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Denis Kapustin Der PR-Coup des russischen Neonazis

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Rechts: Denis Kapustin. Das Video wurde in einem russischen Dorf in der Oblast Brjansk gefilmt
Rechts: Denis Kapustin. Das Video wurde in einem russischen Dorf in der Oblast Brjansk gefilmt (Quelle: Telegram/Screenshot)

Was genau am 2. März im russischen Grenzdorf Liubechane in Brjansk passiert ist, bleibt noch unklar. Schüsse sollen gefallen sein. Putin spricht vom „Terror“ und verglich den Vorfall mit dem tödlichen Sprengstoffanschlag auf die Tochter des rechtsextremen Alexander Dugins. Ein Selenskyj-Berater nannte es eine „Provokation“ Russlands. Sicher ist: Wenigstens als PR-Coup des Neonazis Denis Kapustin war es ein Erfolg. Und nach wenigen Stunden war er schon wieder vorbei.

Der Reihe nach: Denis Kapustin alias Nikitin wurde in Moskau geboren, wuchs als Teenager in Köln auf und lebt inzwischen in der Ukraine. Durch seine Marke „White Rex“ avancierte er international zu einer Führungsfigur der rechtsextremen Kampfsportszene, hält Kontakte zu Neonazis europaweit. Wie einige russische Neonazis in der Ukraine schloss er sich der rechtsextremen „Asow“-Bewegung an. Kapustin fungierte vor allem als inoffizieller Botschafter für „Asow“.

Nach Russlands brutalem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 versuchte Kapustin, rechtsextreme Kämpfer aus dem Ausland zu mobilisieren. Und im Sommer 2022 gründete er das „Russian Volunteer Corps“ (RDK), zu Deutsch: „Russische Freiwilligenkorps“, ein inoffizielles Bataillon überwiegend aus russischen Rechtsextremen, die aufseiten der Ukraine gegen Putin kämpfen.

Mit dem RDK überquerte Kapustin am 2. März die ukrainisch-russische Grenze und marschierte in das Dorf ein, wie Belltower.News bereits berichtete. Russische Behörden behaupten, dass Kapustin und seine Kämpfer zwei Zivilist*innen getötet und ein Kind verletzt hätten. Vorwürfe, die der russische Neonazi zurückweist. Und Vorwürfe, die nicht unabhängig verifiziert werden können. Kapustin lud während der Aktion eine Videobotschaft auf Telegram hoch: „Wir kämpfen nicht mit Zivilisten, töten niemanden, der waffenlos ist“, sagt er darin. „Jetzt ist es Zeit für die einfachen Bürger Russlands zu begreifen, dass sie keine Sklaven sind.“

Der Inlandsgeheimdienst FSB vermeldete der russischen Nachrichtenagentur Interfax am selben Tag, dass die „ukrainischen Nationalisten“ (Kapustin und die überwiegende Mehrheit des RDK sind tatsächlich russische Staatsbürger) vernichtet würden. Kapustin und seine Einheit sind aber offenbar wenige Stunden später lebend davongekommen. Seither genießt er das Rampenlicht der Medien.

Das zeigt sich schon auf Telegram: Die Followerzahl des RDK-Kanals hat sich seit dem 2. März fast verdreifacht, von rund 16.000 auf mehr als 45.000. Auch Kapustins privater Kanal konnte 3.000 neue Interessent*innen dazu gewinnen, aktueller Stand: 17.200 Abonnent*innen. Internationale extrem rechte Kanäle, wie zum Beispiel ein 12.000-Mitglieder starker Fußballultra-Kanal, rufen zudem dazu auf, an das „Russian Volunteer Corps“ und Kapustin persönlich zu spenden, um die Rekrutierung des rechtsextremen Freiwilligenbataillons zu unterstützen.

Nach der Aktion in Brjansk zierte ein Foto von Kapustin in Montur die Titelseite der polnischen Zeitung Dziennik Gazeta Prawna, mit der er auf Telegram stolz prahlte. Internationale Zeitung vom Guardian über Le monde bis zur Washington Post berichteten über den russischen Neonazi. Er wurde zum Star der extremen Rechten.

