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Demokratiefördergesetz CDU und CSU stoppen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus

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Kehrtwende: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bremst das Demokratiefördergesetz aus. (Quelle: Christian Lue)

Es sollte nach den Anschlägen in Halle und Hanau und dem Lübcke-Mord ein klares Signal gegen Rechtsextremismus sein: Ein Demokratiefördergesetz, um zivilgesellschaftliche Initiativen auf Dauer finanziell abzusichern. Am vergangenen Mittwoch, den 31. März 2021, sollten die Eckpunkte im Kabinett besprochen werden. Sogar der Innenminister Horst Seehofer (CSU) war nach anfänglicher Skepsis an Bord. Eigentlich.

Doch nun stellt sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion quer: Die Union will den mit der SPD bereits verhandelten Entwurf nicht mehr unterstützen, CDU-Abgeordnete haben offenbar kalte Füße. Nun hat das Gesetz kaum eine Chance mehr, in dieser Legislatur noch verabschiedet zu werden. Damit liegen viele wichtige Maßnahmen gegen Rechtsextremismus auf Eis – und das zu einem Zeitpunkt, in dem rechte Gewalt rasant steigt, Neonazis Waffen horten, sich Rechtsradikale in der Bundeswehr vernetzen und kaum ein Tag ohne den nächsten Rechtsextremismus-Skandal in der Polizei vergeht. Ernster könnte die Lage kaum sein.

Nur zwei Tage nach dem gestoppten Eckpunkteentwurf für ein Demokratiefördergesetz mit dem Namen „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ sorgte die CDU erneut für Schlagzeilen: Im sächsischen Plauen legte die Stadtratsfraktion der Partei bei einer Haushaltssitzung des Rates einen Antrag vor, um einem Demokratieprojekt gegen Rechtsextremismus die Gelder zu entziehen. Mit Stimmen der AfD und der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ wurde die Förderung gestoppt. Es geht um Mittel in Höhe von 8.000 Euro für das „Bündnis für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage“. Das Projekt wurde 2012 als „Runder Tisch“ gegen rechtsextreme Propaganda und Aufmärsche gegründet – auch gegen den „III. Weg“, der im Vogtland eine Hochburg hat. Nun sitzt das Projekt finanziell auf dem Trockenen. Hinter der Streichung des Geldes stecken aber auch diverse Lokalstreitigkeiten (vgl. nd).

Zwei Fälle, die jedoch die Glaubwürdigkeit der Unionsparteien, Rechtsextremismus bekämpfen zu wollen, in Zweifel ziehen. Zwei Fälle, die eine Doppelmoral vor Augen führen. Fast könnte man meinen, die Union habe ein Problem mit der Demokratie. Doch das Problem liegt woanders: Die Partei sieht überall vermeintliche Extremist*innen – außer wenn sie selbst den Schulterschluss mit ihnen sucht.

Die „Extremismusklausel“

Beim Demokratiefördergesetz gebe es Bedenken, mit Fördermitteln „zu linke“ Organisationen zu unterstützen, wie der Spiegel berichtete. Menschen und Organisationen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, werden unter Generalverdacht gestellt, selber „linksextrem“ zu sein. Die CDU/CSU fordert daher nun eine Erneuerung der sogenannten „Extremismusklausel“ – ein Bekenntnis aller Geförderten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie die Partei auf Anfrage von Belltower.News bestätigt. Eine solche Klausel wurde bereits 2011 eingeführt und drei Jahre später nach lauter Kritik, dass sie zivilgesellschaftliche Projekte kriminalisiert, wieder abgeschafft (vgl. Amadeu Antonio Stiftung). Ein sächsisches Gericht hatte zudem die Klausel in sächsischen Zuwendungsbescheiden als zu unbestimmt kritisiert und verworfen.

Auch das Budgetrecht des Bundestags sei ein Streitpunkt, bestätigt ein Pressesprecher der CDU im Gespräch mit Belltower.News. Das Demokratiefördergesetz würde dieses einschränken, so der Sprecher, da der Bundestag nicht mehr im Einzelfall über die Maßnahmenförderung entscheiden könne. Von einer Kehrtwende will die Partei nicht sprechen, die Bedenken seien früh formuliert gewesen, behauptet der CDU-Sprecher. Er betont, dass seiner Partei die Bekämpfung rechtsextremer Akteure und Netzwerke ein wichtiges Anliegen sei. Ein Anliegen, das die CDU pünktlich zum ersten Gedenktag des Hanau-Anschlags in einem Video auf Social Media stolz zur Schau stellte, indem Unionsabgeordnete das Wort „Rechtsextremismus“ auf einem Blatt Papier schreiben und dieses dann in eine Mülltonne werfen. Die Aktion sorgte online für Kritik.

Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, sieht die Einwände der CDU kritisch. Im Gespräch mit Belltower.News sagt er, der Vorwurf, dass „zu linke Organisationen“ gefördert werden könnten, sei nur ein vorgeschobenes Argument. „In den Verhandlungen um das Demokratiefördergesetz sind das Bundesinnenministerium und Bundesfamilienministerium bereits sehr stark auf mögliche Bedenken seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktionen eingegangen“, so Reinfrank. Bereits der Entwurf für die Eckpunkte des Gesetzes vermittle den Eindruck, dass in den vergangenen Jahren Organisationen gefördert worden seien, die nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen – für Reinfrank eine äußerst problematische Behauptung.

