlin-Neukölln versagt hat. Solidarität stärken, Antifaschismus als Common Ground einer Demokratie bestimmen und Geschichten des transkulturellen Miteinanders erzählen. Die Zivilgesellschaft einbinden und auf die Spaltungen hinweisen, die populistische und radikale Rechte bezwecken, indem sie Rassismus und falsche Behauptungen in die Welt setzen und eine Gemeinschaft beschwören, welche bei näherer Hinsicht (d.h. Umsetzung des Parteiprogramms) gar nicht sozialer oder gleicher wäre. Das Ressentiment etwa, Geflüchtete würden das Geld aufbrauchen, das dem Sozialstaat dann fehle, lässt sich angesichts höherer Steuereinnahmen sofort entkräften. Der demografische Wandel erfordert außerdem Zuwanderung. Der Blick in das Gesicht eines Menschen, dem geholfen ist, sagt Bertolt Brecht, ist der Blick in eine schöne Gegend. Das ist eine Topografie, die in unserer offenen Gesellschaft jeden Tag beschriftet werden muss, gerade mit den Mitteln des Kulturbetriebs.

Kunst und Kultur spiegeln, kommentieren und kritisieren die Gesellschaft – mal indirekt und mal konkret. Im Umgang mit rechtsradikalen Diskursen muss der Kulturbereich deshalb keine rein reaktive Rolle einnehmen, sondern kann auch aktiv Einfluss nehmen. Wie sollte der Kulturbetrieb mit dieser Rolle und ihren Möglichkeiten umgehen?
Als Künstler*innen und Kulturschaffende müssen wir klarmachen, dass uns die kulturelle Fantasie nicht abgewürgt wird, auch wenn uns das Wasser durch Drohgebärden, Anfeindungen und die tatsächliche Gewalt seitens der radikalen Rechten bis zum Hals steht. Kulturelle Fantasie bedeutet immer, den Status quo zu verlassen und eine andere, gerechtere Welt vorwegzunehmen. AntiEstablishment hat nur eben heute eine andere Duftmarke bekommen, da Rechtspopulisten und Rechtsradikale ihren Gestank derzeit effektiver verbreiten und die rebellischen Gesten von gestern klauen. Aber die Kritiker*innen von Globalisierung und transnationalen Konzerninteressen sind ja nicht vom Fenster: Fridays for Future etwa kämpft gegen zwei Fronten, gegen die rechten Klimaleugner*innen genauso wie gegen die Verteidiger*innen des Wachstumsdogmas. Der Kulturbetrieb, der sich als inkludierender, die Arme ausbreitender Teil einer Kultur für alle begreift, der ein Recht auf Welt in neue Geschichten kleidet und hierfür spekulative, einladende, inspirierende Gesten entwirft, wird der verengten und viele Bevölkerungsteile ausschließenden Perspektive der radikalen Rechten immer das bessere Programm anbieten. Ein Programm, das die offene Gesellschaft wirklich weiterbringt.

Alle Informationen zur Neuauflage von Demokratie verteidigen: Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD finden Sie hier

Hier geht’s zum Download der Broschüre als PDF.

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