Die britische Financial Times sprach sogar direkt mit Kapustin. Er und seine Kämpfer hätten zeigen wollen, dass sie einige Russlands am stärksten bewachter Grenzgebiete durchbrechen könnten. Er wolle damit die schwache Verteidigung des Landes bloßlegen und andere dazu animieren, gegen Putin aufzustehen. „Sie haben gespürt, wie schutzlos sie sind“, sagte Kapustin. „Wir liefen herum und arbeiteten in einer Grenzzone, die unter strengstem Schutz stehen sollte.“ Damit habe er die Russen daran erinnern wollen, dass sie „nicht in Fesseln leben“ oder „den Krieg eines anderen dulden“ müssten. „Sie können und müssen zu den Waffen greifen. Wir werden jeden unterstützen, der diese Kreml-Usurpatoren von der Macht entfernen will.“

Nachdem Kapustin das Video aus dem russischen Dorf am 2. März auf Telegram teilte, dementierte die Ukraine, etwas von der Aktion gewusst zu haben. Der Kreml wolle damit seine eigenen Leute erschrecken, um den Angriff auf ein anderes Land und die wachsende Armut nach einem Jahr Krieg zu rechtfertigen, twitterte Mychajlo Podoljak, ein hochrangiger Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Andrii Cherniak, ein Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR, sagte der Nachrichtenagentur AP: „Das haben die Russen gemacht, die Ukraine hat nichts damit zu tun.“

Damals sprach Belltower.News mit Michael Colborne, Kenner der extremen Rechten in Osteuropa, Autor eines Buches über die „Asow“-Bewegung und Leiter der Monitoringstelle für Rechtsextremismus bei der Investigativ-Plattform Bellingcat: „Ich bezweifle, dass das RDK diese Nummer ohne ein gewisses Maß an expliziter oder impliziter Zustimmung von jemandem in der ukrainischen Befehlskette, insbesondere dem militärischen Geheimdienst HUR, durchführen könnte“, kommentierte er den Vorfall. Auch wenn die Aktion wahrscheinlich nicht von oben dirigiert worden sei, sondern von Kapustin und dem RDK selbst gekommen sein dürfte.

Im Gespräch mit der Financial Times behauptet Kapustin, dass ukrainische Behörden von der Aktion gewusst hätten: „Ja, natürlich, diese Aktion war abgesprochen, sonst hätte sie nicht stattfinden können.“ Es gebe entlang der Grenze verminte Brücken, Kameras, wärmesuchende Drohnen und versteckte Observationspunkte. „Wenn ich es nicht mit jemandem [im ukrainischen Militär] koordiniert hätte…Ich glaube, wir würden einfach vernichtet werden“, so Kapustin weiter. In der dicht bewaldeten Region dürfte es allerdings tatsächlich schwierig sein, die Grenze lückenlos zu kontrollieren.

Der Ukraine geholfen hat Kapustins schwer bewaffneter Ausflug in das russische Grenzdorf nicht. Aber es hat ihm offenbar zum Status des neuen Staatsfeinds des Kremls verholfen. Wenige Tage später, am 6. März, behauptete der FSB, dass Kapustin ein Attentat auf Konstantin Malofejew, einen kremlnahen Oligarchen, geplant habe. Mit einer ferngesteuerten Bombe habe Kapustin sein Auto sprengen wollen. Malofejew lebt noch, ein Roboter soll die Bombe entschärft haben. Auf Anfrage von Reuters wollte sich weder Kapustin noch das RDK zunächst zu dem Vorwurf äußern.

In der Zwischenzeit sammelt das RDK weiterhin Geld für Ausrüstung und Autos, „aufgrund der Neuankömmlinge in unseren Reihen“, heißt es auf Telegram. 600.000 Hrywnja (umgerechnet 15.000 Euro) wollen sie über einen Link der ukrainischen Onlinebank „Monobank“ auftreiben, für einen VW-Bus und einen Pickup-Truck. Bislang sind allerdings nur rund 430 Euro zustande gekommen. Aber die Medienberichterstattung über die Gruppe seit dem 2. März? Unbezahlbar.

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