„Zudem wird im Eckpunkteentwurf auf die politischen Verhältnisse in der Weimarer Republik Bezug genommen, die den Staat zu einer besonderen Sorgfaltspflicht bei seiner Fördertätigkeit verpflichten“, so Reinfrank weiter. „Auch das ist ein problematischer und ahistorischer Vergleich zur aktuellen Situation, da unter den demokratiefördernden Organisationen ein eindeutiger Konsens im Hinblick auf die Verteidigung des Grundgesetzes und der parlamentarischen Demokratie herrscht.“

Kritik aus der Koalition

Auch von den Koalitionspartner*innen der SPD gibt es Kritik: Auf Facebook schreibt Franziska Giffey (SPD), deren Familienministerium den Gesetzesentwurf monatelang mit dem Innenministerium verhandelt hatte, dass sie die Verhinderung der CDU/CSU enttäuschend finde. „Die Leidtragenden sind die vielen Engagierten in ganz Deutschland, die sich Tag für Tag für unsere Demokratie und gegen jede Form von Extremismus einsetzen“, so Giffey.

Denn momentan werden viele Projekte und Initiativen gegen Rechtsextremismus durch das Bundesprogramm „Demokratie leben“ gefördert – auch die Amadeu Antonio Stiftung. Doch die Mittel sind befristet, alle vier Jahre müssen Projekte um ihre Existenz bangen und sich mit neuen „innovativen“ Konzepten und Modellprojekten erneut bewerben – selbst wenn sie gut evaluiert und erprobt sind.

„Wir können nicht einerseits Hanau, Halle und Chemnitz beklagen und andererseits dann beim notwendigen und längst überfälligen Demokratiefördergesetz kneifen“, so Giffey weiter. Sie fordert die Unionsfraktion daher auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben. Ähnlich sieht es Timo Reinfrank: „Diese generelle Ablehnung stellt nicht nur die Ministerien und die geförderten Initiativen vor ein großes Problem, sondern die gesamte Gesellschaft, wenn nicht einmal die Förderung von Demokratie-Initiativen selbstverständlich ist.“

Seit Jahren wird von unterschiedlichen Seiten ein Demokratiefördergesetz gefordert. Bereits 2013 empfahl der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag in seinem Abschlussbericht, parteiübergreifende Projekte gegen Rechtsextremismus nachhaltig zu finanzieren. Darin sprach der Ausschuss sich „mit Nachdruck für eine Neuordnung der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements“ aus, um für Verlässlichkeit und Planungssicherheit zu sorgen. Mittlerweile kämpfen nicht nur die Oppositionsparteien Linke und Grüne für ein solches Gesetz, sondern auch die SPD.

Im November 2020 ging ein offener Brief aus der Zivilgesellschaft an Kanzlerin Merkel und das Kabinettsausschuss, unterschrieben von 60 Organisationen und Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Darin fordern sie ein Demokratiefördergesetz bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode im September 2021, damit ihre Arbeit dauerhaft unterstützt wird und sie nicht nach vier Jahren schon wieder vor dem Aus stehen. Doch die Uhr tickt.

Nie wieder?

Nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019 und dem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau 2020 wurden die Forderungen aus der Zivilgesellschaft nach effektiven Maßnahmen gegen Rechtsextremismus lauter: Das Demokratiefördergesetz sollte wichtiger Teil des Maßnahmenpakets der Bundesregierung sein. Doch aufgrund des jüngsten Manövers der CDU/CSU ist von den Versprechungen, Rechtsextremismus angemessen zu bekämpfen, wenig zu sehen.

Die CDU stellt das anders dar: Im November 2020 seien im Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus 89 Maßnahmen verabschiedet worden, die nun umgesetzt werden, heißt es auf Anfrage. Doch bei genauerer Betrachtung entlarvt sich der Maßnahmenkatalog als eine Liste von länger geplanten Schritten und Ideen, die oft nur mit wenigen Stichworten skizziert worden sind. Die Zivilgesellschaft sei in die Planung einbezogen gewesen, heißt es von der Bundesregierung, ein Verweis auf die betreffenden Organisationen und Personen fehlt allerdings bislang.

Für die Maßnahmen sollen eine Milliarde Euro zur Verfügung stehen, was allerdings keine Aufstockung der bisherigen Verhältnisse wäre. Stattdessen wurden die Finanzmittel offenbar zusammengezählt, die in den Jahren 2021 bis 2024 bereits eingeplant waren. Lediglich 2021 kommen 150 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt hinzu, die sich in den nächsten zwei Folgejahren jeweils um mehr als die Hälfte reduzieren und dann im vierten Jahr bei null Euro angelangt sind.

Bei einer Kleinen Anfrage der Linkenabgeordneten Martina Renner wollte die Bundesregierung nicht beantworten, welche Maßnahmen konkret unter dem Eindruck der rechtsterroristischen Attentate von Halle und Hanau neu konzipiert wurden (vgl. Belltower.News). „Leider sind die Aussagen über die inhaltliche und finanzielle Umsetzung der Maßnahmen immer noch sehr vage“, sagte Renner Belltower.News. Doch die Gefahr, die Rechtsextremismus für die Demokratie darstellt, bleibt sehr konkret.

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